Neuer Fonds für britische Städte May verarztet die Brexit-Regionen

Karnevalswagen beim Düsseldorfer Rosenmontagszug Quelle: imago images

Viel Taktik, keine Strategie: Die britische Regierung will vom Brexit abgehängten Städten mit 1,6 Milliarden Pfund helfen. Doch wie das Hilfsprogramm wirken soll, weiß sie offenbar selbst nicht genau. Die EU-freundlichen Regionen gehen völlig leer aus.

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Der Vorwurf ist vermutlich zutreffend – und trotzdem wenig empörend. Die britische Premierministerin Theresa May, mäkeln oppositionelle Labour-Abgeordneten, wolle sich Zustimmung „kaufen“, doch man lasse sich nicht „bestechen“. Hat jemals eine Regierung, welcher politischen Couleur auch immer, nicht versucht, Zustimmung zu ihrer Politik auch mit Umschichtungen im Staatshaushalt zu erreichen? Zielen diese Versuche allerdings üblicherweise auf die Wählerbasis, sind nun, so kann man vermuten, wenige Tage vor der nächsten Abstimmung über den Brexit-Vertrag die Parlamentsabgeordneten das Objekt.

Der vermeintliche Bestechungsversuch, über den nun im Brexit-panischen Großbritannien gestritten wird, ist der so genannte „Stronger Towns Fund“ der konservativen Regierung unter Theresa May. Eine Maßnahme, die nach Ansicht des federführenden Ministers für Wohnen, Gemeinden und lokale Verwaltung, James Brokenshire, eine „transformative“ Wirkung in Regionen haben werde, die sich zurückgelassen fühlen. Ein Staatsfonds mit einem Volumen von 1,6 Milliarden Pfund (1,86 Mrd. Euro) soll notleidende Städte bis 2026 unterstützen, um „neue Arbeitsplätze zu schaffen, Bewohner auszubilden und Wachstum anzukurbeln“, wie es auf der Internetseite der britischen Regierung heißt.

Die Hilfen sind auf bestimmte Regionen beschränkt – und zwar ausschließlich in England, nicht aber in Schottland, Wales und Nordirland. Das zuständige Ministerium für Wohnen, Gemeinden und lokale Verwaltung meidet in seiner öffentlichen Kommunikation zwar jeden Verweis auf den Brexit, doch May selbst stellte ihn her, als sie den Fonds mit Worten vorstellte, die eher nach sozialdemokratischer Labour-Rhetorik als nach einer Nachfolgerin Margaret Thatchers klangen: „Gemeinden im ganzen Land stimmten für den Brexit als Ausdruck ihres Wunsches nach Veränderung. Das muss eine Veränderung zum Besseren werden, mit mehr Chancen und mehr Kontrolle. Diese Städte haben ein glorreiches Erbe, großes Potential und, mit der richtigen Hilfe, eine glänzende Zukunft vor sich.“ Die Bewohner der für den Fonds ausgewählten Regionen haben schließlich mit deutlichen Mehrheiten für den Austritt votiert.

Eine Milliarde Pfund teilt die britische Regierung den Gemeinden direkt nach einem eigenen Schlüssel zu. Der bei weitem größte Teil davon geht in die alten Herz-Regionen der industriellen Revolution im Norden und im Zentrum Englands. In Städten wie Stoke-on-Trent, Mansfield oder Wolverhampton hat eine große Mehrheit gegen den Verbleib in der Europäischen Union beim Referendum von 2016 gestimmt. Im Großraum London, in Wales und vor allem in Schottland dagegen waren die Remain-Anhänger in der Mehrheit – für diese Regionen sieht der Fonds überhaupt keine Mittel vor.

Kontrovers und vielfach kritisch betrachtet die britische Öffentlichkeit auch die geplante Verteilung der restlichen 600 Millionen Pfund. Gemeinden sollen sich dafür bewerben. In dem von der Regierung ausgerufenen Wettbewerb müssen nun also Gemeinden sich als besonders notleidend und hilfsbedürftig darstellen. Die dabei erfolgreichen Städte stehen dann also vermutlich als regierungsamtlich anerkannter Bodensatz Englands da.

Für welche Zwecke genau das Geld aus London ausgegeben und wie es Wirtschaftswachstum anregen soll, scheint auch der Regierung nicht klar zu sein. In einer im Netz veröffentlichten Broschüre heißt es: „Wir wollen, dass Partner in den lokalen Gebieten zusammenkommen und ehrgeizige Vorschläge machen, wie langfristiges Wachstum in ihren Städten erreicht werden kann. Wenn diese Vorschläge klarer werden, wird die Regierung bestimmte Investitionen frei geben.“ Entscheidend sei „die Rolle von lokalen Unternehmenspartnerschaften bei der Koordinierung.“ Eine Selbstverständlichkeit.

Der Labour-Parlamentsabgeordnete von Stoke-on-Trent, Gareth Snell, wies darauf hin, dass die 212 Millionen Pfund für die Region West Midlands in etwa der Summe entsprechen, die die Stadtverwaltung von Stoke in den vergangenen neun Jahren einsparen musste. Dieser bescheidene finanzielle Umfang ebenso wie die offenen Formulierungen legen nahe, dass Mays Fonds tatsächlich weniger eine strategisch-transformative Maßnahme ist, sondern tatsächlich eher ein taktischer Schnellschuss.

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