Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten über die Konsequenzen aus dem britischen Votum für einen Austritt aus der Europäischen Union. Der scheidende britische Premierminister David Cameron will über den Ausgang des Referendums informieren. Im Folgenden die Entwicklungen am Dienstag im Überblick.
+++ Sigmar Gabriel: "Out heißt out" +++
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel erklärt in Stuttgart, Großbritannien könne jetzt nicht die Vorteile mit der EU aushandeln, ohne Pflichten zu übernehmen und damit noch andere Länder zum Austritt anstiften. "Out heißt out - das bedeutet, die Briten müssen zu ihrer Entscheidung stehen."
+++ Börsen erholen sich etwas von Brexit-Verlusten +++
Die ersten Anleger haben sich nach der Brexit-Entscheidung wieder an den deutschen Aktienmarkt zurück gewagt. Am Dienstag erholte sich der Dax etwas von seinen massiven Verlusten der vergangenen zwei Handelstage. Zeitweise stieg der deutsche Leitindex um mehr als 3 Prozent. Er beendete den Tag mit einem Plus von 1,93 Prozent auf 9447,28 Punkte. Der MDax der mittelgroßen deutschen Werte erholte sich um 1,88 Prozent auf 19 276,46 Punkte. Der Technologiewerte-Index TecDax gewann 2,22 Prozent auf 1554,71 Punkte.
Europaweit sah es ähnlich aus: Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 stieg um 2,27 Prozent auf 2758,67 Punkte und auch in London und Paris legten die Börsen in dieser Größenordnung zu. In den USA gewann der Dow Jones Industrial zum Handelsschluss in Europa 0,8 Prozent. Händler und Marktstrategen warnten aber vor verfrühtem Optimismus.
+++ Nigel Farage: "Jetzt lachen Sie nicht mehr" +++
Der Chef der nationalistischen britischen Partei Ukip, Nigel Farage, wird im EU-Parlament ausgebuht. Er sagte, Großbritannien werde nicht das einzige Land sein, das die Gemeinschaft verlasse. Unterstützung bekamt er von der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen, die das Brexit-Votum als „außerordentlichen Sieg für die Demokratie“ feiert. Farage genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde. Vor 17 Jahren habe man ihn noch für seine Brexit-Kampagne ausgelacht, sagte er. „Jetzt lachen Sie nicht mehr, oder?“
Wo die großen Brexit-Baustellen sind
Seit der konservative Premier David Cameron seinen Rücktritt angekündigt hat, tobt ein Kampf um seine Nachfolge - nicht nur hinter den Kulissen. Als aussichtsreichste Kandidaten gelten Brexit-Wortführer Boris Johnson und Innenministerin Theresa May. Johnson werden die besten Chancen eingeräumt, auch wenn er erbitterte Feinde in der Tory-Fraktion hat. May könnte als Kompromisskandidatin gelten, sie war zwar im Lager der EU-Befürworter, hielt sich aber mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Labour-Chef Jeremy Corbyn laufen nach dem Rauswurf seines schärfsten Kritikers Hilary Benn die Mitglieder seines Schattenkabinetts in Scharen davon. Mehr als die Hälfte seines Wahlkampfteams trat bereits zurück. Sie werfen Corbyn vor, nur halbherzig gegen einen EU-Austritt geworben zu haben, und stellen seine Führungsqualitäten in Frage. Dahinter steckt auch die Befürchtung, es könne bald zu Neuwahlen kommen. Viele Labour-Abgeordnete befürchten, mit dem Linksaußen Corbyn an der Spitze nicht genug Wähler aus der Mitte ansprechen zu können. Corbyn war im Spätsommer vergangenen Jahres per Urwahl an die Parteispitze gerückt, hat aber wenig Unterstützung in der Fraktion.
Der scheidende Premier David Cameron kündigte an, die offiziellen Austrittsverhandlungen mit der EU nicht mehr selbst einzuleiten. Der Ablösungsprozess könnte damit frühestens nach Camerons Rücktritt beginnen - womöglich erst im Oktober. Äußerungen anderer britischer Politiker lassen befürchten, dass sich die Briten gern sogar noch mehr Zeit lassen würden. Am allerliebsten würden sie schon vor offiziellen Austrittsverhandlungen an einem neuen Abkommen mit der EU basteln. Brüssel, Berlin und Paris dringen aber auf einen raschen Beginn der Austrittsverhandlungen.
