Angst vor dem No-Deal-Brexit Brexit-Prepper trauen dem Frieden nicht

Keine Entwarnung bei den Brexit-Preppern Quelle: imago images

Lange war es still um den Brexit, nun sucht Premierministerin May den Kompromiss mit der Opposition. Doch viele trauen der Sache nicht. Tausende „Prepper“ haben Vorräte angelegt, um auf drohende Engpässe nach einem chaotischen Brexit vorbereitet zu sein.

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Joanna Elgarf ist im Moment vor allem froh über die Verschnaufpause. „Ich habe mir eine geistige Auszeit genommen. Viele Leute sind vom Brexit regelrecht erschöpft. Das war ja wie ein Marathon.“ Elgarf ist eine „Prepperin“, eine von Tausenden Briten, die Vorräte angelegt haben, um vorbereitet zu sein, falls es bei einem ungeordneten Brexit zu Versorgungsproblemen kommt. Ein solcher No-Deal-Brexit, bei dem Großbritannien die EU ohne ein Abkommen verlässt, drohte Ende März. Doch dann gewährte die EU Großbritannien zwei Mal einen Aufschub - erst bis zum 12. April, dann bis Ende Oktober. Der befürchtete Chaos-Brexit blieb aus.

Seitdem herrschte in Großbritannien eine seltsame Ruhe. Das Thema, das die Nachrichten monatelang dominierte und das Land in einem regelrechten Aufruhr gehalten hat, trat praktisch über Nacht in den Hintergrund. Am Sonntag ging Premierministerin Theresa May gar einen Schritt auf ihre Gegner zu und forderte den Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn zu einem schnellen Kompromiss beim Brexit auf. Doch Joanna Elgarf traut dem Frieden nicht.

„Wir hängen weiter in der Luft. Denn es ist ja nichts gelöst worden. Wir haben lediglich ein neues Datum bekommen, den 31. Oktober“, sagt Elgarf. Die dreifache Mutter ist 43 Jahre alt und lebt in Worcester Park, einem Arbeiterviertel im Süden von London. Ein Sieg der EU-Gegner bei den Europawahlen Ende Mai etwa könnte den Befürwortern eines extrem harten Brexits Auftrieb geben, befürchtet Elgarf, und im schlimmsten Fall dazu führen, dass ein Brexit-Hardliner Theresa May auf dem Posten des Premiers ablöst. „Dann könnten wir genauso aus der EU fliegen wie an den beiden anderen Terminen, die wir hatten.“

Chaos in Dover

Die Sorge ist nicht unberechtigt: Sollten sich Brüssel und London bis Ende Oktober nicht über ein Scheidungsabkommen verständigen und die EU-Staats- und Regierungschef Großbritannien keinen weiteren Aufschub gewähren, dann würde das Land tatsächlich automatisch auf einen ungeordneten Brexit zusteuern. In Dover, dem wichtigsten Fährhafen des Landes, könnte es aufgrund der dann notwendigen Zollkontrollen zu langen Verzögerungen kommen, die Versorgungsengpässe zur Folgen haben könnten.

Und die wären im Fall eines ungeordneten Brexit wahrscheinlicher, als man denkt. Denn das Land importiert heute mehr als die Hälfte seiner Lebensmittel aus dem Ausland. Im vergangenen Jahr berichteten britische Medien über Pläne der Regierung, im Notfall die Armee einzusetzen, um Versorgungsgüter in entlegene Landesteile zu schaffen. Die Regierung dementierte diese Bericht zwar umgehend. Doch bei vielen Briten schrillten die Alarmglocken. Immer mehr von ihnen informierten sich darüber, was sie tun könnten, um eventuellen Engpässen vorzubeugen. Die Brexit-Prepper-Szene war geboren.

Der Begriff leitet sich dabei von „be prepared“ ab - sei vorbereitet. Die Bewegung stammt aus den USA und nimmt dort bisweilen bizarre Ausmaße an. So horten manche US-Prepper regelrechte Waffenarsenale, um auf Naturkatastrophen, Bürgerkriege, Terrorangriffe oder den Tag des Jüngsten Gerichts vorbereitet zu sein. Auch Atombunker und geheime Rückzugsorte in den Bergen sind in der US-Szene keine Seltenheit.

Die Sorgen der britischen Prepper sind nicht unberechtigt: Das Land importiert heute mehr als die Hälfte seiner Lebensmittel aus dem Ausland. Quelle: imago images

Dosenfrüchte statt Sturmgewehre

Die Vorbereitungen der britischen Prepper sind dagegen weitaus weltlicher. Die Mitglieder der Facebook-Gruppe „48% Preppers“ etwa tauschen sich darüber aus, welche Lebensmittel in Dosen sich besonders gut als Vorräte eignen und wie man Äpfel dehydriert. Die Gruppe, die von Leuten gegründet wurde, die beim Referendum 2016 für einen Verbleib in der EU gestimmt haben - daher die „48%“ im Namen -, hat heute mehr als 10.000 Mitglieder. Joanna Elgarf ist eine der Moderatorinnen. „Wir sind ganz gewöhnliche Leute“, betont sie.

