US-Konjunktur Die Rezession kommt nicht – sie ist schon da

USA, Konjunktur, Rezession Quelle: imago images

In den USA streiten Experten über das komplizierte Procedere im Land, eine Rezession festzustellen. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass diese in Amerika längst da ist – auch ohne den Rezessionsbescheid der zuständigen Behörde. Ein Gastbeitrag.

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Die Statistik ist unzweideutig: Die jüngsten Zahlen des Bureau of Economic Analysis (BEA) weisen für die US-Wirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen ein negatives reales Wirtschaftswachstum auf. Dies entspricht der gängigen Definition einer Rezession. In den USA muss jedoch die offizielle Bestätigung einer US-Rezession erst noch vom National Bureau of Economic Research (NBER) kommen. Dieses bewertet verschiedene monatliche makroökonomische Indikatoren über längere Zeiträume.

Angesichts der intensiven Debatte in den Medien drängt sich derzeit der Eindruck auf, die gängige und offizielle Einschätzung könnten einander widersprechen. Das aber ist wenig wahrscheinlich: Seit 1948 zeigen die BEA-Daten zum realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) zehn Perioden mit zwei oder mehr aufeinanderfolgenden Quartalen mit negativem Wachstum: 1949, 1954, 1958, 1970, 1975, 1980, 1982, 1991, 2009 und 2020. Und in allen Fällen kam es später zur Erklärung einer Rezession durch das NBER.

Mit anderen Worten: Die „zwei aufeinanderfolgende Quartale“-Definition hat seit 1948 keine falsch positiven Ergebnisse gebracht. Auch auf Basis der NBER-Bewertung haben zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem realen BIP-Wachstum in den vergangenen 74 Jahren stets eine Rezession vorausgesagt.

Zur Person

Allerdings gab es seit 1948 Fälle, in denen das NBER zwar eine Rezession erklärte, jedoch zuvor kein Rückgang des realen BIP in zwei Quartalen zu verzeichnen gewesen war. Dies waren die leichten Rezessionen von 1960-61 und 2001. Dabei handelte es sich um „falsch-negative“ Fälle, die aber für das laufende Jahr 2022 nicht von Belang sind.

Die Konjunkturanalyse des NBER geht über das reale BIP hinaus und berücksichtigt zusätzlich monatliche Daten zum persönlichen Einkommen, zur Beschäftigung, zu den Verbraucherausgaben, zu den Groß- und Einzelhandelsumsätzen und zur Industrieproduktion.

Unvorhersehbare Revisionen

Eine solch breite Definition mag Vorteile haben. Es ist aber nicht bewiesen, dass diese Vielzahl von Variablen als Maßstab dem BIP überlegen ist, das ja seinerseits eine breite volkswirtschaftliche Basis hat.

Es gibt gleichwohl ein weiteres Argument in der aktuellen Debatte: dass die US-BIP-Zahlen für die ersten beiden Quartale 2022 möglicherweise später so weit nach oben korrigiert werden, dass sie nicht mehr zwei aufeinander folgende Rückgänge aufweisen. Solche Revisionen sind natürlich möglich. Aber unvorhersehbar. Und Fakt ist: Von allen Revisionen der BIP-Daten seit 1965 wurde nur 1980 einer der zehn oben erwähnten Fälle von BIP-Rückgängen in zwei Quartalen nachträglich geändert.

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von Nouriel Roubini

Ein weiteres Argument, das von US-Finanzministerin Janet Yellen vorgebracht wird, ist, dass der starke US-Arbeitsmarkt das NBER daran hindert, den derzeitigen Abschwung als Rezession einzustufen. Es stimmt zwar, dass die Beschäftigung zu den Datengrundlagen des NBER zählt. Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, dass diese Variable – selbst wenn sie stark bleibt – allein über die endgültige Einstufung einer Rezession entscheidet. Zwar geht die Beschäftigung während einer Rezession in der Regel zurück.

Es gab jedoch mehrere Fälle, in denen die Beschäftigung weit nach dem Beginn einer auch vom NBER als solcher bezeichneten Rezession zunahm oder in etwa stabil blieb: von Dezember 2007 bis März 2008, von Januar bis April 1980, von November 1973 bis Oktober 1974 und von Dezember 1969 bis April 1970.

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Ein klarer Vorteil der Rezessionsdefinition per Quartalsregel ist, dass sie zeitnah erfolgt und die Märkte und die Politik nicht erst auf den Rezessionsbescheid des NBER warten müssen. Seit Gründung des Business Cycle Dating Committee des NBER 1978 betrug die Zeitspanne zwischen dem tatsächlichen Beginn einer Rezession (wie sie schließlich vom NBER gemessen wurde) und dessen offizieller Bekanntgabe im Durchschnitt sieben Monate. Diese Verzögerung mag für die Regierung von US-Präsident Joe Biden vorteilhaft sein, wenn sie über die Zwischenwahlen im November hinausgeht. Doch unter dem Strich können wir seit Verkündung eines BIP-Rückgangs in zwei Quartalen mit großer Sicherheit davon ausgehen: Die amerikanische Wirtschaft steckt seit Anfang 2022 in der Rezession.

Copyright: Project Syndicate 2022

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