Seit dem Brexit-Votum liegt die Frage nach der schottischen Unabhängigkeit wieder auf dem Tisch. Die Schotten stimmten - anders als Engländer und Waliser - mit einer Mehrheit von 62 Prozent gegen einen Brexit. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon kündigte in Edinburgh an, Vorbereitungen für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum einzuleiten. Boris Johnson deutete jedoch bereits an, dass er als Premierminister da nicht mitspielen würde: „Wir hatten ein Schottland-Referendum 2014 und ich sehe keinen echten Appetit auf ein weiteres in der nahen Zukunft“, schrieb Johnson in einem Gastbeitrag im „Daily Telegraph“. Auch Premierminister David Cameron erteilte einem erneuten Schottland-Referendum eine Absage.
In beiden Teilen der Insel herrscht Sorge, der Brexit könnte dazu führen, dass wieder Grenzkontrollen eingeführt werden und der Friedensprozess gestört wird. Irlands Ministerpräsident Enda Kenny versicherte, seine Regierung arbeite eng mit Belfast und London zusammen, um die Grenzen offenzuhalten. Ähnlich wie in Schottland stimmte auch in Nordirland eine Mehrheit der Wähler gegen den Austritt des Königreichs aus der EU. Die nordirische nationalistische Partei Sinn Fein forderte bereits eine Abstimmung über eine Wiedervereinigung Irlands und Nordirlands.
Das britische Pfund verlor seit dem Brexit-Votum massiv an Wert gegenüber dem Dollar und fiel auf den niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten. Auch die Börsenkurse stürzten zeitweise in den Keller. Der britische Finanzminister George Osborne versuchte am Montag, Sorgen an den Märkten zu zerstreuen. Großbritannien sei auf alles vorbereitet, sagte Osborne. Noch am Tag nach der Brexit-Entscheidung war Notenbank-Chef Mark Carney vor die Kameras getreten und hatte angekündigt, die Bank of England könne bis zu 250 Milliarden Pfund in die Hand nehmen, um weitere Verwerfungen zu verhindern. Trotz allem verlor das Pfund weiter an Wert.
+++ Valls: Rein oder raus +++
Frankreichs Ministerpräsident Manuel Valls fordert ein entschlossenes Handeln der EU. "Jetzt ist nicht die Zeit für diplomatische Vorsicht", sagt er zum Auftakt einer Parlamentsdebatte über die Brexit-Abstimmung. "Wir müssen die Eiterbeule aufstechen." Europa brauche von den Briten Klarheit: "Entweder verlasse sie die (Europäische) Union oder sie bleiben."
+++ Schottische Regierungschefin reist zu EU-Gipfel +++
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon will am Mittwoch zum EU-Gipfel nach Brüssel reisen. Sie werde dort die Position Schottlands nach dem Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU darlegen, sagte Sturgeon. Vor den Abgeordneten im schottischen Parlament sagte sie, dass ein Ausscheiden aus der EU dem Willen der schottischen Wähler zuwiderlaufen würde. Gleichzeitig mahnte sie rasche Entscheidungen nach dem Votum an. Es könne nicht drei Monate lang nichts passieren, sagte sie.
+++ Schulz: Rückzieher der Briten sollte nicht ausgeschlossen werden +++
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat sich dafür ausgesprochen, den Briten im Zweifelsfall einen Rückzieher von ihrer Brexit-Entscheidung zu ermöglichen. Wenn das Vereinigte Königreich zu anderen Erkenntnissen komme oder die Menschen noch einmal nachdenken wollten, sollte „das ganz sicher unterstützt werden“, sagte der SPD-Politiker kurz vor dem Start des EU-Gipfels in Brüssel. Schulz machte allerdings auch klar, dass deswegen nicht der Start der Austrittsverhandlungen hinausgezögert werden dürfe. Unter anderem wegen der langfristigen Finanzplanung der EU sei keine Zeit zu verlieren. „Was ist mit der Forschungsfinanzierung? Was ist mit der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit? Das sind ganz praktische Fragen, die (...) jetzt angepackt werden müssen“, sagte Schulz.
