1953 erklärte die Regierung der damaligen Volksrepublik Polen: „Mit Rücksicht darauf, dass Deutschland seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Reparationen bereits in bedeutendem Maße nachgekommen ist und dass die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Deutschlands im Interesse seiner friedlichen Entwicklung liegt, hat die Regierung der Volksrepublik Polen den Beschluss gefasst, mit Wirkung vom 1. Januar 1954 auf die Zahlung von Reparationen an Polen zu verzichten."
Das polnische Argument, der damalige Staat sei nur eine Marionette Moskaus gewesen, ist völkerrechtlich belanglos. Aber selbst wenn man es akzeptierte: Das demokratische und nicht mehr von Moskau abhängige Polen hat 1991 im Rahmen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrages die letzten noch offenen Entschädigungsfragen mit dem wiedervereinigten Deutschland geklärt. Das Zaudern namhafter deutscher Unternehmen bei der Entschädigung von Zwangsarbeitern war kein Ruhmesblatt. Sie ließen erst allzu spät und nur unter öffentlichem Druck in ihre Archive blicken. Aber über eine Stiftung flossen schließlich umfangreiche Zahlungen in Milliardenhöhe an noch lebende ehemalige Zwangsarbeiter. Dariusz Pawlos, Vorsitzender der Stiftung Polnische-Deutsche Aussöhnung, die in den 1990er Jahren diese Zahlungen an Opfer abwickelte, hat das der Deutschen Presse-Agentur gerade erst bestätigt.
Nachfolgende polnische Regierungspolitiker haben mehrfach eindeutig und unmissverständlich auf Forderungen verzichtet. Der damalige Ministerpräsident Marek Belka erklärte die Angelegenheit als „ein für alle Mal abgeschlossen“.
Die Motivation der aktuellen Regierung, nun dennoch wieder Reparationsforderungen zu erheben, dürfte also nicht durch die Hoffnung begründet sein, tatsächliche Zahlungen zu erhalten. Es dürfte viel eher ein gefühlspolitisches Motiv vorliegen.
Krisen, die die EU überlebt hat
Als Großbritannien 1963 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft der sechs Gründerstaaten beitreten will, legt Frankreichs Präsident Charles de Gaulle sein Veto ein. Großbritannien sei weder politisch noch wirtschaftlich reif, argumentiert er. Erst sein Nachfolger Georges Pompidou bringt die Wende. Der Beitritt der Briten gelingt 1973 - zehn Jahre nach dem ersten Antrag.
Von Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre schwächelt die Gemeinschaft wirtschaftlich und politisch. Von „Eurosklerose“ ist die Rede. Die Konkurrenz aus den USA und Japan macht dem europäischen Markt zu schaffen. Die Mitgliedsländer versuchen, ihre Märkte zu schützen und nationale Interessen durchzusetzen. Die Krise wird überwunden durch neuen Schwung nach den Beitritten von Spanien und Portugal und dem Plan eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts.
Es soll der Startschuss zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sein. Doch die Dänen sagen in einem Referendum Nein zum Vertrag von Maastricht und setzen das politische Europa 1992 unter Schock. Elf Monate vergehen, bis ein Kompromiss mit Sonderrechten ausgehandelt wird, dem die Dänen zustimmen.
Mehrere Mitglieder der vom Luxemburger Jacques Santer geführten EU-Kommission müssen sich einem Misstrauensvotum im Europäischen Parlament wegen möglicher Betrugsaffären stellen. Ein von „fünf Weisen“ erstellter „Bericht über Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft“ besiegelt kurz darauf das Schicksal der Santer-Kommission. Das gesamte Kollegium tritt im März 1999 zurück.
Mehr Demokratie und Transparenz - darum geht es 2005 in dem mühsam ausgehandelten „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ der damals 25 EU-Staaten. Doch die Franzosen und die Niederländer lehnen die EU-Verfassung bei Volksabstimmungen ab. An ihre Stelle tritt letztlich 2009 der Vertrag von Lissabon, der ähnliche Ziele verfolgt.
Die PiS, die gerade dabei ist, den polnischen Staat nach ihren zweifelhaften Vorstellungen umzubauen, bezieht ihre Legitimation nicht zuletzt aus der Quelle des traditionellen polnischen Nationalismus. Sie pflegt daher einen Geschichtskult, für den der Zweite Weltkrieg von zentraler Bedeutung ist. Der Nationalismus ist in Polen mehr als in jedem anderen europäischen Land mit dem Mythos des nationalen Opfergangs verbunden – gewürzt mit einer gehörigen Portion Katholizismus. Dass der Mythos, wie jeder Mythos, reale Hintergründe hat, bleibt unbenommen.
Um diese Quelle für die Mobilisierung emotionalen Rückhalts der national gesinnten PiS-Anhängerschaft am Sprudeln zu halten, ist die Pflege von nationalen Feindbildern notwendig – also die der historischen Unterdrücker Russland und Deutschland. Eine nationale Emotionalisierung im Innern scheint für die PiS Vorrang vor einem guten Verhältnis zum heutigen Deutschland zu haben. Zumal die Fokussierung auf die Geschichte der Verbrechen des früheren Deutschland so gut geeignet ist, die Kritik des gegenwärtigen Deutschland an den gegenwärtigen polnischen Zuständen abperlen zu lassen. Das ist verantwortungslos, weil es gefährdet, was Generationen deutscher und polnischer Nachkriegspolitiker im Sinne der Versöhnung erreicht haben.