Editorial
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Das Risiko unserer Zeit lauert in den Zinsen

Quelle: Jann Höfer für WirtschaftsWoche
Horst von Buttlar Chefredakteur WirtschaftsWoche

Turbulenzen, wie wir sie gerade im Bankensystem und an den Märkten erleben, drängen die Frage auf: Ist dies ein Vorbeben einer viel größeren Krise? Eigentlich egal. Das dumpfe Gefühl, etwas sei nicht in Ordnung, ist da. Eine Kolumne.

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„Eine Krise ist wie eine schöne Frau“, hat Charles P. Kindleberger einmal geschrieben, der große Ökonom und Wirtschaftshistoriker. Sie sei „schwer zu beschreiben, aber auf den ersten Blick zu erkennen“. Abgesehen davon, dass Kindleberger für dieses Zitat heute sofort einen Shitstorm auf Twitter bekommen würde, habe ich die Aussage nie ganz verstanden. Oft ist es doch gerade schwer, eine Finanzkrise auf den ersten Blick zu erkennen. Nur wenige sehen sie kommen. Dafür können später viele kluge Köpfe in Kommentaren und Büchern erklären, dass die Krise unausweichlich war. Der ewige Rückschau-Fehler.

Kindleberger, Autor des Klassikers „Manias, Panics, and Crashes“, war ein Experte für Muster von Finanzkrisen durch die Jahrhunderte – deshalb sein Vergleich. Es wäre spannend, zu erfahren, welches Muster er dieser Tage erkennen würde.

Die Turbulenzen, die wir seit vergangener Woche im Bankensystem und an den Märkten erleben, stellen uns vor genau diese Frage: Ist der Doppelkollaps amerikanischer Banken – der zweit- und drittgrößte in der US-Geschichte – und die Notstützung der Credit Suisse ein Vorbeben, ein Vorzeichen, ein Vorspiel zu einer viel größeren Krise? Oder war der Run auf die Silicon Valley Bank (SVB) eine Folge singulärer Fehler und des Missmanagements? Ist auch der Fall der Credit Suisse nur die Folge von jahrelanger Misswirtschaft und eines Strategielochs?

Die Abstürze der Credit Suisse und der Silicon Valley Bank lassen die Finanzwelt beben. Sie sind keine Einzelfälle. Der überfällige Zinsanstieg wird weitere Banken durchrütteln.
von Melanie Bergermann, Malte Fischer, Julian Heißler, Matthias Hohensee, Michael Kroker, Theresa Rauffmann, Anton Riedl, Dieter Schnaas, Hendrik Varnholt, Sascha Zastiral, Lukas Zdrzalek

Auf den ersten Blick scheint die Frage zweitrangig: Panik ist Panik, Ansteckung ist Ansteckung. (Selbst wenn sie diesmal nicht unter kleinen Sparern, sondern unter Millionären ausbrach.) Hier muss man zunächst anerkennen: Regierungen und Regulierer haben seit 2007/08 viel gelernt, der Instrumentenkasten steht bereit. Wir wissen ziemlich gut, was zu tun ist, damit Krisen im Finanzsystem eingedämmt werden. Und so sind die Amerikaner beherzt und schnell eingeschritten. Ein Hauch von „Whatever it takes“. Das war wichtig.

Das dumpfe Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung ist, bleibt dennoch. Denn wenn jemand „Feuer“ im Theater ruft, hilft kein Hinweis auf den hochmodernen Brandschutz und die breiten Fluchtwege.

Die Wurzeln der Turbulenzen, die wir dieser Tage erleben, gehen tiefer. Wir beobachten ein neues Muster: Wer seine Bilanzen vor dieser Zinswende nicht im Griff hatte, hat ein Problem – und zwar nicht nur im Silicon Valley, sondern auch in der Sparkasse um die Ecke. Allein in den USA schlummern 600 Milliarden Dollar nicht realisierter Verluste in den Bankbilanzen.

Der dramatische Anstieg der Zinsen von nahe null auf über vier Prozent innerhalb eines Jahres und der Entzug von Liquidität hat Spannungen und Nöte im Finanzsystem erzeugt, deren Folgen wir noch nicht übersehen. Und US-Behörden haben diesen Zinsschock nicht so durchleuchtet, wie sie es hätten tun sollen – vielleicht, weil ihr Krisenmanagement noch aus der letzten großen Krise stammt.

Es war immer klar, dass der Ausstieg aus der Phase des billigen Geldes schmerzhaft und ruckelig werden würde. Wir alle hatten uns an die Null vor dem Komma gewöhnt (und sie ehrlicherweise nur auf dem Sparkonto beklagt). Dass dieser Exit – der richtig und notwendig ist – im Eiltempo und parallel zu einer geopolitischen Krise vollzogen werden muss, hat niemand vorhergesehen. Deshalb fordert die Anpassung mehr Schmerzen. Und mehr Opfer. Aber auch erhöhte Wachsamkeit: Das Risiko unserer Zeit lauert in den Zinsen.

Lesen Sie auch: Der Zinsschock löst einen Bank-Run der Start-ups aus. Und es wird weitere Opfer geben.

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