Eine der Regeln der Gruppe lautet: nicht über Politik diskutieren. Der Brexit hat Großbritannien dermaßen aufgewühlt, dass darüber Beziehungen, Freundschaften und sogar Familien zerbrochen sind. „Neulich habe ich wieder Diskussionen über Politik gestoppt“, erzählt Elgarf. „Damit möchte ich sicherstellen, dass wir eine neutrale Gruppe bleiben.“

„Es herrscht immer noch Unsicherheit“

Derzeit brauche sie ihre Vorräte auf, die sie für den Brexit-Termin im März angelegt habe, erzählt Elgarf weiter. Doch falls es in einigen Wochen weiterhin keine Anzeichen auf eine einvernehmliche Lösung zwischen London und Brüssel geben sollte, werde sie wieder anfangen, zusätzliche Lebensmittel und Verbrauchsgüter einzukaufen.

Keine Panik

Ein Buch, das unter den Brexit-Preppern seit einigen Monate die Runde macht, heißt „Preparing for Brexit: How to Survive the Food Shortages“. Der Autor, der es unter dem Namen „A.J. Rawson“ bei Amazon ein Eigenregie veröffentlich hat, beschreibt darin, wie man Vorräte anlegt, wie man im Haus Raum schafft für Vorratslager und welche Produkte sich dafür eignen.

Rawson, der im Norden Englands lebt, sagte der Nachrichten-Webseite iNews, er habe vor wenigen Jahren erlebt, wie schnell sich die Regale in den Supermärkten geleert hätten, als das Dorf, in dem er lebt, eingeschneit worden sei. Diese Erfahrung habe ihn im vergangenen Jahr dazu veranlasst, Reserven für den Fall eines chaotischen Brexits anzulegen. „Ich habe das Buch geschrieben (..), weil ich gesehen habe, dass sich Menschen Sorgen um die Zukunft gemacht haben, aber nicht wussten, was sie tun sollen“, sagte Rawson. „Mein Rat lautet zunächst: nicht in Panik geraten. Ruhig bleiben, einen Plan machen und von da aus weitermachen.“

Dabei sind es nicht nur beunruhigte Bürgerinnen und Bürger, die sich auf mögliche Engpässe vorbereiten. Auch viele Unternehmen haben Vorräte angelegt, damit im Fall eines chaotischen Brexits wegen fehlender Teile oder Rohstoffe die Produktion nicht ins Stocken gerät. Die Lagerhäuser des Landes quellen deswegen derzeit über. Coca Cola hat in Großbritannien wegen des drohenden No-Deal-Brexits dermaßen viele Rohstoffe gehortet, dass der Konzern im vergangenen Jahr allein deswegen einen Wachstumsschub erlebt hat.

Helena Adams ist im Moment heilfroh darüber, dass sie Vorräte angelegt hat. Die 27-Jährige, die in der walisischen Hauptstadt Cardiff lebt, hat sich vor einigen Tagen den Arm gebrochen. Da auch sie aus Sorge vor einem Chaos-Brexit zu Hause Lebensmittel und Verbrauchsgüter gelagert hat, kann sie es sich im Moment sparen, sich mit ihrem Gipsarm zu ihrem lokalen Supermarkt zu schleppen.

Nach dem EU-Referendum, bei dem sie für einen Verbleib in der EU gestimmt hat, habe sie noch gar nicht daran gedacht, dass der Brexit Versorgungsprobleme mit sich bringen könnte. „Vor etwa einem Jahr wurde dann zunehmend berichtet, dass es Probleme an den Grenzen geben könnte. Da habe ich angefangen, übers 'Preppen' nachzudenken.“

Dabei habe sie im Wesentlichen nur Dinge gekauft, die sie ohnehin benötige, „aber eben früher“, erklärt Helena Adams: Reinigungsmittel, Toilettenartikel, Makeup, ein Erste-Hilfe-Set, Tomaten und Bohnen in Dosen, Saucen, Reis, Pasta. Auch Adams, die betont, dass sie einen Abschluss in Politikwissenschaften hat, glaubt nicht, dass das Thema Brexit schon ausgestanden ist. „Wir könnten immer noch am 31. Oktober aus der EU fliegen, oder sogar davor. Es herrscht immer noch Unsicherheit.“

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