
Lange Zeit war die deutsche Berichterstattung über Finnland ungefähr so ausgeglichen wie die der drolligen Internetseite „goodnewsfinland.com“: Auf der von der finnischen Industrie finanzierten Seite ist der Name Programm. Hier gibt es nur Positives zu lesen, denn die Seite soll Investoren anlocken.
In Deutschland waren es vor allem das tolle Schulsystem, die erfindungsreichen Unternehmen, die nette Sozialpolitik und die niedrigen Schulden, die Finnland attraktiv machten. Doch selbst die größten Skandinavienfreunde finden dazu in letzter Zeit kaum noch Anlass. Denn als ökonomisches Vorbild taugt das Land nicht mehr.
Staatsschulden verdoppelt
Seit der Finanzkrise 2008 haben sich die Staatsschulden von 54 Milliarden auf 94 Milliarden Euro fast verdoppelt, die Arbeitslosigkeit dürfte bald die Marke von zehn Prozent erreichen. Allein seit Juni 2013 ist die Arbeitslosenquote um 1,4 Prozentpunkte von 7,8 auf 9,2 Prozent gestiegen. Zwar erreichen die Staatsschulden gerade erst das kritische Niveau von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Doch es ist die negative Dynamik, die immer mehr Experten Sorgen macht.
Sowohl 2012 als auch 2013 ist die Wirtschaft deutlich geschrumpft, für das laufende Jahr schwanken die Entwicklungen um den Nullpunkt. Zusammen mit Zypern liegt Finnland damit am Ende aller Euro-Staaten. Im Frühling hat Standard&Poor's als erste Ratingagentur ihren Ausblick für die Kreditwürdigkeit des Landes gesenkt.
Wissenswertes über Finnland
Finnland ist zwar nur wenig kleiner als Deutschland, dafür hat das Land im Norden lediglich 5,4 Millionen Einwohner. Die Mehrheit davon wohnt im Süden des Landes und im Großraum Helsinki. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben in Südfinnland, das entspricht einer Dichte von 62,6 Einwohnern pro Quadratkilometer. Im Norden des Landes, in Lappland, sind es nur 1,9 Einwohner je Quadratkilometer.
Die finnische Nationalhymne wird in mehrfacher Hinsicht geteilt: Zum einen benutzt Estland die gleiche Melodie (komponiert von Fredrik Pacius) als Nationalhymne, zum andern existiert die finnische Hymne in zwei Sprachen. Ein Großteil der Bevölkerung singt die Maamme (finnisch), während ein kleiner Teil Vårt land (schwedisch) singt. Die autonome Provinz Åland hat ihre ganz eigene Nationalhymne, das Ålänningens sång.
Wegen der schwedischen Minderheit müssen alle Gemeinden, in denen Finnisch und Schwedisch sprechende Menschen leben, Unterricht in beiden Sprachen anbieten. Die Schulpflicht gilt in Finnland wie auch in Deutschland bis zum 16. Lebensjahr. Neun Jahre lang gehen die Finnen in die peruskoulu, eine Art gemeinsame Grundschule.
In Finnland haben drei Konzerne die Macht über den Lebensmittel- und Getränkemarkt: S-Markt, K-Markt und Suomen Lähikauppa halten gemeinsam fast 90 Prozent. Ausländische Konzerne und Ketten haben es wegen des geringen Marktvolumens eher schwer. Bäckerei- oder Fleischerketten gibt es in Finnland kaum.
Die Finnen verkaufen seit jeher Holz und Papier. In den Siebzigerjahren machten diese Industriezweige über die Hälfte des finnischen Exportes aus. Dann kamen Nokia und Co. und Finnland wandelte sich von einer Agrar- zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Doch auch heute noch stellen die finnischen Wälder den wichtigsten Rohstoff des Landes dar.
Dennoch sind mittlerweile Maschinen der finnische Exportschlager (8,4 Milliarden Euro in 2010). Sie machen 16 Prozent des Exports aus. Gefolgt von Papier und Pappe mit 14 Prozent (7,3 Milliarden Euro im Jahr 2010). Außerdem ist Heavy Metal in Finnland ausgesprochen populär. Die Finnen versorgen Europas und Amerikas Metal-Fans mit Rock- und Metalbands wie Children of Bodom, Nightwish oder dem Eurovision Song Contest-Gewinner Lordi.
