Unabhängigkeit der polnischen Justiz EU-Gesetz teilweise verfassungswidrig

Der Europäische Gerichtshof hat die Unabhängigkeit der polnischen Justiz erneut deutlich in Frage gestellt. Quelle: dpa

Das Urteil des Verfassungsgerichts dürfte die Beziehungen zur Union weiter belasten. Kritiker der Regierung sehen die Menschenrechte in Gefahr.

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Die Gesetzgebung der Europäischen Union steht nach einem Urteil des Verfassungsgerichts in Warschau teilweise im Widerspruch zur polnischen Verfassung. Das Gericht erklärte am Donnerstag, dies betreffe Bestimmungen der EU-Verträge und europäische Gerichtsurteile. Zwei der 14 Richter, die über den Fall berieten, wichen von der Mehrheitsmeinung des Gremiums ab. Ein Regierungskritiker sprach von einem „schwarzen Tag“ für das Land.

Die Richter erklärten, die EU-Mitgliedschaft des Landes und die Unterzeichnung der EU-Verträge bedeuteten nicht, dass den EU-Gerichten die oberste rechtliche Autorität übertragen werde und Polen seine Souveränität an die EU abtrete. Die Verfassung bilde das höchste Gesetz in Polen und jedes internationale Abkommen und jeder Vertrag müsse dieses Gesetz respektieren.

Das Gericht eröffnete den Fall im Juli auf Antrag des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki. Er beantragte die Überprüfung, nachdem der Europäische Gerichtshof entschieden hatte, dass das Recht der EU Vorrang vor dem polnischen Recht habe. Das Urteil betraf ein Verfahren zur Ernennung von Richtern unter der rechtsgerichteten Regierung Polens.

Dem Urteil gingen monatelange Verfahren voraus, in denen Vertreter der polnischen Regierung, des Präsidenten und des Parlaments argumentierten, dass die polnische Verfassung über dem EU-Recht stehe. Urteile des Europäischen Gerichtshofs stünden mitunter im Widerspruch zur polnischen Rechtsordnung, erklärten sie.

Vertreter des polnischen Menschenrechtsbeauftragten argumentierten dagegen am Donnerstag vor der Bekanntgabe des Urteils, dass Polen bei seinem Beitritt zur EU im Jahr 2004 zugestimmt habe, die EU-Rechtsordnung zu respektieren. Eine Infragestellung dieser Ordnung würde die rechtlichen Schutzstandards für Menschen in Polen senken, erklärten sie. „Es handelt sich um ein Bündnis antidemokratischer Kräfte gegen Polens Mitgliedschaft in der Europäischen Union“, twitterte Michal Wawrykiewicz, ein regierungskritischer, proeuropäischer Anwalt. Er sprach von einem „schwarzen Tag“ in der Geschichte des Landes.

Die polnische Regierung beharrt darauf, dass die Justiz ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der EU-Mitgliedstaaten und nicht in den der EU fällt. Sie ignorierte eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs. Der stellvertretende Außenminister Pawel Jablonski betonte jedoch, dass ein Urteil, das der polnischen Verfassung Vorrang einräume, nicht gegen die EU-Mitgliedsverträge verstoße. Stattdessen würden die Verträge neu definiert, erklärte der Minister und verwies darauf, dass die obersten Gerichte auch in anderen Mitgliedsländern die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs nicht befolgt hätten.

Das Verfassungsgericht wird von der EU aufgrund des politischen Einflusses der polnischen Regierungspartei auf die Ernennung einiger seiner Richter als unrechtmäßig angesehen. Viele von ihnen sind regierungstreu - darunter auch die Vorsitzende Richterin Julia Przylebska, die das Gremium im aktuellen Fall leitete.

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Es wurde erwartet, dass die Entscheidung die Zukunft der ohnehin schon schwierigen Beziehungen Polens zu den 27 Mitgliedstaaten beeinflussen wird. Diese hatten Versuche der rechtsgerichteten polnischen Regierung kritisiert, mehr Einfluss auf die Justiz auszuüben.

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