
Die Bundesregierung will, dass die Bevölkerung Vorräte für Katastrophenfälle anlegt. Das ist Teil des Zivilschutzkonzepts des Bundesamts für Katastrophenhilfe. Erstmals seit dem Kalten Krieg werden alle möglichen Bedrohungen durchgespielt: Von Terrorangriffen über Naturkatastrophen hin zu Cyberangriffe auf Kraftwerke. Ist ein solches Konzept Panikmache?
Hans-Bernd Brosius: Die Politik und die Sicherheitskräfte haben die Aufgabe, solche Vorsorgemaßnahmen wie Katastrophenpläne zu erstellen. Das Problem ist ein anderes. Aktuell betrachten alle das Thema durch die Terrorismusbrille. Einige Journalisten haben entdeckt, dass es seit Jahren eine Initiative der Bundesregierung gibt, die Richtlinien für Katastrophenfälle zu überarbeiten. Die berichten darüber und der Rezipient denkt, die Ursache-Wirkungs-Beziehung ist verkehrtherum.

Das heißt?
Ein einfaches Beispiel: Das Triebwerk eines Flugzeugs fällt aus. Darüber würde niemand berichten. Interessant ist so ein Ereignis nur, wenn am Tag vorher ein Flugzeug abgestürzt ist. Das Gleiche gilt für das Zivilschutzkonzept. Das Ereignis findet statt und die Journalisten sagen, es findet statt wegen des Terrorismus. Das ist typisch in besonderen Zeiten. Über den eigentlichen Anlass wäre aber ohne die begleitenden Umstände nie berichtet worden.
Reflektiert Journalismus solche Ereignisse und Tendenzen oder befeuert er sie selbst?
Er befeuert sie. Daran ist aber nicht nur der Journalismus schuld, die Rezipienten handeln ebenfalls dementsprechend: Sie lesen von einem Ereignis und suchen gezielt nach Informationen, die ihre Meinung bestätigen oder sie entkräften. Dadurch entsteht eine Nachrichtenlage, die der Rezipient selbst mitkonstruiert hat und die nicht unabhängig von ihm da wäre.
Zurück zum Zivilschutzkonzept: Der Fraktionsvize der Grünen, Konstantin von Notz, sagt, die Vermischung von ziviler Vorsorge mit Hinweisen auf Terrorgefahr und ziviler Vorsorge sei problematisch. Ist seine Kritik berechtigt?
Der Plan ist ja nicht entstanden, um all diese Aspekte zu vermischen, der Plan ist längst vor der akuten Terrorbedrohung entstanden. Katastrophenplaner müssen natürlich verschiedene Ursachen berücksichtigen. Die Kritik an der Bundesregierung kann ich nicht teilen. All diese Faktoren werden erst in der Wahrnehmung durcheinander geschmissen.
Frankreich und der Terror
Am französischen Nationalfeiertag am 14. Juli rast in der Hafenstadt Nizza ein Attentäter mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge. Mindestens 84 Menschen werden getötet, mehr als 200 verletzt.
Am 26. Juli haben in Saint-Étienne-du-Rouvray in der Normandie zwei Geiselnehmer einen Priester getötet, ein weiteres Opfer schwebt in Lebensgefahr. Die mutmaßlichen Täter wurden getötet. Der IS reklamierte die Tat über sein Sprachrohr Amak für sich.
Ein Mann ersticht in Magnanville westlich von Paris einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin. Die Polizei erschießt den Täter, der sich zuvor zum IS bekannt hatte.
Am Jahrestag der Anschläge auf „Charlie Hebdo“ schießen Polizisten vor einem Pariser Kommissariat einen Mann nieder. Er war mit einem Messer bewaffnet und trug die Attrappe einer Sprengstoffweste.
Bei einer koordinierten Anschlagsserie in Paris töten IS-Extremisten 130 Menschen. In der Konzerthalle „Bataclan“ richten sie ein Massaker an, Bars und Restaurants werden beschossen, am Stade de France sprengen sich während des Fußball-Länderspiels Frankreich-Deutschland drei Selbstmordattentäter in die Luft.
