Der Holländer Frans Timmermanns ist seit dem 1. Dezember vorigen Jahres Vizepräsident in der von Ursula von der Leyen geführten EU-Kommission. Der Niederländer, 59, ist ein alter Hase in der europäischen Politik, doch mit den Kollegen in Rom kommt er mitunter schwer zurecht: „Ich begreife manche Reaktionen in Italien nicht“, sagt er. Das geht freilich nicht nur ihm so.
Mit rund 750 Milliarden Euro will die EU Europa überfluten, um die schweren ökonomischen Schäden der Coronakrise halbwegs auszugleichen. Etwa 360 Milliarden davon werden als Kredite verteilt – freilich zu günstigen Konditionen und Laufzeiten bis 2058 – weitere 390 Milliarden Euro werden verschenkt. Dergleichen hat es wohl nie zuvor gegeben. In Relation zu ihrer Wirtschaftskraft bekommen die Griechen, Bulgaren und Kroaten den höchsten Anteil aus dem – „Wiederaufbau-Fonds“ getauften - Geschenk-Korb. Aber weil es ja eher kleine Länder sind, bekommen sie auch eher kleinere Gaben. Die großen Zuwendungen bekommen natürlich die großen Länder. Gut 15 Milliarden sollen – für 2021/22 – nach Deutschland fließen, über 22 Milliarden nach Frankreich, Spanien soll 43 Milliarden kriegen.
Den größten Batzen aber, für die nächsten zwei Jahre knapp 45 Milliarden Euro, will die EU gen Rom überweisen. Und für das Jahr 2023 könnten weitere – nach vorläufigen Berechnungen - gut 20 Milliarden folgen. Aber in Rom streitet die Regierung darum, ob man die überhaupt nehmen und was man damit tun solle. Die Sozialdemokraten wollen sie vor allem für eine Grundsanierung des völlig desolaten Gesundheitswesens einsetzen. Für die EU wäre das okay. Aber beim eher europaskeptischen Sterne-Koalitionspartner trauen viele Entscheidungsträger „denen in Brüssel“ nicht: Nur wenn man das Geld ohne jede Einmischung ausgeben könne, sei man bereit, die Milliarden anzunehmen.
Das wird nicht gehen. Also passiert erst einmal – gar nichts.
Immerhin hat Finanzminister Roberto Gualtieri verkündet, etwa 20 Milliarden Euro zu beantragen und in den Haushaltsplan für das nächste Jahr einzuarbeiten. Wofür die dann verwendet werden sollen, ist natürlich noch nicht entschieden.
Von Brüssel auf den Arm genommen
Während das Gezänk der politischen Regenten weitergeht, schiebt sich aus einer anderen Ecke, für Nicht-Italiener vermutlich unbegreiflich, eine eigentlich abgeschlagene Anti-Europa-Partei wieder nach vorne: Die rechtsnationale Lega, mit ihrem Vor- und Steuermann Matteo Salvini. Um den war es ruhiger geworden, weil die Bürger in Angst vor Covid-19 keine große Lust auf Krawall hatten.
Zwar schnitt er bei den jüngsten Regionalwahlen nicht so überragend ab, wie er gehofft hatte – die „rote“ Toskana jedenfalls hat er nicht erobern können – aber plötzlich legt er wieder zu. Diese Woche liegt seine Partei wieder auf Platz 1, mit 24,8 Prozent , knapp vor den Sozialdemokraten. Und auf Platz 3 liegt die Partei Fratelli d´Italia, von Salvinis Rechtsaußen-Kollegin Giorgia Meloni.
Wer soll das verstehen? Die EU will Italien mit vielen, vielen Milliarden helfen – und eine Mehrheit der Italiener wendet sich wieder Salvini zu, dem größten EU-Hetzer des Landes. Die Italiener würden von denen in Brüssel „auf den Arm genommen“, hatte Salvini immer wieder über die Marktplätze gebrüllt, „keine Lira“ würden die schicken. Gut, da hat er immerhin Recht, die EU-Kommission will Euro schicken.
Nein, trommelte der Chef der derzeit führenden Partei in Italien, es sei „alles ein großer Betrug“: „Hunger und Tod“ kämen aus Brüssel, „aber keine Zukunft für unsere Kinder“. Die EU, sagte Salvini immer wieder, sei nur eine Art Geschäftsbank, von der „wenige profitieren und viele bezahlen müssen, allen voran Italien“.
Unter die Profiteure hatte Salvini stets „Berlin“ ganz vorne eingeordnet – klar, die Deutschen haben in Brüssel das Sagen und machen alles zu ihren Gunsten: Deshalb bekommt Berlin jetzt auch nicht einmal die Hälfte dessen, was nach Rom fließen soll. Und bei den Einzahlungen in den EU-Haushalt – aus dem die milliardenschwere Großherzigkeit bezahlt werden soll – ist Deutschland mit 24 Prozent beteiligt, Italien nur mit 17 Prozent.