
Anders als seine Nachbarn und jene Länder, die seit dem Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, war Polen ein besonderes Land der Hoffnung. Denn mit der Solidarnosc-Bewegung traten die Nachbarn der Deutschen einst eine Bewegung los, die am Ende auch eine Opposition gegen die kommunistische Zwangsherrschaft in der DDR begünstigte und ihr Auftrieb verlieh.
Heute reibt man sich verwundert die Augen und sieht in diesem Nachbarn immer mehr eine scheiternde Demokratie. Die neue nationalkonservative, klero-katholische Partei demontiert die Gewaltenteilung und mit ihr die Grundlage der liberalen Demokratie. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird angegriffen, kritische Journalisten werden zu Feinden der Nation erklärt.
Die Entwicklung wirkt so wie in der Türkei und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch in Polen die Wirtschaft, ebenso wie am Bosporus, in Mitleidenschaft gezogen werden wird.

Und das ausgerechnet in Polen, einem Land, das relativ unbeschadet aus der letzten großen Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist und sich seit dem Ende des Kommunismus ökonomisch gut entwickelt hatte. In den Städten des Landes gab es eine Modernisierung, eine Liberalisierung, die den konservativen Kräften im Land zwar ein Dorn im Auge war, aber die Macht der Kirche einhegte und etwa liberalere Abtreibungsgesetze durchsetzte.
Der Streit um das polnische Verfassungsgericht
Am Freitag beschäftigt der Streit um das polnische Verfassungsgericht auch die Rechtsexperten des Europarates. Die Verfassungshüter nannten das Gesetz der polnischen Regierung über die Arbeit des Tribunals rechtswidrig. Worum geht es in dem Streit?
Die Verfassungsrichter sehen in dem Gesetz einen Angriff auf die Unabhängigkeit ihrer Arbeit und betonen, eine ordnungsgemäße Arbeit des Gerichts sei unmöglich. Denn während zuvor über die Fälle mit einfacher Mehrheit entschieden wurde, sieht das im vergangenen Dezember verabschiedete Gesetz eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor, damit eine Entscheidung der Verfassungshüter auch rechtsgültig ist. Doch oft sind die Entscheidungen nicht so eindeutig.
Außerdem kann das Gericht nach dem Gesetz nicht mehr selbst entscheiden, mit welchem Fall es sich als nächstes befasst, sondern soll chronologisch nach Eingang der Klagen vorgehen. Kritiker sagen, dass umstrittene Gesetze der aktuellen Regierung so womöglich erst nach Jahren zur Verhandlung kämen.
Das polnische Verfassungstribunal hat das Gesetz am Mittwoch für verfassungswidrig erklärt. Ist damit der Streit beendet?
Ganz im Gegenteil - der Konflikt scheint sich eher noch zu verschärfen. Das Gericht verlangt, dass der Status quo wiederhergestellt wird. Das heißt, die bisherigen Regeln vor der Reform des Gesetzes haben wieder zu gelten. Aus der Sicht der Mehrheit der Verfassungsrichter ist das eine endgültige Entscheidung. Der Oppositionspolitiker Ryszard Petru hat gesagt, es wäre ein Anschlag auf die Verfassung, sollte die Regierung den Richterspruch nicht umsetzen.
Nur: Die Regierung von Beata Szydlo erkennt das Urteil des Tribunals nicht an. Justizminister Zbigniew Ziobro sagte, die zweitägige Sitzung sei lediglich „ein Treffen von Richtern“ gewesen, nicht aber eine Sitzung der Verfassungstribunals. Und Szydlo sagte, das Vorgehen der Richter verstoße gegen das Gesetz über das Verfassungsgericht. Ziobro erinnerte zudem daran, dass ein Urteil mit seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Regierung Gültigkeit erlangt. Und er fügte hinzu: „Wir werden dieses Urteil gewiss nicht veröffentlichen.“
Hat die polnische Regierung Angst, der Ruf Polens in Europa stehe auf dem Spiel?
Regierungschefin Szydlo, aber auch der nationalkonservative Parteichef Jaroslaw Kaczynski verweisen da auf die Souveränität ihres Landes und ihre absolute Mehrheit im Parlament. Die Opposition erinnert dann gerne daran, dass bei der Wahl im Oktober - bei einer Wahlbeteiligung von gut 50 Prozent - 38 Prozent der Polen für die Nationalkonservativen gestimmt haben und keinesfalls das ganze Land geschlossen hinter den neuen Gesetzen steht. Vor der Sitzung der Venedig-Kommission haben Warschauer Regierungsvertreter zudem betont, dass die Meinung der Rechtsexperten des Europarats keine bindenden Verpflichtungen für Polen hat.
Heißt das, dass die Regierung mit einer schlechten Beurteilung rechnet?
Vor zwei Wochen sickerte in polnischen Medien bereits ein Entwurf der Venedig-Kommission durch - und da war von einer Verfassungskrise die Rede, von einer Störung der effizienten Arbeit des Verfassungsgerichts, die letztlich auch Demokratie und Menschenrechte in Polen gefährde. Auch der Menschenrechtskommissar des Europarats, Nils Muznieks, hat sich bei einem Besuch im Februar besorgt gezeigt: Eine Lähmung des Verfassungsgerichts bringe auch das Gleichgewicht der verschiedenen staatlichen Gewalten durcheinander.
Nun aber ist Polen mit einem Schlag sogar noch schlimmer dran als das autokratisch regierte Land Ungarn. Dessen Präsident Viktor Orban erntete schon zügig nach seinem Amtsantritt massive Kritik aus anderen EU-Ländern. Polens klero-katholische Gestalt wurde hingegen lange Zeit eher als Freilichtmuseum einer untergehenden Gesellschaftsordnung angesehen und von Europa ignoriert - was sich als desaströse Fehleinschätzung entpuppte.
Denn die neue polnische Regierung artikuliert sich in der Flüchtlingskrise als Feind der Menschlichkeit und Empathie. In ihrer Einschätzung der Lage und in ihrer Bereitschaft, gegen Flüchtlinge muslimischen Glaubens Stellung zu beziehen, stellt sie bisweilen die deutsche AfD in den Schatten.