Ein 25-jähriger Islamist wird im Thalys-Schnellzug auf dem Weg von Brüssel nach Paris bei einem Anschlagversuch mit einem Schnellfeuergewehr von Fahrgästen überwältigt. Zwei Zuginsassen werden verletzt.
Bei einem Anschlag auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ in Paris werden zwölf Menschen ermordet. Die beiden islamistischen Attentäter Chérif und Said Kouachi kommen zwei Tage später bei einer Polizeiaktion nordöstlich von Paris um. Der Islamist Amedy Coulibaly, der die Brüder Kouachi kannte, erschießt bei Paris eine Polizistin und nimmt mehrere Geiseln in einem jüdischen Supermarkt. Er tötet dort vier Menschen, bevor er von der Polizei erschossen wird.
Die Gruppe Jund al-Khilafa („Soldaten des Kalifats“), ein Ableger der Terrormiliz Islamischer Staat, enthauptet einen in Algerien entführten französischen Touristen.
In Mali werden zwei Mitarbeiter von Radio France Internationale (RFI) entführt und ermordet. Die Terrororganisation Al-Kaida im islamischen Maghreb bekennt sich zur Tat. Zuvor hatte sich die Gruppe dazu bekannt, eine andere französische Geisel getötet zu haben.
Ein Serien-Attentäter erschießt sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Er wird nach rund 32-stündiger Polizeibelagerung seiner Wohnung erschossen. Zuvor hatte er sich als Al-Kaida-Anhänger bezeichnet.
Vor der Küste Jemens rammt ein mit Sprengstoff beladenes Boot den französischen Tanker „Limburg“. Ein Matrose kommt ums Leben. Al-Kaida bekennt sich zu dem Anschlag.
Bei einem Anschlag mit einer Gasflaschen-Bombe im Pariser S-Bahnhof Port Royal kommen vier Menschen ums Leben. Bereits 1995 waren bei einer Serie von Terroranschlägen, die islamischen Fundamentalisten aus Algerien zugeschrieben werden, in Frankreich insgesamt acht Menschen getötet worden.
Bei einem Absturz eines französischen Flugzeugs in Folge einer Bombenexplosion an Bord über dem afrikanischen Staat Niger sterben 170 Menschen. Ein französisches Gericht verurteilt sechs Libyer in Abwesenheit zu lebenslanger Haft, unter ihnen einen Schwager des damaligen libyschen Staatschefs Muammar el Gaddafi.
Die Medien thematisieren das Sicherheitskonzept intensiv, auch in den sozialen Netzwerken schreiben Tausende darüber. Welche Auswirkungen hat das?
Die intensive Thematisierung des Zivilschutzkonzepts schürt Ängste. Die sozialen Netzwerke verstärken solche Tendenzen. Auf einmal können alle etwas zum Thema sagen, so entsteht noch stärker der Eindruck von Panik. Zudem werden in den sozialen Netzwerken vor allem kurze Artikel weitergeleitet, in denen keine Beurteilung über die Relevanz des Themas stattfindet – in dem Fall des Zivilschutzkonzepts.
Erst bestimmte die Wirtschaftskrise die Berichterstattung, dann die Flüchtlingskrise, jetzt reden wir nach den ersten IS-Anschlägen in Deutschland von einer Sicherheitskrise. Benutzen Journalisten den Krisenbegriff zu inflationär?
Ob etwas eine Krise ist oder nicht, definieren wir in der Berichterstattung und der Rezeption letztlich selber. Da ist kein abschließendes Urteil möglich. Wir können uns vielleicht darauf einigen, dass das, was in Griechenland ab 2010 geschah, eine Krise war. Begriffe wie „Skandal“, „Krise“ oder „Katastrophe“ werden sehr inflationär benutzt, gerade im Online-Bereich.
Was sind die Konsequenzen?
Mittelfristig führt das dazu, dass die Menschen so etwas bemerken und nicht mehr darauf anspringen. Im besten Fall bevorzugen sie irgendwann Berichte, die etwas tiefgründiger sind und die Thematik einordnen.