+++ Cameron will keine Konfrontation bei EU-Austritt +++
Der britische Premier David Cameron will beim EU-Austritt seines Landes offensichtlich eine direkte Konfrontation mit den europäischen Partnern vermeiden. „Ich will, dass dieser Prozess so konstruktiv wie möglich (ist)“, sagt Cameron vor Beginn des EU-Gipfeltreffens in Brüssel. Er hoffe, dass „das Ergebnis auch so konstruktiv wie möglich“ sein könne. Es sollte künftig eine sehr enge Beziehung zwischen der EU und seinem Land geben. Cameron wird laut Diplomaten am Abend den übrigen 27 EU-Staats- und Regierungschefs erklären, wie er die Lage nach dem historischen Brexit-Referendum sieht und wie er den weiteren Ablauf einschätzt.
+++ Juncker zu Brexit-Wortführer: "Warum sind Sie hier?" +++
In einer Aussprache des Europaparlaments zum Brexit-Votum hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker anders als sonst kein Englisch gesprochen. In der Regel hält Juncker zumindest einen Teil seiner Parlamentsansprachen auch in dieser EU-Amtssprache. Bei der Parlamentssondersitzung in Brüssel sprach er jedoch lediglich Deutsch und Französisch. Nur an den rechtspopulistischen Brexit-Wortführer Nigel Farage wandte er sich einmal in der Sprache des Vereinigten Königreichs: „Ich bin überrascht, dass Sie hier sind. Sie haben für den Austritt gekämpft, die Bürger haben dafür gestimmt“, sagte Juncker. „Warum sind Sie hier?“
+++ Fitch: Brexit gefährdet mittelfristig auch andere Länderratings +++
Die Ratingagentur Fitch erwartet nach dem Brexit-Votum der Briten auch Rückschläge für andere europäische Volkswirtschaften. Die Belastungen dürften zwar nicht so groß ausfallen wie die für das Vereinigte Königreich selbst, erklärten die Fitch-Experten am Dienstag. Mittelfristig könnten sich aber auch die Bonitätsbewertungen für andere Länder verschlechtern. Als Reaktion auf den Ausgang des Referendums hat Fitch - ebenso wie die Konkurrenzagentur Standard & Poor's (S&P) - bereits das Rating für Großbritannien gesenkt.
+++ BaFin gegen London als Sitz von fusionierter Börse +++
Die Finanzaufsicht BaFin ist gegen London als Sitz einer deutsch-britischen Börse. "Es ist schwer vorstellbar, dass der wichtigste Börsenplatz im Euro-Raum von einem Standort außerhalb der EU gesteuert wird", sagte der Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Felix Hufeld, am Rande einer Konferenz in Frankfurt. "Da wird man sicher nachjustieren müssen." Die Deutsche Börse und die Londoner LSE sollen nach den bisherigen Plänen nach ihrem Zusammenschluss den Sitz in London haben. Nach dem Brexit ist die Kritik an dieser Entscheidung in Deutschland gewachsen.
+++ Bundeskanzlerin Merkel hält Regierungserklärung +++
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Geschlossenheit der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten gefordert. „Es gilt jetzt nach vorne zu schauen und alles daran zu setzen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und anschließend alle notwendigen Entscheidungen zu treffen“, sagte Merkel im Bundestag in einer Regierungserklärung zum britischen Brexit-Referendum in Großbritannien. Jeder Vorschlag, der die EU der 27 als Ganzes aus dieser Krise führen könne, sei willkommen. „Jeder Vorschlag, der dagegen die Fliehkräfte stärkt, die Europa schon so sehr strapazieren, hätte unabsehbare Folgen für uns alle. Er würde Europa weiter spalten“, sagte Merkel in der Sondersitzung des Parlaments. Sie werde sich dafür einsetzen, das zu verhindern. „Ich sehe gute Möglichkeiten, dass uns das gelingen kann.“
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
+++ Steuerhöhungen in Großbritannien nach dem Brexit +++
Die Briten müssen sich auf Steuererhöhungen und Einschränkungen bei den staatlichen Leistungen einstellen. Finanzminister George Osborne kündigte an, die Regierung werde einschneidende Schritte zur Sicherung der Finanzstabilität ergreifen müssen, um die Folgen des Votums für den EU-Austritt zu bewältigen. Auf eine Frage, ob das auch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen einschließe, antwortete er im BBC-Radio: "Ja, absolut". "Wir müssen dem Land und der Welt zeigen, dass die Regierung in der Lage ist, im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten zu handeln", sagte Osborne. Es sei eine zentrale Herausforderung, nach der Brexit-Entscheidung Finanzstabilität zu bewahren.
