Das Dokument ist allein schon angesichts des Datums skurril: 12. April 1945. Während vermutlich schon der Geschützdonner der Ostfront (am 16. April begann die Schlacht um Berlin) zu hören war, verfasste Paul Hahn, Direktor bei der Reichsbank und bis September 1944 Leiter der Wirtschaftsabteilung der „Dienststelle Athen des Sonderbevollmächtigten des Auswärtigen Amts für den Südosten“ einen höchst detailreichen Bericht über „die griechische Währung und währungspolitische Maßnahmen während der Besatzungszeit 1941-1944“. Seine erklärte Absicht: „die sich in Griechenland besonders scharf abzeichnenden Währungsprobleme in einer für spätere Auswertungen zweckdienlichen Form“ darzustellen.
Auch in deutschen Medien wird oft von einer „Zwangsanleihe“ oder einem „Zwangskredit“ gesprochen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch, bekannt als "Euro-Rebell", weil er zu den wenigen Abgeordneten gehört, die die Eurorettungspolitik offen ablehnen, hat sich das Dokument vom April 1945 genauer angesehen. Er weist darauf hin, dass es darin keinen Hinweis auf eine "Zwangsanleihe" gibt. Der Betrag, den die griechische Seite als solchen bezeichnet, ist vielmehr das Ergebnis einer Rechnung, die jener Beamte Hahn anstellte. Nirgends ist von einer Anleihe oder einem Kredit zu lesen, den die deutschen Besatzer dem griechischen Staat abpressten. Nach damals geltendem Völkerrecht hatte jedes militärisch von einer anderen Macht besetzte Land die Kosten für den Unterhalt der fremden Truppen in eigener Währung zu leisten, beziehungsweise vorzustrecken. Hahn schreibt in seinem Bericht den von der heutigen griechischen Regierung in ihrer Argumentation zitierten Satz: „Demzufolge würde sich die Restschuld, die das Reich gegenüber Griechenland hat, noch auf 476 Mio. RM belaufen.“
Athens Reparationsforderungen an Deutschland
Während des Zweiten Weltkriegs musste Griechenland den deutschen Besatzern netto umgerechnet 476 Millionen Reichsmark zur Verfügung stellen. Die heutige griechische Regierung interpretiert das als "Zwangsanleihe", die heute noch rückzahlbar sei.
1953 verschob das Londoner Schuldenabkommen die Regelung deutscher Reparationen auf die Zeit nach Abschluss eines „förmlichen Friedensvertrages“. Das Londoner Moratorium wurde 1990 durch den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ gegenstandslos. Die Staaten der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) - darunter Griechenland - stimmten 1990 der „Charta von Paris“ für eine neue friedliche Ordnung in Europa zu.
Nach Auffassung Berlins ergibt sich aus der Zustimmung zur „abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland“ in der Charta, dass die Reparationsfrage nicht mehr geregelt werden sollte. In Athen wird dagegen argumentiert, die Entschädigungsfrage sei ungeklärt, denn die Unterzeichner hätten den Vertrag nur zur Kenntnis genommen.
2003 wies der Bundesgerichtshof (BGH) Forderungen wegen eines SS-Massakers in Distomo von 1944 ab. Ansprüche der Hinterbliebenen ließen sich weder aus dem Völkerrecht noch aus deutschem Amtshaftungsrecht ableiten. 2006 bestätigte das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung und nahm eine Klage von vier Griechen nicht zur Entscheidung an.
Ein griechisches Gericht sprach 1997 Nachkommen der Opfer knapp 29 Millionen Euro zu. Laut BGH verstößt das Urteil aber gegen den Völkerrechtsgrundsatz der Staatenimmunität. Danach darf ein Staat nicht über einen anderen zu Gericht sitzen. Diesen Grundsatz hatten 2002 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und - in einem ähnlichen Fall - das Oberste Sondergericht Griechenlands bestätigt. Damit habe das griechische Urteil in Deutschland keine Rechtskraft, befand der BGH.
