Maria Elena Boschi Maria, hilf!

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Fluch der Familie

Denn über den Sommer passierten zwei Dinge in Italien, die nicht nur Renzi sondern auch unmittelbar Boschi betrafen: Renzis Reformen brachten Italien nicht den Aufschwung, den viele Italiener sich gewünscht hatten und so bröckelt die Zufriedenheit mit der Regierung. Für Boschi aber noch schlimmer: Ihr Vater geriet in eine unschöne Geschichte rund um Italiens Bankenkrise.

Pier Luigi Boschi, ein Unternehmer, geriet als Aufsichtsrat einer der gestürzten Banken des Landes in die Schlagzeilen. Die Banca Etruria, deren Geschäftsmodell dem einer deutschen Sparkasse ähnelt, hatte ihre Sparer getäuscht und wurde 2015 vom Staat gerettet. Die Oppositionspartei Cinque Stelle behauptete damals, die Tochter habe teilgenommen an der Sitzung, bei der die Bank des Vaters aus ihrer Not befreit wurde.

Sie strengten einen Misstrauensantrag an gegen die Ministerin. Der scheiterte zwar, aber die Gerüchte verstummten nicht. Zudem es in der Folge Beispiele weiterer Banken gab, zu deren Rettung nicht der Staat einschritt, sondern Sparer und private Anleihegläubiger Geld verloren. Seitdem glauben viele Italiener, die Banca Etruria sei nur gerettet worden, weil ihr Aufsichtsrat Boschi gute Verbindungen in Rom habe.

Stück für Stück bröckelt seitdem die Zustimmung der Italiener zu ihrer Regierung. Manche in Rom glauben denn auch schon, dass Maria Elena Boschi ihren politischen Zenith bereits überschritten habe. Schließlich ist kein Politiker, außer vielleicht Renzi, so mit der aktuellen Verfassungsreform verbunden wie sie. Und so ist "La Boschi" gerade überall und kämpft gegen den Negativtrend. Argentinien, Uruguay, Brasilien. London. Boschi wirbt in Italien wie bei Auslandsitalienern. "Lasst uns auf höfliche Art die Unentschlossenen belästigen", hat sie jüngst die Anhänger der Bewegung „Basta un Si“, „Es reicht ein Ja“, aufgefordert. "auch im Bus, im Supermarkt."

„Italiens Verlobte“ kämpft

Wer Boschi in diesen Tagen begleitet, erlebt eine Frau mit zwei Gesichtern: Mal wirkt sie resigniert ob der schlechten Umfragen. Dann wieder kämpferisch, überzeugt von der Mission, mit der sie und Renzi einst antraten. Und ein Stück weit sind sie auf dem Weg ja vorangekommen: Sie haben eine Wahlrechtsreform und eine Verfassungsreform immerhin durchs Parlament gebracht, das ist mehr, als jede andere Regierung der Nachkriegszeit die politische Systematik des Landes ändern könnte.

So haben deutsche Banken beim Stresstest 2016 abgeschnitten

Und sie haben Wirtschaftsreformen durchgesetzt, über die seit 20 Jahren geredet wurde. Etwa die Arbeitsmarktreform, die bisher immerhin fast 500.000 feste Stellen schuf. Auch eine Verwaltungsreform ist auf den Weg gebracht, ebenso eine Justizreform und ein drei Milliarden Euro schweres Investitionsprogramm für die Schulen. Nicht zu vergessen, dass das Land seit etwa einem Jahr als einziges EU-Land zu hunderttausenden Flüchtlinge aufnimmt.

„Wir machen das alles“, sagte Boschi in jenem Zeit-Gespräch, „in erster Linie im Interesse unserer Bürger, aber es ist uns auch wichtig, im Ausland Vertrauen zu gewinnen. Es ist doch so: In Deutschland haben Sie zwar vor Jahren notwendige Reformen umgesetzt, aber in anderen europäischen Ländern herrscht immer noch Stillstand.“ Allein: Vielen Italienern fehlt der Glaube an die Wirksamkeit, weil das Wirtschaftswachstum bisher kaum anspringt. Und das nehmen sie Renzi, der viel fordere und wenig gebe, übel.

Immerhin am Abend des vergangenen Montags hängen die Menschen wieder an ihren Lippen wie früher, als das Land und sie am Anfang ihrer Romanze standen. Es ist nach acht Uhr im Teatro Elisio in Rom, die Ministerin hat schon einen langen Tag hinter sich. Und doch wirkt sie wacher noch als bei jenem Termin am Comer See; vielleicht auch, weil im Saal überwiegend Sympathisanten sind. Der Zuspruch tut ihr sichtbar gut.

Als sie die Stimme erhebt, ist schon ein halbes Dutzend Redner vorangegangen. Gekommen aber sind die Leute wegen ihr. Als ihre leise Stimme irgendwann unterzugehen droht, murren die Zuhörer: „Lauter“, „Nutz das Mikrofon“. Boschi lacht. Sie tourt nun seit Monaten herum, sie hat alles gesagt, was es zu der Reform zu sagen gibt. Und dennoch wollen die Leute hier in Rom offenbar noch jedes Wort von hier hören. Vielleicht geht da doch noch was.

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