Frankreich Ringen um Arbeitsmarktreform

Ein Stammplatz im Umfragekeller und Aufruhr gegen seine Arbeitsmarktreform setzen Frankreichs Staatschef Hollande zu. Kann er das Ruder bis zur Wahl noch herumreißen und die Basis zusammenhalten?

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Was deutsche Unternehmen an Frankreich nervt
Die Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer und EY haben 181 deutschen Unternehmen in Frankreich nach ihrer Zufriedenheit befragt. Das Ergebnis ist gar nicht rosig: 2014 beurteilen 73 Prozent der befragten Unternehmen die wirtschaftliche Situation auf dem französischen Markt als schlecht, neun Prozent sogar als sehr schlecht. Vor zwei Jahren sahen 57 und sechs Prozent die Aussichten ähnlich finster. Für das kommende Jahr rechnen 33 Prozent der Befragten mit einer weiterhin schlechten Wirtschaftslage. Heißt: Die Mehrheit sieht ein Licht am Ende des Tunnels. "Zwei Drittel der befragten Unternehmen bekräftigen, dass ihre Muttergesellschaft wieder in Frankreich investieren würde", sagt Nicola Lohrey, Executive Director bei der Rechtsanwaltsgesellschaft EY. Quelle: dpa
58 Prozent der befragten Unternehmen stören sich daran, dass der Arbeitsmarkt nicht flexibel genug ist (2012: 50 Prozent). Quelle: dpa
Auf die Frage, welche Faktoren am meisten Einfluss auf ihre Geschäftslage ausüben, nannten 43 Prozent die Lohnkosten und 35 Prozent Steuern und Abgaben. Letztere halten 56 Prozent der befragten Unternehmen für zu hoch. 2012 waren es noch 60 Prozent. Quelle: dpa
Auch das Arbeitsrecht wird als zu rigide empfunden. 47 Prozent halten die arbeitsrechtlichen Normen für zu kompliziert (2012: 50 Prozent). Die Unternehmen würden sich folglich mehr Flexibilität in diesem Bereich wünschen. Dasselbe gilt für die Komplexität und andauernde Zunahme gesetzlicher Reglementierungen. Quelle: dpa
Die Steuern auf das Arbeitseinkommen in Frankreich halten 37 Prozent der befragten Unternehmer für zu hoch. Quelle: dapd
23 Prozent empfinden die französischen Steuerregelungen allgemein als zu kompliziert. Im Jahr 2012 sagten das noch 35 Prozent. Quelle: dpa
Im Bereich der Politik wünschen sich die befragten deutschen Unternehmer Strukturreformen, die zwar häufig angekündigt, aber nicht immer umgesetzt werden. Sie wünschen sich langfristige Berechenbarkeit und eine klare Linie, an der sie sich orientieren können. "Die Unternehmen brauchen eine Vision auf lange Sicht, die ihnen die französische Politik derzeit nur unzureichend vermittelt", sagt Damien Schirrer, Geschäftsführer von Orbis, der in der Studie zitiert wird. Quelle: AP

Kurz bevor in der Nationalversammlung die Kraftprobe um die heftig umstrittene Arbeitsmarktreform beginnt, wiederholt Präsident François Hollande sein neues Mantra. „Frankreich geht es besser“ - „La France va mieux“: Seit Tagen versuchen Hollande und seine Getreuen verzweifelt, den Ton der Debatte zu ändern. Denn ein Jahr vor den nächsten Wahlen schreiben manche Beobachter den 61-Jährigen schon ab. Es ist klar: Beim Streit um die Neufassung des Arbeitsrechts liegt ein Stück weit auch das Schicksal des Staatschefs in der Waagschale.