In den vergangenen zwei Jahren haben Experten des griechischen Finanzministeriums und der Zentralbank in Athen die Höhe der Reparationen aus griechischer Sicht berechnet. In einer Studie, die die griechische Sonntagszeitung „To Vima“ im März 2015 veröffentlicht hatte, wurden die Gesamtforderungen auf zwischen 269 und 332 Milliarden Euro beziffert. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas nannte am 6. April dann in einer Rede vor dem Parlament nach einer ersten Auswertung des zuständigen Parlamentsausschusses eine Summe von 278,7 Milliarden Euro.
Deutschland vereinbarte zur Wiedergutmachung für NS-Unrecht Ende der 1950er Jahre Entschädigungsabkommen mit zwölf Ländern. Athen bekam 1960 Reparationen in Höhe von 115 Millionen D-Mark. Bereits in diesem Vertrag ist laut Bundesregierung festgehalten, dass die Wiedergutmachung abschließend geregelt sei. Doch verlangten griechische Politiker weiterhin Reparationen. 2014 wurde die Forderung nach Entschädigungen auch beim Athen-Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck laut. Die Bundesregierung wies die Ansprüche zurück. Athens Forderungen seien geregelt, heißt es bis heute.
Diese Besatzungskosten als einen „Zwangskredit“ oder eine „Zwangsanleihe“ zu interpretieren, wie es die griechische Regierung und ihre Argumentation stützende Historiker tun, ist also mehr als zweifelhaft. Nicht nur der Politiker Willsch, sondern auch der Mannheimer Historiker Heinz A. Richter hat darauf mehrfach hingewiesen.
Die Frage ist durchaus nicht rein akademisch, sondern hochpolitisch: Ein Zwangskredit, wenn es ihn denn gäbe, fiele unters Privatrecht und könnte durchaus Rückzahlungsansprüche begründen. Aber gerade der Bericht von Hahn widerlegt dies: Es geht um eine „Restschuld“ für Besatzungskosten.
Diese können Reparationen durchaus begründen. Allein: Das hat sich längst erledigt, wie der Blick auf die deutsch-griechische Nachkriegsgeschichte zeigt, die Richter in verschiedenen Publikationen nachgezeichnet hat. Völkerrechtlich begründbare Reparationen Deutschlands für Griechenland sind mit dem Londoner Schuldenabkommen von 1953 gestundet und mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 ad acta gelegt worden.
Das heißt aber nicht, dass keine Zahlungen stattfanden. Deren lange Geschichte wiederum spielt in der aktuellen griechischen Argumentation keine Rolle – vermutlich mit guten Gründen, denn es ist eine einzige Aneinanderreihung von Schlendrian, Korruption und Veruntreuung.
Im Pariser Reparationsabkommen von 1946 einigten sich die Siegermächte darauf, welcher Staat welche Reparationsgüter aus dem besetzten Deutschland über eine eigens gegründete „Interalliierte Reparationsagentur“ erhalte. Griechenland wurden Reparationsleistungen in einem Wert von damaligen 30 Millionen Dollar zugeschlagen. Das waren funktionsfähige Produktionsanlagen aus dem Ruhrgebiet. Diese wurden 1948 nach Hamburg zur Verschiffung gebracht, wo sie monatelang vor sich hin rosteten. Als 1950 ein Teil davon auf einem englischen Schiff nach Piräus gehen sollte, kam die Ladung dort nie an. Verbleib ungeklärt. Die zweite Ladung wurde von einem englischen Unternehmen verschrottet. Die Erlöse landeten in verschiedenen Taschen, aber offenbar nicht beim griechischen Staat.
Als ein griechischer Journalist nachbohrte, setzte es Drohungen und Prügel vom zuständigen und wohl auch profitierenden Diplomaten, wie der Spiegel 1952 berichtete: "…schüttelte der Leiter der griechischen Reparationskommission in der Bundesrepublik, Georg Lavdas, den Bonner Korrespondenten der griechischen Zeitung "Allagi", Vassos Mathiopoulos, 24, wie einen heimischen Olivenbaum und schrie ihm mit wütender Stimme ins Gesicht: ‚Ich werde dich schon dazu bringen, dein Maul zu halten!‘"