Machtwechsel in Athen Griechenlands Hoffnungsträger muss gehen

Wahlverlierer Alexis Tsipras steigt in einen Wagen Quelle: AP

Griechenland wählt die Konservativen an die Macht: Die Nea Dimokratia hat im Parlament die absolute Mehrheit erzielt. Anders als vor vier Jahren wählten die Griechen diesmal eher pragmatisch.

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Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras muss gehen - die Wähler in dem krisengeschüttelten Land haben sich bei der Parlamentswahl klar für die konservative Partei Nea Dimokratia entschieden. Die Partei von Kyriakos Mitsotakis erzielte am Sonntag laut griechischem Innenministerium 39,7 Prozent (2015: 28,0 Prozent). Im 300-köpfigen Parlament bedeutet das die absolute Mehrheit von mindestens 154 Sitzen, weil der Wahlsieger zur Vereinfachung der Regierungsbildung 50 Sitze zusätzlich erhält. Die linke Partei Syriza von Alexis Tsipras kam auf 31,5 Prozent (2015: 35,5 Prozent). Ausgezählt waren bis zum späten Abend 75 Prozent der Stimmzettel.

In einer ersten Ansprache sprach Mitsotakis den Griechen am Abend Mut zu. „Ich werde für alle Griechen da sein, ich werde hart arbeiten“, sagte er vor Journalisten in Athen. Der Wahlausgang habe nicht nur den Wunsch der Menschen zum Ausdruck gebracht, dass die schweren Zeiten der Krise endeten. „Es war mehr - es geht darum, unser Glück selbst in die Hand zu nehmen, selbst Verantwortung zu übernehmen. Jetzt krempeln wir die Ärmel hoch!“ Zudem wandte er sich an all jene Griechen, die das Land wegen der schweren Finanzkrise in den vergangenen Jahren auf der Suche nach Arbeit verlassen hatten. Sein Ziel sei es, das Leben aller Griechen besser zu machen und auch den rund 400 000 Auswanderern wieder Perspektiven zu bieten.

Der scheidende Premier Tsipras gratulierte Mitsotakis nach Bekanntwerden der Ergebnisse. Er betonte, dass der Verlust der Syriza von nur vier Prozentpunkten im Vergleich zu 2015 ein starkes Mandat für die Partei sei, sich im Parlament weiterhin für Themen wie soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Zur Niederlage sagte er: „Wir haben uns hauptsächlich damit beschäftigt, das Land zu retten, und dafür manche Probleme nicht gesehen, die die Menschen beschäftigt haben.“ Man hätte jedoch viel Erfahrung gesammelt und stehe parat für die weitere politische Entwicklung im Land.

Medienberichten zufolge könnte Mitsotakis bereits am Montagmittag von Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos vereidigt werden. Dass die Regierungsbildung schnell geht und keine Zeit verloren wird, war nach Ansicht politischer Beobachter ein wichtiger Grund für viele Griechen, konservativ zu wählen. In Umfragen hatte sich bereits ein großer Vorsprung für die Nea Dimokratia abgezeichnet.

„Die Menschen wollten eine vernünftige Lösung, eine proeuropäische Partei, die keinen Koalitionspartner braucht, der womöglich bremst, und die ihr Programm schnell umsetzen kann“, sagte der in Griechenland bekannte Demoskop Dimitris Mavros. Den Wählern sei bewusst, dass die Lage des Landes immer noch heikel sei und sich auf keinen Fall verschlimmern dürfe.

Mitsotakis' Partei gilt als wirtschaftsfreundlich. Der Parteichef versprach während des Wahlkampfes, die Privatisierungen zu fördern, mit der Senkung von Steuern die Wirtschaft anzukurbeln und damit auch die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Zurzeit sind mehr als 18 Prozent der Griechen ohne Job. Auch Tsipras hatte im Wahlkampf versprochen, sich um die Mittelklasse zu kümmern, dabei allerdings auch soziale Aspekte nicht zu vergessen.

