Konsequenzen aus der Silvesternacht "Offene Grenzen retten, indem wir sie kurzfristig sichern"

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Warum sich Deutschland zum Buhmann machen soll

Wenn die Schengen-Länder das machen, müssen Griechenland und Italien tagtäglich mit tausenden Ankommenden zurechtkommen. Das ist doch auch keine Lösung.

Doch, wir hätten das Problem damit lokal stabilisiert. Wir – die Europäer – müssten dann dort sofort helfen. Wir brauchen eine neue europäische Grenzpolizei, in die die bisherige Frontex-Agentur aufgeht. Diese Grenzpolizei muss massiv mit Personal aus den Mitgliedsstaaten unterfüttert werden, was uns weitere Millionen kosten wird. Sie muss in Griechenland und Italien sofort ihre Arbeit aufnehmen und bei der Sicherung der Außengrenzen und beim Betreiben der Hotspots unterstützen. Das ist schnell möglich, so dass wir dann Flüchtlinge nach einem bestimmten Schlüssel auf die europäischen Länder verteilen könnten. Das hätte den großen Vorteil, dass die Menschen nicht den ganzen Weg durch Europa laufen müssen.

In Ihrem Szenario macht sich Deutschland zum Buhmann.

Das sind wir schon längst. Wir üben einen enormen moralischen Druck auf unsere Nachbarn aus, damit die endlich helfen. Das schmeckt vielen überhaupt nicht.

Was ist mit den Flüchtlingen, die im Augenblick der strikten Grenzkontrollen gerade Europa durchqueren?

Jedes Land behält die, die gerade bei ihnen unterwegs sind. Das sind wenige Tausend pro Land, maximal. Das verkraften diese Länder. Die wirkliche Überforderung tritt dann innerhalb von rund einer Woche in Griechenland und Italien ein.

Warum sind Sie so optimistisch, dass Europa dann hilft? Italien hatte schon vor Jahren um Hilfe gerufen. Damals kamen noch keine Flüchtlinge nach Deutschland und wir haben Italien und Griechenland links liegen gelassen.

Wir haben in der Zwischenzeit alle dazugelernt und verstanden, dass die Menschen, die heute in Italien sind, übermorgen bei uns sein können. Wir Deutsche haben gezeigt, dass wir eine gigantische Infrastruktur für eine Million Flüchtlinge binnen weniger Monate aufziehen können. Das ist alles nicht perfekt, die Bundesländer und Kommunen sind an der Grenze und manche sogar darüber. Aber es funktioniert einigermaßen. Das können wir gemeinsam mit den Franzosen, Spaniern und anderen zusammen auch in Italien und Griechenland hinkriegen. Wenn dann noch die außenpolitische Strategie der Bundeskanzlerin greift – Stichwort Türkei – kriegen wir die Lage Stück für Stück wieder unter Kontrolle. Eines ist für mich klar, eine neue europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage erreichen wir schneller, wenn Griechenland oder Italien darum bittet. 

In ihrer Partei stehen Sie mit dem Vorschlag ziemlich alleine da.

So alleine bin ich nicht. Die Silvesternacht hat vielen die Augen geöffnet. Alle haben sich vor grässlichen Bildern gesorgt, wenn wir die Grenzen sichern. Jetzt ist es mitten in Deutschland zu grässlichen Bildern gekommen. Das Umdenken hat längst begonnen. 

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