




Kurz bevor in der Nationalversammlung die Kraftprobe um die heftig umstrittene Arbeitsmarktreform beginnt, wiederholt Präsident François Hollande sein neues Mantra. „Frankreich geht es besser“ - „La France va mieux“: Seit Tagen versuchen Hollande und seine Getreuen verzweifelt, den Ton der Debatte zu ändern. Denn ein Jahr vor den nächsten Wahlen schreiben manche Beobachter den 61-Jährigen schon ab. Es ist klar: Beim Streit um die Neufassung des Arbeitsrechts liegt ein Stück weit auch das Schicksal des Staatschefs in der Waagschale.
Die wohl letzte große Reform dieser Amtszeit hat einen Keil in Hollandes Sozialistische Partei (PS) getrieben. Der linke Flügel wittert Verrat an sozialen Errungenschaften. Doch damit nicht genug: Der Präsident hat einen Dauerparkplatz in der Tiefgarage der Beliebtheitsumfragen gepachtet, Jugendproteste bringen die Regierung in Verlegenheit, und ein umtriebiger Wirtschaftsminister mit unklaren Ambitionen läuft dem Chef den Rang ab.
Nach Einschätzung des federführenden Parlamentariers fehlen fast 40 Stimmen, um eine Mehrheit für den Gesetzentwurf zu erreichen. 5000 Änderungsanträge liegen vor, Arbeitsministerin Myriam El Khomri muss sich auf harte Tage einstellen. Die Regierung will flexiblere Regeln für Unternehmen und argumentiert, dass diese dann leichter neue Jobs schaffen können. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen auf Betriebsebene etwa die Ausgestaltung von Arbeitszeiten aushandeln können. El Khomri verspricht eine neue „Kultur des Dialogs“.
So benehmen Sie sich in Frankreich richtig
Der frühere Staatspräsident Jacques Chirac begrüßte zwar Kanzlerin Angela Merkel mit Handkuss. Doch ist der längst aus der Mode. Wer eine Dame besser kennt, begrüßt sie mit je einem angedeuteten Kuss links und rechts auf die Wangen. Aber bitte nie beim
Erstkontakt!
Wer mit der Tür ins Haus fällt, gilt als unhöflich. Wer nur Stärken präsentiert, fällt eher unangenehm auf. Geben Sie ruhig mal Fehler zu. Das gilt hier als Tugend. Wichtiger ist, diplomatisch zu bleiben und das Gesicht des anderen zu wahren. Offener Streit wird immer vermieden.
Bei manchen Einladungen wird die Kleiderordnung angegeben. „Tenue de soirée“ bedeutet Abendgarderobe, also dunkler Anzug und Krawatte beziehungsweise Abendkleid. Bei „Tenue de ville“ wird ein legerer Anzug beziehungsweise Kostüm erwartet. Die Krawatte
kann dabei wegbleiben.
Sollten nie abgelehnt werden. Fauxpas! Bei Zeitmangel kann man aber auf ein Bistro ausweichen. Nach wie vor wird in Frankreich vieles beim Essen verhandelt.
Selbst bei offiziellen Anlässen ist eine Krawatte nicht zwingend. Besucher bei Staatspräsident Nicolas Sarkozy erschienen auch schon mal mit offenem Hemdkragen. Ein Anzug oder eine Kombination sind allerdings ein Muss.
Bei privaten Einladungen ist es üblich, der Dame des Hauses einen Blumenstrauß oder Pralinés mitzubringen. Die Blumen sollten nicht ausgepackt werden, weil die oft kunstvolle Verpackung Teil des Präsents ist.
Gegenüber Damen ist man(n) in Frankreich stets Kavalier, hält ihr die Tür auf und hilft in den Mantel. Im Restaurant werden Frauen grundsätzlich zuerst bedient. Erst wenn allen Damen serviert ist, sind die Herren dran. Und erst wenn alle etwas haben, wird mit
dem Essen begonnen.
Ein Dessert nach dem Essen ist kein Muss, dafür wird meist Kaffee getrunken. Es kann auch ein Deca (ohne Koffein) oder eine Tisane (Kräutertee) sein. Übrigens: Erst danach wechselt das Gespräch zum Geschäftlichen. Nie vorher!
