Es hat sogar die Überlegung gegeben, Großbritannien aufzufordern, einen Beitritt zur transpazifischen Partnerschaft (TPP) anzustreben. Dies käme den USA, Kanada, Japan und anderen Asiaten, aber auch Neuseeland und Australien sicherlich sehr entgegen, für die Briten wäre es ein guter Ersatz für die Mitgliedschaft im Binnenmarkt. Auch andere Partner wie Indien oder China dürften an einem derart vernetzten Großbritannien ein ernsthaftes Interesse verspüren.
Schließlich wäre es sogar denkbar, dass das schwächelnde Commonwealth durch derartige handelspolitische Offensiven wiederbelebt wird. Im Moment wird die Zukunft des Commonwealth ergebnisoffen diskutiert, mit einer klaren handelspolitischen Vorgabe könnte sich das ändern.
Dieses Szenario dürfte auch für Investoren interessant sein; denkbar wäre sogar eine Verlagerung von Produktionsstätten auf die britischen Inseln. Damit ergäbe sich für die Europäische Union ein ernsthaftes Problem. Aus der Position der Stärke gegenüber Großbritannien würde dann nämlich eine Position der Schwäche in der Weltwirtschaft ergeben:
Erstens wäre Großbritannien im Zweifel sogar attraktiver als Investitionsstandort als vor dem Brexit, und zweitens wäre die EU nicht mehr erste Adresse für potenzielle neue Freihandelsabkommen. Zwar gibt es bereits Überlegungen, Freihandelsabkommen mit Australien und Neuseeland abzuschließen, und selbst ein Freihandelsabkommen mit China wird bereits in der Öffentlichkeit diskutiert. Dazu liegt eine Studie des CEPS in Brüssel vor. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die drei Länder in diesem Szenario mit derselben Intensität an Abkommen mit der EU arbeiten würden.
Drittens ist nicht auszuschließen, dass diese Dynamik zentrifugale Kräfte freisetzt, indem andere EU-Mitglieder ebenfalls den Ausstieg aus der EU wählen.
Denkbar ist sogar, dass beide Szenarien oder Dynamiken eintreten. Der britische Schaden würde sicherlich kurzfristig eintreten. In der mittleren oder längeren Frist könnte sich aber Großbritannien als Handelspartner empfehlen und der EU den Rang ablaufen. In diesem Fall wäre die EU der große Verlierer des Brexit.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
Die Lehre daraus für die EU ist eindeutig. Es ist nicht angemessen, den Briten bei den anstehenden Verhandlungen arrogant und abweisend gegenüber aufzutreten. Das heißt natürlich nicht, dass deshalb die Regeln des Binnenmarktes aufgeweicht werden; Härte in der Sache ist durchaus angebracht. Großbritannien muss als Partner aber ernstgenommen werden; seine Beteiligung im Binnenmarkt muss weiterhin angestrebt werden.
Gleichzeitig sollte die EU ihre Bemühungen um weitere Handelserleichterungen mit Drittländern glaubwürdig fortsetzen. Aus europäischer Perspektive wäre es ein Drama, wenn aus falschverstandenem Ärger über den Brexit und Fehleinschätzungen über die relative Position Großbritanniens zukünftige Chancen leichtfertig verspielt werden. Der Brexit darf nicht den Startschuss in europäischen Isolationismus bilden.