Andy Haldane Chefvolkswirt der Bank of England verabschiedet sich mit einer Breitseite

Andy Haldane verlässt nach 32 Jahren die Bank of England. Quelle: REUTERS

32 Jahre lang arbeitete Andy Haldane für die Bank of England. Zuletzt als Chefökonom der Zentralbank. Nun verabschiedete sich der 53-Jährige von seinem Posten, allerdings nicht ohne lautstarke Kritik und eine Warnung.

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Andy Haldane hat in letzter Zeit immer wieder mit nonkonformistischen Einschätzungen von sich Reden gemacht. So stimmte der ausgehende Chefökonom der Bank of England zuletzt zwei Mal in Folge im Geldpolitik-Komitee (MPC) der Zentralbank dagegen, die umfangreichen quantitativen Lockerungen uneingeschränkt fortzusetzen, mit denen die Zentralbank billiges Geld in die Wirtschaft pumpt. Vor wenigen Wochen warnte er davor, dass die rasant steigenden Preise auf dem britischen Wohnungsmarkt die bestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten verstärkten. Und er warnte kürzlich eindringlich davor, drohende Inflationsrisiken zu unterschätzen.

Diesen Punkt unterstrich Haldane nun ein weiteres Mal – und feuerte damit eine Breitseite gegen die Bank of England, der er 32 Jahre lang angehört hat. In einer Rede vor dem Thinktank „Institute for Government“, die er am Mittwoch an seinem letzten Arbeitstag bei der Zentralbank hielt, beklagte Haldane die „Abhängigkeitskultur um billiges Geld“, in die sich viele Personen und Unternehmen begeben hätten. Und er warnte abermals vor drastisch steigenden Preisen.

Er gehe davon aus, dass die steigenden Preise von Verbrauchsgütern die Inflation noch in diesem Jahr näher an die Vier-Prozent-Marke rücken würden, sagte der 53-Jährige, der in wenigen Wochen seinen neuen Posten als Chef der Kultureinrichtung Royal Society of Arts antreten wird. Damit widersprach er seinen ehemaligen Kolleginnen und Kollegen im Geldpolitik-Komitee direkt: Denn die erklärten vergangene Woche, dass die Inflation allenfalls auf auf drei Prozent ansteigen werde. Zudem werde dieser Anstieg nur „vorübergehend“ sein.

Der Ökonom John Cochrane warnt: Die US-Notenbank ist kaum mehr in der Lage, die Zinsen zu erhöhen. Sie sollte Abstand von der Idee nehmen, das Preisniveau jährlich um zwei Prozent zu steigern.
von Malte Fischer

Haldane widersprach auch dieser Einschätzung. Es habe sich historisch immer wieder gezeigt, dass Inflation „immer örtlich begrenzt“ beginne und zeitlich begrenzt wirke, aber oft den Beginn einer größeren Entwicklung markiere. „Lokalisierter Preisdruck wurde zu einem allgemeinem Preisdruck und diese vorübergehenden Preisspitzen verwandelten sich in anhaltendere Preisanstiege“, sagte Haldane. Preisanstiege in vereinzelten Bereichen der britischen Wirtschaft würden sich in einen „bedeutenden und anhaltenden“ Anstieg der Inflation verwandeln, prognostizierte Haldane.

Ein solches Szenario würde die Bank of England dazu zwingen, den Leitzins schneller und stärker zu erhöhen, als es derzeit erwartet werde, fügte Haldane hinzu. Dadurch würden „alle verlieren“: Zentralbanken müssten „die Handbremse ziehen“, Unternehmen und Haushalte würden mit höheren Kredit- und Lebenshaltungskosten konfrontiert und Regierungen würden steigenden Schuldendienstkosten ausgesetzt.

Drei Faktoren gäben den Ausschlag dafür, dass die britische Wirtschaft derzeit rapide an Fahrt aufnehme, sagte Haldane: Die Rücknahme der Corona-bedingen Einschränkungen, gepaart mit einer „starken fiskalen und monetären Reaktion“. Diese erzeuge allerdings eine höhere Nachfrage, als für eine Erholung von der Krise erforderlich sei, erklärte Haldane weiter, was „einer sich bereits erholenden Wirtschaft erhebliche zusätzliche Schwung“ verleihen werde. Hinzu kämen Ausgaben, die Privatpersonen und Unternehmen tätigten, indem sie Geld ausgäben, das sie während der Krise gehortet hätten. „Das Resultat könnte eine makroökonomische Überhitzung sein.“

Sollte sich Haldanes Voraussage bewahrheiten und die Inflation tatsächlich auf vier Prozent ansteigen, dann wäre das doppelt so hoch wie die zwei Prozent, die London der Bank of England als Ziel vorgegeben hat.

Im Mai hat die Inflation diese Zwei-Prozent-Marke bereits durchbrochen und lag bei 2,1 Prozent. Im Monat zuvor waren es noch 1,5 Prozent. Angetrieben wurden die Preissteigerungen unter anderem durch hohe Spritpreise und steigende Preise von Schuhen und Bekleidung, da sich viele Briten nach den Covid-Lockerungen mit neuen Outfits eindeckten. Die Preisanstiege hängen auch mit dem Preisverfall zusammen, der mit der Verhängung des ersten Lockdowns im Jahr zuvor einherging – was die Einschätzung der Bank of England stützt, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handeln könnte.

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Einige Beobachter befürchten jedoch, dass Engpässe in den globalen Lieferketten und steigende Warenpreise gepaart mit einer rapide ansteigenden Nachfrage die Preise in den Geschäften noch stärker und nachhaltiger in die Höhe treiben könnten. Die anhaltenden finanziellen Unterstützungen, die Regierungen Haushalten und Unternehmen bereitstellen, könnten diese Tendenz verstärken, so die Befürchtung. Andere Analysten verweisen darauf, dass ein zu rasches Ende der Unterstützungen die wirtschaftliche Erholung gefährden könnte – zumal ein Ende der Pandemie noch nicht abzusehen ist.

Mehr zum Thema: Starke Preisschübe sind nur ein temporäres Phänomen, sagen die Volkswirte. Doch was, wenn sie sich täuschen? Anleger sollten sich für eine höhere Inflation wappnen – mit den passenden Aktien, Anleihen, Rohstoffen und Edelmetallen.

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