Nach den Übergriffen in Köln "Amerika hat Angst, dass Europa auseinanderbricht"

Warum berichten amerikanische Medien so detailliert zu den Übergriffen in Köln? Im Interview erklärt US-Politikwissenschaftler Jackson Janes das große Interesse - und was Europa vom Einwanderungsland Amerika lernen kann.

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Der Hauptbahnhof in Köln: In der Silvesternacht haben hier dutzende, womöglich gar hunderte Frauen sexuelle Gewalt erfahren. Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: "Deutschland steht am Abgrund" und "Merkel muss weg" hat der New York Times-Kolumnist Russ Douthat gerade geschrieben. Spricht Douthat für eine Mehrheit der Amerikaner?

Jackson Janes: Nein, das ist eine Einzelmeinung. Natürlich sehen viele bei uns, dass Kanzlerin Angela Merkel die Überforderung, die die Flüchtlingskrise mit sich bringt, unterschätzt hat. Aber ich finde es empörend, wenn Douthat ihren Rücktritt fordert. Das zeigt die Arroganz eines Mannes, der überhaupt nicht weiß, was derzeit in Deutschland und Europa geschieht.

In Deutschland hat viele überrascht, dass die eher liberale New York Times einen solchen Kommentar veröffentlichte.

Douthat schreibt jede Woche eine Kolumne für das Blatt, er steht politisch eher rechts. Er ist kein festes Redaktionsmitglied.

US-Politikwissenschaftler Jackson Janes im Interview mit WirtschaftsWoche. Quelle: imago images

Bislang war der Ton viel freundlicher. Das Time-Magazine hatte Merkel etwa zur Person des Jahres 2015 gekürt und sie die „Kanzlerin der freien Welt“ genannt. Was hat sich geändert?

Ging es zuletzt um die Frage, wer Europa in der aktuellen Krise zusammenhalten kann, blickte niemand hier auf Paris, London oder Brüssel. Alle schauten auf Berlin. Deutschland hat in den vergangen Jahren ganz klar die Führungsrolle in Europa übernommen. Und auch jetzt gibt es nach wie vor niemanden, der Merkel diese Rolle streitig machen kann – egal ob es um den Euro oder Flüchtlinge geht.

Zur Person

Und trotzdem wird die Kritik am deutschen Flüchtlingskurs härter?

Viele Amerikaner merken mittlerweile, dass diese Krise noch sehr lange dauern wird. Und sie machen sich Sorgen, dass Europa künftig als handlungsfähiger Partner ausfallen könnte, weil es mit der aktuellen Lage schlicht überfordert ist. Dabei brauchen die USA Europa. Denken Sie nur an den Ukraine-Russland-Konflikt. Wird der Westen im Juli die Sanktionen gegen Russland verlängern? Ist sich Europa dann einig? Oder bricht es im Zuge der Flüchtlingskrise auseinander?

Dennoch: Warum ist das amerikanische Interesse an den Übergriffen in Köln so enorm?

Die Vorkommnisse wecken hier Erinnerungen an San Bernardino in Kalifornien, wo Ende vorigen Jahres zwei Islamisten 14 Menschen erschossen. Viele Amerikaner vergleichen San Bernardino mit dem Anschlag in Paris und der Silvesternacht in Köln. Einige sagen, es war naiv zu glauben, Migranten seien nicht gefährlich. Die Attentäter von San Bernardino hatten ja seit Jahren in Amerika gelebt. Weil das Thema so emotional besetzt ist, berichten viele Medien nun sehr ausführlich.

Hintergründe zu den Übergriffen in Köln

Und zu welchem Schluss kommt die amerikanische Öffentlichkeit?

Ein Teil glaubt, dass man endlich hart durchgreifen muss – gegen Flüchtlinge und Migranten.

Der umstrittene US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump appelliert gnadenlos an diese Gruppe. Er tut, als versinke Europa im Bürgerkrieg.

Ja, Trump tut so, als wüsste er genau, was in Deutschland und Europa geschieht. Er weiß aber leider überhaupt nicht, wovon er redet.

Einwanderer brauchen Vorbilder - und Jobs

Amerika ist das Einwanderungsland schlechthin. Was kann der Einwanderungskontinent Europa von den USA lernen?

In den 1920er und 1930er Jahren hatten wir hier auch Parallelgesellschaften. Damals haben die Einwanderer – egal ob Chinesen, Italiener, Mexikaner oder Muslime – schließlich gesagt: Wir wollen in Amerika bleiben und uns hier eine Zukunft aufbauen. Womöglich ist das gerade das zentrale Problem in Deutschland und Europa, dass Einwanderer diesen Schritt noch nicht vollzogen haben. Sie sind gerade angekommen, ihre Lage ist unsicher. Sie brauchen jetzt Vorbilder, die ihnen zeigen, wie sie in ihrem neuen Land Erfolg haben können. Am besten eignen sich dafür Einwanderer, die vor Jahren kamen, Erfolg hatten und nun integriert sind.

Dafür müssen die Einwanderer arbeiten können.

Unbedingt, ja. Viele Einwanderer, die nach Amerikaner gekommen sind, auch Illegale, waren auf der Suche nach einem Job. Sie haben gesehen, dass es Einwanderer in Amerika zu großem Wohlstand bringen können. Das war natürlich eine große Motivation.

Mit elf Millionen illegalen Einwanderern ist die US-Einwanderungsgeschichte keine reine Erfolgsgeschichte.

Im Großen und Ganzen hat es gut funktioniert. Deutschland muss aber gar nicht zu uns schauen, wenn es um erfolgreiche Einwanderung geht. Die Deutschen haben es in den vergangenen 40 Jahren doch selbst gut gemacht. Millionen sind seit den 1960er Jahren nach Deutschland gekommen und anständig integriert worden.

Ein Großteil der Flüchtlinge lässt sich jedoch nicht von heute auf morgen in Arbeit bringen, sagen hiesige Arbeitsmarktexperten.

Nur wenn die Einwanderer das Gefühl haben, dass sie sich selbst ihre Zukunft aufbauen können, wird die Integration funktionieren. Und dazu gehört Arbeit.

Angela Merkel hat den Deutschen gesagt: Wir schaffen das. Klingt ziemlich amerikanisch, oder?

In der Tat. Sie hat gesagt: Wir schaffen das – jedoch nicht alleine. Der Nachsatz ist entscheidend. Deutschland braucht Europa und andersherum. Deutschland braucht aber auch die Hilfe der Migranten, um es zu schaffen.

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