Die wohl letzte große Reform dieser Amtszeit hat einen Keil in Hollandes Sozialistische Partei (PS) getrieben. Der linke Flügel wittert Verrat an sozialen Errungenschaften. Doch damit nicht genug: Der Präsident hat einen Dauerparkplatz in der Tiefgarage der Beliebtheitsumfragen gepachtet, Jugendproteste bringen die Regierung in Verlegenheit, und ein umtriebiger Wirtschaftsminister mit unklaren Ambitionen läuft dem Chef den Rang ab.

Nach Einschätzung des federführenden Parlamentariers fehlen fast 40 Stimmen, um eine Mehrheit für den Gesetzentwurf zu erreichen. 5000 Änderungsanträge liegen vor, Arbeitsministerin Myriam El Khomri muss sich auf harte Tage einstellen. Die Regierung will flexiblere Regeln für Unternehmen und argumentiert, dass diese dann leichter neue Jobs schaffen können. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sollen auf Betriebsebene etwa die Ausgestaltung von Arbeitszeiten aushandeln können. El Khomri verspricht eine neue „Kultur des Dialogs“.

So benehmen Sie sich in Frankreich richtig

Kritiker sehen darin hingegen die Gefahr von Sozialdumping und einer Aufweichung von Arbeitnehmerrechten. „Dieser Gesetzentwurf ist der Reformen, die man von der Linken erwartet, nicht würdig“, schimpfte Christian Paul, Sprecher der abtrünnigen PS-Abgeordneten, in der Zeitung „Le Figaro“. Dabei hatte die Regierung den Vorschlag schon abgeschwächt - weshalb nun der größte Arbeitgeberverband murrt. Vor allem aber hat sich im Windschatten der Reform ein sehr viel umfassenderer Unmut Bahn gebrochen. Die Protestbewegung „Nuit debout“ (etwa: Nacht im Stehen), die seit Wochen Abend für Abend auf den Pariser Platz der Republik strömt, ist von Misstrauen gegenüber den Institutionen geprägt. „Es gibt eine Vertrauenskrise und eine große Enttäuschung über die Linksregierung“, sagt Jens Althoff, Leiter des Pariser Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Vor allem junge Leute fühlen sich abgehängt, fast ein Viertel von ihnen ist arbeitslos.

Eine Sehnsucht nach neuen Hoffnungsträgern könnte zum Teil auch den Wirbel erklären, den der dynamische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron auslöst. Der 38 Jahre junge Ex-Banker inszeniert sich als Querkopf und stößt mit seinen wirtschaftsnahen Positionen in Interviews regelmäßig das Establishment der Sozialisten vor den Kopf. Nachdem Macron eine eigene Bewegung gegründet hat, die er bewusst weder links noch rechts einordnen möchte, spekuliert das politische Paris eifrig, ob er es nicht doch auf eine Präsidentschaftskandidatur abgesehen hat. In Umfragen jedenfalls schneidet das Phänomen Macron deutlich besser ab als der Präsident.

Nun gibt es aber in der Tat auch Hoffnungsschimmer für Hollande. Die Arbeitslosigkeit ist im März nach einem erneuten Rekordhoch überraschend stark gesunken, das Wachstum im ersten Quartal übertraf mit 0,5 Prozent die Erwartungen. Große Gewerkschaften kämpfen weiter gegen die Reform, doch die Beteiligung war zuletzt eher rückläufig.

Frankreich-Experte Althoff erinnert zur Relativierung des Streits in Frankreich daran, welche Wellen die Arbeitsmarktreformen der „Agenda 2010“ in Deutschland geschlagen hatten. Immerhin habe das Vorhaben von SPD-Kanzler Gerhard Schröder damals zu einem Regierungswechsel und zur Gründung einer neuen Partei geführt. Doch auch er ist angesichts des Streits im eigenen Lager skeptisch, was eine möglichen neue Kandidatur Hollandes angeht. „Wie es gelingen soll, eine mit 2012 vergleichbare Mobilisierung im linken Spektrum hinzukriegen, kann ich derzeit nicht erkennen.“

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