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Die Pleite der US-Bank Lehman Brothers am 15. September 2008 hat ein Beben in der Finanzwelt ausgelöst. Quelle: AP

Der nächste Lehman-Moment

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Die Kollateralschäden der Politik des billigen Geldes werden deutlicher sichtbar. Zeitweise entgleitet den Notenbanken die Kontrolle über die Märkte.

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Dass Sparer für sichere Anlagen keine Zinsen mehr bekommen, nach Abzug der Inflation Geld verlieren – bekannt, haben wir oft kritisiert. Jetzt aber zeigt sich, dass die Politik der Notenbanken nicht mehr wirkt, dass das über den Ankauf von Anleihen in die Märkte gegebene Geld nur sparunwilligen Regierungen hilft, nicht aber der Konjunktur. Und, ganz neu, dass den Notenbanken womöglich die Kontrolle entgleitet.

In der vergangenen Woche spielte sich auf den US-Geldmärkten Beunruhigendes ab: Der Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander Geld leihen, schoss plötzlich auf in der Spitze zehn Prozent. Auch ein von der Notenbank kontrollierter kurzfristiger Zins kletterte über das von der Fed angestrebte Niveau. Die Fed musste über 200 Milliarden Dollar ins Bankensystem geben und schiebt bis Mitte Oktober 75 Milliarden täglich nach.

Eine solche Knappheit im Geldmarkt unter Banken hatte es zuletzt in der Finanzkrise 2008 gegeben, als die Investmentbank Lehman Brothers pleite ging. Damals hatten die Banken allerdings nur dubiose Immobilienpapiere als Sicherheiten, heute Staatsanleihen – die gelten ja als sicher, noch. Angeblich stieg der Zins also nicht, weil Banken einander misstrauten, sondern weil viele Konzerne auf einen Schlag ihre Steuerschulden begleichen mussten und gleichzeitig Geld bei Banken abriefen.

Ein ungutes Gefühl bleibt trotzdem. Die superniedrigen Zinsen sind unnatürlich, das über Käufe von Staatsanleihen in den Markt gepumpte billige Geld schadet, die Überdosierung ist kontraproduktiv. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, eine Art Über-Notenbank, deren Mahnungen schon vor der letzten Finanzkrise keiner hören wollte, warnte gerade, dass zu viele Investoren aggressiv Risiken übernehmen. Banken lockern ihre Kreditbedingungen. Riskante Kredite werden wieder zu Paketen geschnürt, verbrieft und verkauft, so wie vor dem Lehman-Crash.

Auch bei Anleihen geben Anleger sich mit wenig Zins für hohes Risiko zufrieden. Keine vier Prozent zahlte etwa das Reiseunternehmen Thomas Cook – jetzt sind die Anleihen wertlos. Profitieren könnten Hedgefonds, die auf die Thomas-Cook-Pleite gewettet haben. Mit Kreditausfallversicherungen – auch die kennen wir aus der Lehman-Zeit.

Der Zins, und das steigert das Unbehagen, hat seine Signal- und Steuerungsfunktion verloren. Er zeigt nicht mehr an, wie riskant eine Investition ist. So bekommen auch Zombie-Unternehmen noch viel zu lange Geld. Sie werden durchgeschleppt, bis die Rezession ihnen den Rest gibt. Gesund ist das nicht.

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