Lautes Zuprosten und Anstoßen gilt als unfein. Üblich ist allein, das Glas zu erheben und ein Anstoßen anzudeuten.
Getrennte Rechnungen kennt man in Frankreich nicht. Einer zahlt stets für alle am Tisch. Als Trinkgeld werden ein paar Münzen liegen gelassen – aber ohne Kommentar à la „Stimmt so“. Die Franzosen geben weniger Trinkgeld als die Deutschen. Zehn Prozent sind
schon das Maximum.
Nie selbst einen Tisch ansteuern! Richtig: Warten bis der Ober einen anspricht und zum Tisch führt. Sein Vorschlag darf allerdings abgelehnt und ein anderer Tisch gewünscht werden.
Ist zwecklos. Bei Franzosen ist in Meetings alles offen – und möglich. Manche Entscheidung fällt gar während der Kaffeepause.
Zu Geschäftsessen ist Wein üblich, sollte aber in Maßen getrunken werden. Ein Glas reicht. Nach dem Hauptgang wird der Wein wieder abgeräumt.
Ist in Frankreich ein dehnbarer Begriff, Veranstaltungen beginnen selten pünktlich.
Kritiker sehen darin hingegen die Gefahr von Sozialdumping und einer Aufweichung von Arbeitnehmerrechten. „Dieser Gesetzentwurf ist der Reformen, die man von der Linken erwartet, nicht würdig“, schimpfte Christian Paul, Sprecher der abtrünnigen PS-Abgeordneten, in der Zeitung „Le Figaro“. Dabei hatte die Regierung den Vorschlag schon abgeschwächt - weshalb nun der größte Arbeitgeberverband murrt. Vor allem aber hat sich im Windschatten der Reform ein sehr viel umfassenderer Unmut Bahn gebrochen. Die Protestbewegung „Nuit debout“ (etwa: Nacht im Stehen), die seit Wochen Abend für Abend auf den Pariser Platz der Republik strömt, ist von Misstrauen gegenüber den Institutionen geprägt. „Es gibt eine Vertrauenskrise und eine große Enttäuschung über die Linksregierung“, sagt Jens Althoff, Leiter des Pariser Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Vor allem junge Leute fühlen sich abgehängt, fast ein Viertel von ihnen ist arbeitslos.
Eine Sehnsucht nach neuen Hoffnungsträgern könnte zum Teil auch den Wirbel erklären, den der dynamische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron auslöst. Der 38 Jahre junge Ex-Banker inszeniert sich als Querkopf und stößt mit seinen wirtschaftsnahen Positionen in Interviews regelmäßig das Establishment der Sozialisten vor den Kopf. Nachdem Macron eine eigene Bewegung gegründet hat, die er bewusst weder links noch rechts einordnen möchte, spekuliert das politische Paris eifrig, ob er es nicht doch auf eine Präsidentschaftskandidatur abgesehen hat. In Umfragen jedenfalls schneidet das Phänomen Macron deutlich besser ab als der Präsident.
Nun gibt es aber in der Tat auch Hoffnungsschimmer für Hollande. Die Arbeitslosigkeit ist im März nach einem erneuten Rekordhoch überraschend stark gesunken, das Wachstum im ersten Quartal übertraf mit 0,5 Prozent die Erwartungen. Große Gewerkschaften kämpfen weiter gegen die Reform, doch die Beteiligung war zuletzt eher rückläufig.
Frankreich-Experte Althoff erinnert zur Relativierung des Streits in Frankreich daran, welche Wellen die Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“ in Deutschland geschlagen hatten. Immerhin habe das Vorhaben von SPD-Kanzler Gerhard Schröder damals zu einem Regierungswechsel und zur Gründung einer neuen Partei geführt. Doch auch er ist angesichts des Streits im eigenen Lager skeptisch, was eine möglichen neue Kandidatur Hollandes angeht. „Wie es gelingen soll, eine mit 2012 vergleichbare Mobilisierung im linken Spektrum hinzukriegen, kann ich derzeit nicht erkennen.“