Namhafte Finnen sind die Regisseure Aki und Mika Kaurismäki, die Komponisten Jean Sibelius und Levi Madetoja, sowie die Rennfahrer Mika Häkkinen und Kimi Räikkönen. Der reichste Finne ist laut aktueller Forbes-Liste übrigens Antti Herlin, der es dank seiner Maschinenbau- und Servicefirma KONE Corporation auf ein Vermögen von rund zwei Milliarden Dollar gebracht hat.
Der gemeine Finne betätigt sich gern sportlich, zum Teil auch in kuriosen Disziplinen. Großer Beliebtheit erfreut sich in Finnland beispielsweise das Frauentragen. Die "Wife Carrying World Championship Games" finden in Sonkajärvi in Ostfinnland seit 1992 statt. Genauso beliebt sind Melkschemel- oder Handy-Weitwurf, Mückenklatschen und Beeren pflücken als Teamsport. Seit 2011 finden übrigens auch Weltmeisterschaften im Schlammfußball in Finnland statt.
Alkohol ist in Finnland verhältnismäßig teuer, auch wenn 2004 die Alkoholsteuer um 33 Prozent gesenkt worden ist. Auch der Verkauf ist streng reglementiert: Getränke mit mehr als 4,7 Prozent Alkoholgehalt dürfen nur in staatlichen Monopolgeschäften, den Alkoshops, verkauft werden. Wer in der Kneipe eine Flasche Bier bestellt, muss 18 Jahre alt sein und mit fünf Euro pro Flasche rechnen. Vom Trinken scheint das die Finnen aber nicht abzuhalten. Im Jahr 2005 war Alkohol die häufigste Todesursache unter Finnen im arbeitsfähigen Alter.
Befeuert wird diese Sorge durch zwei aktuelle Entwicklungen, die den Fokus auf Finnlands große Probleme lenken. Da ist zum einen die Ukraine-Krise. Noch wird in der europäischen Union diskutiert, aber angesichts der jüngsten Ereignisse scheinen wirklich scharfe Sanktionen gegen Russland inzwischen nahezu unausweichlich. Die aber werden kein Land so hart treffen wie Finnland, das eine knapp 1300 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt.
Viele Verbindungen
Die wirtschaftlichen Verbindungen sind vielfältig. Denn Finnland ist schon lange ein Land des Austausches zwischen West und Ost. Während des kalten Krieges nahmen die Finnen eine neutrale Position ein, was ihnen gute Geschäfte mit dem Nachbarn im Osten ermöglichte. Als der eiserne Vorhang fiel, zog die untergehende Sowjetrepublik die Nachbarn zwar mit hinein in den wirtschaftlichen Abwärtssog, die Bindung zu den einstigen Besatzern im Osten aber haben die Finnen nie aufgegeben.
Über dem alten Hafen der Hauptstadt Helsinki strahlt neben dem leuchtend weißen Dom der Lutheraner die orthodoxe Uspenski-Kathedrale. Der Nato sind die Finnen bis heute nicht beigetreten, auch wenn sich angesichts des Vorgehens der Russen in der Ukraine die Stimmen nach einem solchen Schritt mehren. Trotz einer wachsenden politischen Distanz zwischen den Nachbarn sind vor allem die wirtschaftlichen Verflechtungen tiefgreifend.
Zum einen sind da die Investitionen der Russen in Finnland. Viele Russen haben an der baltischen Küste Finnlands Eigentum erworben und damit die Konjunktur am Immobilienmarkt entscheidend mitgeprägt. Auch der Tourismus in der Hauptstadt Helsinki hängt stark von den Besuchern aus Russland ab.
Wirtschaftliche Schwäche
Vor allem aber sind die finnischen Unternehmen sehr aktiv in Russland. So betreibt der finnische Konzern Stockmann Filialen in Russland, die großen finnischen Holzverarbeitungskonzerne beziehen wichtige Teile ihrer Rohstoffe aus Russland. Und dann ist da natürlich das Thema Energie.
Anders als die Nachbarn Schweden und Norwegen gibt es in Finnland keine nennenswerten Wasserkraftwerke, neben den wenigen Atomkraftwerken ist das Land völlig auf russische Importe angewiesen. Entsprechend ist Russland das größte Lieferland der Finnen mit einem Anteil von 18 Prozent an allen Importen.
Doch damit nicht genug. Zu den ungünstigen Rahmenbedingungen kommt eine fundamentale Schwäche der finnischen Wirtschaft selbst. Jahrelang hat der Erfolg Nokias den Blick auf Finnland dabei ein wenig verklärt. Den jenseits des innovativen Konzerns, der zeitweise für zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich war, gab es nie viele wachstumsstarke Konzerne in dem Land. Zu den wenigen Ausnahmen gehört der Aufzughersteller Kone.