EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen räumt Versäumnisse bei der Beschaffung von Impfstoffen ein. Man habe unterschätzt, welche Komplikationen auftreten könnten, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“ (Freitagausgabe). „Wir hätten früher wissen müssen, dass es bei diesen neuen Verfahren zu Beginn eine Achterbahnfahrt geben wird, bevor man einen stabilen Prozess erreicht. Dafür kann man uns kritisieren.“ Die EU habe sich sehr stark auf die Entwicklung eines Vakzins konzentriert. „Rückblickend hätten wir stärker parallel über die Herausforderungen der Massenproduktion nachdenken müssen.“ Zudem hätte man besser kommunizieren können. Auf die Kritik, die EU habe Impfstoffe zu zögerlich bestellt, erwiderte von der Leyen, die EU sei mehr ein Tanker, während ein Land ein Schnellboot sein könne.
Die EU-Kommission hat für die 27 Mitgliedsstaaten bis zu 2,3 Milliarden Impfdosen bei sechs Pharmafirmen bestellt. Allerdings liefern die Firmen derzeit weniger als zugesagt. Bislang hat die EU von der Leyen zufolge etwas über 20 Millionen Dosen erhalten. Im Februar kämen rund 33 Millionen und im März rund 55 Millionen Dosen hinzu. Im ersten Quartal 2021 seien es insgesamt etwa 100 Millionen. „Sehr konservativ geschätzt werden es im zweiten Quartal 300 Millionen Dosen sein.“
Normalerweise dauere es fünf bis zehn Jahre, einen Impfstoff zu entwickeln, erklärte von der Leyen den Fokus der EU auf die Entwicklung. Zudem habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erst im März die Epidemie zur Pandemie erklärt. „Neue Lieferketten aufbauen, die Fertigung hochfahren: Das hätten wir früher machen können“, räumte die CDU-Politikerin ein.
Die EU ziehe ihre Lehren daraus und spreche bereits mit der Industrie über die Gefahr, dass bei Virus-Mutanten die bekannten Impfstoffe wenig nützen könnten. „Wir müssen die Forscher dann dabei unterstützen, die Vakzine sofort anzupassen, und wir müssen sicherstellen, dass wir die Fertigung einer zweiten Generation von Vakzinen hochfahren können. Wir müssen in neue Produktionskapazitäten investieren, im Wissen, dass es Monate dauert, bis sie voll einsatzfähig sind.“ Bei der Abstimmung innerhalb der EU müsse man sich „selbst Druck machen“, um bei jedem einzelnen Schritt schnell und effizient zu sein.
Mit Blick auf Ungarn, das anders als die EU bereits russische und chinesische Impfstoffe zugelassen hat, sagte von der Leyen, einzelnen Regierungen könnten auch Notfallzulassungen für ihr Land erteilen. Dann gehe aber die Haftung vom Produzenten auf die Regierung über.
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