
WirtschaftsWoche: Die norwegische Wirtschaft ist aufgrund des fallenden Ölpreises erheblich unter Druck geraten. Wie reagiert das Land darauf?
Øystein Noreng: Wir haben zum Glück nicht die Nerven verloren. Es gibt auch keinen Grund zur Panik. In Dollar gemessen liegt der derzeitige Realpreis für Öl ungefähr auf dem Niveau von vor zehn Jahren. In den 90er Jahren war der Ölpreis sehr niedrig, eine schwierige Zeit. 2005 ging es uns aber gut. Und auf dem Niveau sind wir jetzt wieder angekommen. Das Problem ist nur, dass sich unsere Gesellschaft seitdem auf die höheren Löhne und den höheren Lebensstandard eingestellt hat.
Welche Folgen hat der niedrige Ölpreis für die Bevölkerung?
Möglicherweise werden wir die Einkommenssteuer erhöhen müssen, damit unsere Geldmaschine auch für künftige Generationen erhalten bleibt.
Zur Person
Øystein Noreng war von 1977 bis 2012 Professor an der Business Universität in Oslo. Er ist Experte für die Ölwirtschaft Norwegens. Er saß im Aufsichtsrat des deutschen Gas- und Ölunternehmens RWE Dea.
Mit der Geldmaschine meinen Sie den norwegischen Öl-Fonds.
Ja, alle Erdöleinnahmen des Staates werden in diesen Fonds eingezahlt. Dessen Volumen beträgt rund das Zweieinhalbfache des Bruttoinlandsproduktes …
…derzeit etwa 820 Milliarden Euro.
Der Fonds ist zurzeit der größte der Welt. Das Geld haben wir in Aktien, Anleihen und Immobilien angelegt. Zwischen ein und zwei Prozent aller Aktienwerte der Welt sind im Besitz des norwegischen Fonds. Unsere Politiker wollen diese Geldmaschine am liebsten unendlich lang am Leben halten. Wenn der Staat mehr ausgeben will, konnte er das bislang über die Rendite des Fonds finanzieren. Höhere Steuern waren nicht nötig. Das könnte sich nun ändern.
Mit über 100.000 Dollar ist das Pro-Kopf-Einkommen in Norwegen so hoch wie in kaum einem anderen Land der Welt. Wird das so bleiben?
Tatsächlich haben wir die teuersten Arbeitskräfte der Welt. Die Reallöhne sind 30 Prozent höher als in Schweden. Wir sind aber nicht 30 Prozent produktiver als unsere schwedischen Nachbarn. Wir müssen uns anpassen und werden in den nächsten Jahren wohl kaum Lohnzuwächse erleben. Der Lebensstandard wird bleiben, wie er ist – hoffentlich.





Stagnation auf hohem Niveau. Wird das zu sozialem Unfrieden führen?
Kaum. Die Einkommensunterschiede sind in Norwegen relativ gering. Und die Bevölkerung versteht, dass Lebensstandard und Löhne nicht so stark steigen können, wie in den letzten Jahren. Das sehen auch die Gewerkschaften so. Vor 30 Jahren mussten wir schon einmal durch so eine Phase. Die Norweger kennen das. Wir wurden auch von der Finanzkrise getroffen; es gelang uns aber die Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden. Das ist auch jetzt die große Herausforderung.
Sie klingen nicht sonderlich besorgt.
Der Boom der letzten zehn Jahre war eine Sondersituation. Es war klar, dass es nicht immer so weiter gehen kann. Nach einer Überhitzung kommt immer eine Abkühlung. Wir hatten lange das Gefühl, Norwegen sei ein eigener Planet. Eine Insel der Glückseeligen, die mit der Außenwelt nicht viel zu tun hat. Jetzt kehrt wieder Normalität ein, vielleicht schneller als viele Beobachter es annehmen.