Es ist bekannt, dass Europa bis 1939 der Hauptproduktionsstandort und -Umschlagplatz von globalen Innovationen war - und das es seinen Reichtum der simplen Tatsache verdankt, dass hier (und nicht woanders) ein Großteil der ökonomischen Umsetzung all des Wissens, das in der Weltwirtschaft neu entstand oder neu zur Anwendung kam, stattfand.
Anders gesagt: Wir erfreuen uns in Europa nur deshalb eines so großen Wohlstands, weil unsere Unternehmen seit Jahrzehnten an der Spitze von Innovationen stehen. Ohne die Einfälle unserer Ingenieure, die Ideen unserer Forscher und das Geld unserer Investoren stünden wir sehr bald an der Innovationsperipherie – und hätten mit der Produktion von Maschinen- und Software-Generika nur noch sehr schmale Gewinne zu verteilen.
Europa muss daher weiter fortschreiten, ob es will oder nicht: Ohne Innovationen kein "qualitatives Wachstum", ohne Progress keine "Entschleunigung". Ausgerechnet die neuen ökologischen Knappheiten zwingen uns zu neuen Innovationen, die weltpolitische Marginalisierung des Kontinents vielleicht sogar noch mehr: Nachdem der Staatsschuldenkapitalismus die finanziellen Reserven Europas weitgehend aufgezehrt hat und die militärisch erschöpften USA auf mittlere Sicht zu schwach sein werden, um ihren weltpolizeilichen Aufgaben wie ehedem entsprechen zu können, wird nur noch ein realwirtschaftlich dominantes Europa ausreichend Kraft haben, mit überlegenen Maschinen und Anlagen auch so etwas wie „westliche Werte“ in Umlauf zu bringen.
Dabei handelt es sich einerseits um eine Herausforderung, die binnendemografisch schwierig genug ist – junge Bevölkerungen in wachstumskräftigen Ländern sind innovationsbereiter als graue, zivilisationssatte Gesellschaften wie die in Westeuropa – und andererseits um eine Herausforderung, die weltdemografisch beinahe unlösbar erscheint: Im Jahre 2050 wird Europa (ohne Russland) nur noch 6 Prozent der Weltbevölkerung stellen.
Nigeria und Indonesien werden dann doppelt so viele Einwohner zählen wie Deutschland, Frankreich und Italien. Kurzum, wenn es in zwei, drei Jahrzehnten überhaupt noch einen Vorsprung Europas gibt, kann es nur ein technologischer sein. Ein Vorsprung an Innovation, sprich: an überlegenen Ideen und Produkten, die beispielsweise das Zusammenleben von neun Milliarden Menschen auf diesem Planeten erleichtern - und für die der große Rest der Welt bereit ist, einen angemessenen Preis zu bezahlen.
Europa (und mit ihm die unteilbare Doppelidee von "Wachstum" in zivilisatorischer und emanzipatorischer Hinsicht - hat künftig die Chance, als Gehirn der Welt eine funktionale Rolle zu spielen - oder überhaupt keine. Nur an der Spitze des "Fortschritts" kann es sich vernehmbar machen und glaubhaft auf die Vorzüge seines liberalen Politik- und Wirtschaftsmodells hinweisen - oder aber gar nicht.