+++ Britischer Minister regt zweites Referendum an ++
Nach der britischen Volksabstimmung für einen EU-Austritt hat der Gesundheitsminister des Landes ein zweites Referendum vorgeschlagen. Darin solle es aber nicht darum gehen, einen Brexit doch noch abzuwenden, schreibt Jeremy Hunt in einem Gastbeitrag für den „Daily Telegraph“. Vielmehr müssten die Bedingungen, unter denen Großbritannien die EU verlasse, den Wählern nochmals zur Abstimmung vorgelegt werden. Dies könne entweder in einem weiteren Referendum geschehen oder über das Wahlprogramm seiner konservativen Partei bei den nächsten Parlamentswahlen. Hunt ist der Zeitung zufolge der erste britische Minister, der sich für ein solches Folge-Referendum ausspricht. Aus seiner Sicht sollte London die Austrittsklausel in Artikel 50 des EU-Vertrags nicht sofort ziehen, weil dann eine zweijährige Verhandlungsfrist beginnen würde, nach deren Ablauf Großbritannien ohne jede Abmachung aus der Union fliegen könnte: „Bevor wir also die Uhr ticken lassen, sollten wir einen Deal aushandeln und ihn dem britischen Volk vorlegen.“
+++Osborne verzichtet auf Cameron-Nachfolge+++
Großbritanniens Finanzminister George Osborne, lange Zeit einer der Favoriten auf die Nachfolge von Premierminister David Cameron, will sich nicht für den Posten bewerben. „Ich bin nicht die Person, die die Einigkeit bieten kann, die meine Partei braucht“, schrieb der konservative Politiker in einem Gastbeitrag für die britische „Times“. Er sei aus dem EU-Referendum als „kontroverse Person“ hervorgegangen. Osborne hatte für den Verbleib in der EU geworben. Die Frage, ob Großbritannien in der EU bleiben soll, hat die konservativen Tories tief gespalten. Als ein wahrscheinlicher Nachfolger Camerons gilt Londons früherer Bürgermeister Boris Johnson, der sich an die Spitze des Brexit-Lagers gestellt hatte. Laut einer am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Instituts YouGov für die „Times“ liegt allerdings Innenministerin Theresa May, die gegen den Brexit war, in der Gunst der Tory-Wähler vorn. Der nächste Parteichef wird in der Regel von den Mitgliedern gewählt, er soll im Herbst feststehen.
+++ EU-Konservative nehmen Cameron vor Gipfel in die Pflicht +++
Die Konservativen und Christdemokraten im EU-Parlament nehmen den scheidenden britischen Premier David Cameron in die Pflicht. „Von Premier Cameron erwarten wir, dass er beim Gipfel Klarheit schafft, wie es nach dem Referendum weitergehen soll“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber (CSU), der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel. Der Gipfel beginnt am Dienstagnachmittag in Brüssel. Zuvor kommt das Europaparlament zu einer Sondersitzung zusammen. „Er (Cameron) hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass für sein Land und Europa keine Phase der Unsicherheit eintritt“, fuhr Weber fort. Die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 Staaten müssten bei dem zweitägigen Spitzentreffen „ein Signal der Besonnenheit, Geschlossenheit und Stärke“ geben.
+++ Brexit-Gespräche spätestens bis Mai 2019 beenden +++
Der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff, will die Brexit-Verhandlungen mit Großbritannien spätestens vor der nächsten Europawahl abgeschlossen wissen. „Wann die Verhandlungen über den Brexit beginnen müssen, ist weniger wichtig, als dass sie bis zum Mai 2019 abgeschlossen sein müssen“, sagte Lambsdorff der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Dienstagsausgabe). Dann finde die nächste Europawahl statt, und an der könne Großbritannien „natürlich nicht mehr“ teilnehmen. „Deswegen brauchen wir jetzt einen verlässlichen Fahrplan, denn Politik und Wirtschaft brauchen Planungssicherheit.“