Krisenverarbeitung per Spraydose
Der Wein ist leer, die Party ist vorbei. So fühlten sich viele Athener in der Finanzkrise. Die Stadt hat das verwandelt. Während der Krise standen viele Ladenlokale und Häuser leer. Das zog Künstler und Kreative an. Der griechische Künstler Krah arbeitet gerne mit Motiven aus der griechischen Mythologie.
Die Krise ist in der Straßenkunst in Athen allgegenwärtig. Der Künstler INO nannte dieses Werk "snow-blind". Der Mensch ist so geblendet vom Geld, dass er nicht mal seine eigene Krankheit bemerkt, die durch den blauen Fleck symbolisiert ist. Das Graffiti entstand im Rahmen einer Aufmerksamkeitskampagne für Hepatitis-Krankheiten.
"All dogs go to heaven" heißt das Graffiti, für das drei Athener Künstler zusammenarbeiteten. Es zeigt den Straßenhund Loukanikos ("Würstchen"), der sich 2011 bei den Protesten gegen die Sparpolitik mit den Demonstranten anfreundete.
Loukanikos lief mit den Demonstranten in der ersten Reihe und kläffte die Polizisten an. Das brachte den Hund sogar auf die Titelseite des Economist. Der Hund wurde von einer Familie adoptiert. 2014 verstarb Loukanikos, angeblich an den Folgen des bei den Protesten eingesetzten Tränengases.
Wegen seiner lebendigen Kunstszene wird Athen gerne als "das nächste Berlin" betitelt. Die Athener haben dazu ihre eigene Meinung: "Berlin ist das neue Athen!", hat jemand an eine Hauswand neben einem Parkplatz gesprüht.
Noch immer gibt es in Athen viele Handwerker, die zum Beispiel ihre eigenen Möbel kreieren. Die meisten Touristen kaufen lieber maßgeschneiderte Ledersandalen.
Griechenland erlebt einen Touristenboom. 2018 kamen über 30 Millionen Reisende nach Griechenland. Und viele stoppen dabei in Athen, um einen Blick auf die Akropolis zu werfen.

Insgesamt wird das neue griechische Parlament voraussichtlich sechs, vielleicht auch sieben Parteien haben - ob die rechtsextreme Goldene Morgenröte die in Griechenland gültige Drei-Prozent-Hürde schafft, war am Sonntagabend zunächst noch offen. Laut erster amtlicher Hochrechnung lag die Partei bei 2,9 Prozent. Scheitert sie, könnte die Mehrheit der Konservativen auf 158 Sitze anwachsen, weil potenzielle Sitze der Goldenen Morgenröte dann auf die anderen Parteien verteilt würden.

Die Niederlage des linken Regierungschefs Alexis Tsipras und seiner Partei Syriza führen Beobachter auf die harten Sparmaßnahmen der vergangenen Jahre zurück, die hauptsächlich die Mittelklasse getroffen haben. Ein großer Teil des Mittelstands, der in Griechenland traditionell über den Ausgang der Wahlen entscheidet, hat demnach der Syriza den Rücken gekehrt und auf die Konservativen gesetzt. Auch viele Rentner wandten sich von der linken Partei ab, nachdem Tsipras mehrere Rentenkürzungen durchgeführt hatte.

Die Nea Dimokratia hatte bereits die Europawahlen im Mai für sich entschieden. Damals siegte sie mit 9 Prozentpunkten Vorsprung vor Syriza, woraufhin Tsipras vorgezogene Neuwahlen ankündigte. Normalerweise hätten die Griechen im Oktober gewählt.

Bei den jetzigen Parlamentswahlen kam als drittstärkste Kraft die sozialdemokratische Partei Bewegung des Wandels mit rund 8 Prozent ins Parlament, gefolgt von der Kommunistischen Partei (KKE) mit rund 5,4 Prozent. Die rechtspopulistische Elliniki Lysi erzielte 3,8 Prozent, die Partei MeRA25 des ehemaligen griechischen Finanzministers Gianis Varoufakis gut 3,4 Prozent.

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