Brexit Nach der Abstimmung beginnt der Kampf um Europa

Seite 4/4

"Immer engere Union" oder Schacher-Politik

Zu den Auswirkungen des britischen Referendums auf die Europapolitik innerhalb der anderen Mitgliedstaaten kommt allerdings vermutlich noch eine Verschärfung der Debatte auf EU-Ebene.  Ein Streit, der bis zur Entscheidung in Großbritannien bewusst hintangestellt wurde, um im dortigen Abstimmungskampf die Wogen nicht noch höher schlagen zu lassen.

Es geht um den Streit zwischen den EU-Föderalisten vom Schlage des Parlamentspräsidenten Martin Schulz, die den Weg zu einer „immer engeren Union“, von dem sich Großbritannien durch Camerons Sonder-Deal ohnehin verabschiedet hat, nun erst recht zielstrebig gehen wollen.

Und auf der anderen Seite jenen in Brüssel und den Hauptstädten, die eher eine intergouvernementale Union wollen. Die also das ganze Projekt neu überdenken und eher Kompetenzen bei den nationalen Regierungen halten wollen. Am Pro und Contra von Begriffen wie der „immer engeren Union“ oder „mehr Europa“ wird sich dieser Streit aufheizen.

Freudenstein vermutet, dass die EU-Föderalisten, deren Ziel letztlich die „Europäische Republik“ (so ein aktueller Buchtitel von Ulrike Guérot) ist, gerade im Falle des britischen Ausstiegs Oberwasser bekommen werden.

Auch in der Bundesregierung würden manche, vielleicht Wolfgang Schäuble oder sogar Kanzlerin Merkel möglicherweise einen Finanzminister für die Eurozone oder ähnliches fordern, schätzt Freudenstein. 

Dass sie sich damit bei den europäischen Völkern – inklusive den Deutschen – beliebter machen, ist unwahrscheinlich. Bevölkerungsmehrheiten für eine weiter vertiefte Union gibt es vermutlich in kaum einem wichtigen Mitgliedsland.

Ulrich Speck von der Transatlantic Academy schlägt daher einen Mittelweg zwischen dogmatischem EU-Föderalismus und nationalistischer Schacher-Politik vor. Der Nationalstaat werde die zentrale Instanz für politische Macht und deren Legitimation bleiben. Aber die Pro-EU-Kräfte müssten viel besser darstellen, dass die EU den Nationalstaaten gute Dienste leistet. Wenn die EU den Weckruf des Referendums nicht erhöre, so Speck, werde sie auseinanderfallen.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%