Europäische Zentralbank Lagardes grüne Geldpolitik torpediert das Mandat der EZB

Lagardes grüne Geldpolitik torpediert das Mandat der EZB. Quelle: imago images

Die europäische Zentralbank muss aufpassen, sich politisch nicht zu verzetteln. Sie sollte ihr Mandat zur Sicherung der Preisniveaustabilität klar in den Mittelpunkt stellen, schreibt der Ökonom Martin Hellwig. Ein Gastbeitrag.

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Im Zuge des Wechsels der EZB-Präsidentschaft von Mario Draghi zu Christine Lagarde wurde der Klimaschutz zu einem Anliegen der Geldpolitik erklärt. Lagarde bekannte sich zu diesem Ziel und erhielt dafür viel Applaus. Seither steht das Thema „Klimaschutz als Anliegen der Geldpolitik“ auf der Tagesordnung der politischen Diskussion. Die Frage ist allerdings, wie das Ziel des Klimaschutzes sich mit dem Mandat der EZB vereinbaren lässt.

Nach dem Vertrag über die Arbeitsweise der EU hat die EZB das Mandat, für Preisstabilität zu sorgen. Im Übrigen soll sie die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU unterstützen, soweit dies nicht zulasten der Preisstabilität geht. Da die Institutionen der EU den Klimaschutz als wichtiges Ziel betrachten, fällt dieses Anliegen zweifellos unter dieses Sekundärmandat der EZB.

Es bleibt allerdings die Frage, wie mit etwaigen Konflikten zwischen dem Ziel der Preisstabilität und dem Ziel des Klimaschutzes umzugehen ist. Dazu ist oft zu hören, es gebe keinen Konflikt, denn der Klimawandel selbst berge erhebliche Risiken für die Preisstabilität. Der Klimawandel berge auch erhebliche Risiken für Unternehmen, die mit „brauner“ Technologie arbeiten, dies müsse die EZB beim Kauf von Wertpapieren oder der Kreditvergabe an Banken berücksichtigen.

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Jedoch werden die Einflüsse des Klimawandels auf die Inflation zu wenig spezifiziert, als dass man daraus konkrete Konsequenzen für die Geldpolitik ziehen könnte. Nach derselben Logik könnte man argumentieren, die durch eine Pandemie oder einen Krieg verursachten Angebotsverknappungen trügen zur Inflation bei, deshalb müsste auch die Verhinderung von Pandemien und Kriegen ein Anliegen der Geldpolitik sein. Vor allem steht die Frage im Raum, wie gegebenenfalls mit einem konkreten Zielkonflikt umzugehen ist.

Unterstellen wir, dass die derzeitigen Inflationstendenzen anhalten und das Mandat der Preisstabilität eine restriktivere Geldpolitik der EZB verlangt, die die Zinssätze in den Märkten ansteigen lassen würde. Unterstellen wir auch, dass etliche Unternehmen im Bereich der CO2-neutralen Energien erhebliche Bankkredite aufgenommen haben. Sofern die Banken den Zinsanstieg über Zinsgleitklauseln an ihre Schuldner weitergeben können, gefährdet die restriktivere Geldpolitik die Solvenz dieser Unternehmen und ihren Beitrag zu einer weniger klimaschädlichen Energieversorgung. Soll die EZB deshalb auf eine restriktivere Geldpolitik verzichten?

Nach den Rechtsgrundlagen ist diese Frage klar zu verneinen. Laut Vertrag darf die EZB das Sekundärmandat der Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik nur insoweit verfolgen, als dies ohne Schaden für die Preisstabilität möglich ist. In der konkreten Situation würde es aber einen sehr starken politischen Druck geben, die EZB möge doch bitte bedenken, dass Insolvenzen bei Solar- oder Windenergie den Klimaschutz nachhaltig beschädigen könnten.

Die Nennung des Klimaschutzes als Anliegen der Geldpolitik bietet diskurspolitisch eine Grundlage für eine Aufweichung des im Vertrag vorgesehenen Mandats. Ich vermute, dass der Applaus für Lagarde auch der Aussicht auf eine solche Aufweichung galt, für andere Politikanliegen ebenso wie für den Klimaschutz.

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Auch das Argument zu den besonderen Risiken „brauner“ Unternehmen und der von ihnen emittierten Wertpapiere und Schuldtitel ist problematisch. Soweit dieses Argument darauf abzielt, dass solche Risiken überhaupt vorhanden sind und berücksichtigt werden müssen, ist es ernst zu nehmen. Man sollte diese Risiken aber nicht nach anderen Kriterien beurteilen als andere Risiken.

Wenn von zwei Banken die eine Bank Kredite an Unternehmen mit „brauner“ und die andere Bank Kredite an Unternehmen mit „grüner“ Technologie vergibt, dann sollte die Zentralbank sowohl „braune“ als auch „grüne“ Risiken nach den vorgesehenen Verfahren in ihre Analysen einbeziehen und im Übrigen beide Banken gleichbehandeln. Es sollte nicht vorkommen, dass die EZB die Bank mit den „grünen“ Krediten bevorzugt, wenn deren Position bei angemessener Berücksichtigung des Unterschieds von „grün“ und „braun“ riskanter ist.

Die Privilegierung einer als riskanter einzustufenden Institution setzt die Steuerzahlenden zusätzlichen Risiken aus. Für eine politisch motivierte Diskriminierung, die Risiken für die Steuerzahlenden begründet, ist die Zentralbank aber nicht legitimiert.

Ähnliche Erwägungen gelten auch für die immer wieder vorgebrachten Vorschläge zur Aufweichung von Eigenkapitalanforderungen für Banken, die „grüne“ Unternehmen bzw. Technologien finanzieren.

Ich stehe dem System der risikobasierten Eigenkapitalanforderungen skeptisch gegenüber, weil ich Zweifel an der Messbarkeit der Risiken habe und an der Möglichkeit, Manipulation der „Risikomessungen“ durch die Banken auszuschließen. Wenn man aber ein solches System hat, sollte man nicht mit zweierlei Maß messen, als ob Risiken bei der Finanzierung „grüner“ Unternehmen für die Wahrung der Finanzstabilität und den Schutz der Steuerzahlenden per se weniger gefährlich sind als andere Risiken.

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