Delta-Variante des Coronavirus Großbritannien als Warnung: Massiver Anstieg der Infektionen, obwohl 77 Prozent geimpft sind

Eigentlich hatte Premierminister Boris Johnson am 21. Juni fast alle Covid-Beschränkungen in Großbritannien aufheben wollen. Nun kommt aber die Delta-Varinate des Coronavirus' dazwischen. Quelle: AP

Großbritannien wollte am 21. Juni fast alle Corona-Beschränkungen aufheben. Doch nun breitet sich trotz einer hohen Impfrate die Delta-Variante des Coronavirus überall im Land aus. Der Termin wird deshalb nun verschoben.

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Eigentlich war schon seit Monaten alles durchgeplant: Die Impfkampagne in Großbritannien, die bereits im Dezember begann, lief von Anfang an ausgesprochen gut. Der staatliche Gesundheitsdienst NHS lieferte die Impfstoffe bis in die hintersten Landesteile und die Menschen in Großbritannien erwiesen sich als impfwilliger als gedacht. Die Fallzahlen und Todeszahlen, die im Januar für einige Tage noch die höchsten weltweit waren, gingen rapide zurück.


Ein Ende der Coronakrise erschien zum ersten Mal greifbar. Die britische Regierung zeigte sich so zuversichtlich, dass Premier Boris Johnson bereits im Februar einen vierstufigen Plan für den Ausstieg aus dem Lockdown vorstellte.

Mit der letzten Stufe, die für den 21. Juni angepeilt war, sollten idealerweise beinahe alle Beschränkungen aufgehoben werden. Es wäre der krönende Abschluss einer britischen Corona-Politik, die nach vielen Patzern zum Schluss doch noch die Kurve gekriegt und vieles richtig gemacht hat.

Doch jetzt ist klar, dass dieser Termin zum 21. Juni nicht zu halten ist. Großbritannien verlängert die Corona-Beschränkungen um einen Monat. Denn trotz der immens hohen Impfrate – rund vier von fünf Erwachsenen haben eine Dosis eines Impfstoffs erhalten, mehr als Hälfte ist voll geimpft – schießen die Fallzahlen derzeit wieder rapide in die Höhe. Die Sieben-Tages-Inzidenz liegt derzeit bei 64,7.

Laut den am Donnerstag veröffentlichten Daten der Zoe-Covid-Symptomstudie, an der führende Kliniken in London beteiligt sind, hat sich die Zahl der Neuerkrankungen in der vergangenen Woche mehr als verdoppelt, auf mehr als 11.000 am Tag. Der Anstieg spielt sich in allen Landesteilen ab.

Die Gesundheitsbehörde Public Health England veröffentlichte Daten, denen zufolge der Anstieg in beinahe allen Altersgruppen erfolgt. Besonders stark betroffen sind die 20-29-Jährigen – von denen bislang nur ein geringer Teil geimpft ist.

Schuld an dem rasanten Anstieg ist aus Sicht vieler Forscher vor allem die Delta-Variante des Coronavirus, die sich seit Wochen rasant im gesamten Land ausbreitet. Die Variante, die zum ersten Mal in Indien in entdeckt wurde, ist nach Schätzungen von Public Health England in etwa 60 Prozent ansteckender als die in Großbritannien bislang vorherrschende britische Variante (die in Großbritannien unter dem Begriff „Kent-Variante“ läuft). Demnach ist diese Variante für bis zu 96 Prozent aller Neuerkrankungen verantwortlich. Und die Variante scheint zu etwas schwereren Krankheitsverläufen zu führen als frühere Varianten.

Die neuen Zahlen geben jedoch auch Grund zur Hoffnung: Denn der rasante Anstieg an Neuerkrankungen geht derzeit noch nicht mit einer rapide steigenden Zahl an Krankenhaus-Einlieferungen und Todesfällen einher. Forscher gehen daher davon aus, dass die bisherigen Impfungen auch gegen die neue Variante einen weitreichenden Schutz bieten. Der Impfschutz nach nur einer Dosis scheint jedoch bei einigen Impfstoffen deutlich geringer zu sein als bei anderen Varianten des Coronavirus – was zu dem sprunghaften Anstieg an Neuinfektionen beiträgt. Daher hat die Regierung in London schon vor Wochen die Gabe der zweiten Dosen beschleunigt.
Dennoch drängten zahlreiche Forscher zuletzt auf eine Verschiebung der geplanten Aufhebung der Beschränkung zum 21. Juni. Sie befürchteten, dass es andernfalls angesichts der steigenden Fallzahlen trotz der hohen Impfrate eine schwerwiegende dritte Welle geben könnte. John Bell, Medizinprofessor an der Universität Oxford, sagte der Zeitung „Financial Times“, die Zahl der vollständig geimpften Personen in Großbritannien sei „zu niedrig“, als dass er sich mit vollständigen Lockerungen zum 21. Juni „wohlfühlen“ könne.

Auch andere Gesundheitsexperten schlugen Alarm. Jim McManus, Vizedirektor der Association of Directors of Public Health, sprach sich für eine Verschiebung der Aufhebung der Lockerungen um vier Wochen aus. „Wenn wir am 21. Juni sämtliche Maßnahmen aufheben, riskieren wir eine Umkehrung der erheblichen Fortschritte, die wir gemacht haben“, sagte McManus in einem Radiointerview. Eine verfrühte Aufhebung könnte nicht nur zu einem Anstieg bei den Infektionen und Krankenhaus-Einweisungen führen, sondern auch zur Entstehung „neuer Varianten, die unser Impfprogramm untergraben und unseren Weg zurück in die Normalität untergraben würde.“

Nun berichtete am Freitagabend zunächst die britische Zeitung „The Sun“, dass Premierminister Boris Johnson vorhabe, die geplanten Lockerungen um einen Monat zu verschieben. Statt am 21. Juni sollen diese dem Bericht zufolge erst am 19. Juli vollzogen werden. Johnson gab dies dann auch am Montagabend bekannt. Für den britischen Regierungschef dürften die derzeitigen Entwicklungen besonders unangenehm sein. Denn nach den etlichen Patzern seiner Regierung des vergangenen Jahres schwebte der Premier zuletzt wegen der erfolgreichen Impfkampagne auf einem Umfragehoch. Sollte es jetzt Rückschläge geben, dürften ihm das viele Briten direkt ankreiden.

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Denn Johnson hat im April – mal wieder – die Warnungen der Experten ignoriert und Indien erst sehr spät auf die „rote Liste“ der Länder gesetzt, für die strengste Auflagen gelten. Pakistan und Bangladesch landeten schon am 2. April auf dieser Liste, Indien kam er 17 Tage später hinzu. Offenbar wollte Johnson die indische Regierung nicht verärgern. Der Brexit-Premier erhofft sich von Delhi ein großzügiges Handelsabkommen.

Mehr zum Thema: Wie gefährlich sind die Corona-Mutationen? Die Virologin Helga Rübsamen-Schaeff sagt voraus, dass es Dritt- oder Viertimpfungen geben wird und wie lange es dauert, um die Impfstoffe an die Mutationen anzupassen.

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