Vordenker von Hayek „Wir können auf dem Weg zur Knechtschaft noch umkehren“

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„Die Meinungsfreiheit geht auf diese Weise rasch über Bord“

Wieso gefährdet die Planwirtschaft die Demokratie? Viele linke Parteien werben für einen demokratischen Sozialismus.
Die Einschränkung wirtschaftlicher Freiheit führt notwendigerweise zur Einschränkung politischer Freiheiten. Hayek hat das in seinem Buch in aller Klarheit herausgearbeitet – und ist später dutzendfach und ausnahmslos empirisch bestätigt worden. Weil die Menschen unterschiedliche Interessen und Wünsche haben, lassen sich in der Zentralverwaltungswirtschaft auf demokratischem Wege keine klaren Entscheidungen treffen, was für wen produziert werden soll. Deshalb muss eine zentrale Behörde über den Produktionsplan entscheiden. Wegen der Komplexität des Wirtschaftsgeschehens sind die Parlamente und die Bürger aber völlig überfordert, die Entscheidungen der Behörde zu überwachen. Die Macht, die das Volk als Souverän in der Demokratie besitzt, fällt im Sozialismus an die zentrale Planbehörde.

Sozialisten behaupten gern, ihre Politik diene dem Gemeinwohl ...
... was ein Vorwand ist, jede Kritik daran als staatsfeindlich abzukanzeln. Die Meinungsfreiheit geht auf diese Weise rasch über Bord. Dabei kann sich das Regime sogar darauf berufen, dass Außenstehende die Komplexität ihres sozialistischen Gesamtplans fachlich gar nicht beurteilen können. Auch Streiks sind nicht länger ein legitimes Mittel der Arbeitnehmer im Verteilungsgerangel, sondern gelten als Sabotage am Zentralplan, der von niemandem durchkreuzt werden darf. Schließlich wird auch das Abstimmen mit den Füßen gewaltsam unterdrückt und das Regime mauert seine Menschen ein – damit ist dann die totalitäre Diktatur perfekt. Alles hierzulande und anderswo vielfach erlebt, alles kein Zufall. Davor hat Hayek bereits 1944 sehr weitsichtig mit dem Weg zur Knechtschaft gewarnt.

Was schlägt Hayek als Alternative vor? 
Die zentrale Botschaft von Hayek lautet, dass man auf dem Weg in die Knechtschaft umkehren kann. Auch dann, wenn man ihn schon ein Stück weit beschritten hat. Hayek plädiert dafür, in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung die Stärken von Marktwirtschaft und Demokratie zu kombinieren. Der Markt ist dafür zuständig, die ökonomischen Prozesse abzuwickeln, weil er das viel effizienter und geräuschloser kann als eine Planbehörde. Die Demokratie hat die Aufgabe, den rechtlichen und institutionellen Rahmen für die Marktprozesse zu setzen. Dabei sollte sie möglichst allgemein gefasste Regeln formulieren, auf die sich viele Menschen verständigen können.

Politische Entwicklungen haben uns wirtschaftliche Vorteile gebracht: längere Öffnungszeiten, ein großes Warenangebot, weniger staatliche Verbote. Doch sie haben auch den Zwangscharakter eines anonymen Systems verstärkt.
von Carsten Lotz

Was spricht für solche allgemeinen Regeln?
Ein Staat, der sich auf allgemeine Regeln beschränkt, ist nicht nur weniger anfällig, zur Beute von Lobbyinteressen zu werden, sondern nimmt auch viel Konfliktstoff aus dem politischen Prozess heraus. Statt immerfort Kampfabstimmungen mit knappen Mehrheiten ginge es mehr um das Finden breiter Konsense. Auch deshalb, weil bei allgemeinen Regeln weniger klar ist, wer davon zukünftig wie betroffen sein wird. Das kommt der Idee des Rawls'schen Schleiers der Ungewissheit näher und vermeidet ein Geschacher um staatliche Pfründe, mit denen nur Partikularinteressen bedient werden.

Derzeit nehmen die politischen Konflikte eher zu.
Die gegenwärtige Polarisierung rührt nicht zuletzt daher, dass der Staat den Menschen immer detaillierter vorschreibt, wie sie ihr Leben gestalten sollen. Eine Intervention jagt die nächste, auch weil den unbeabsichtigten Nebenwirkungen eines Eingriffs in der Logik dieses Politikansatzes durch neue Eingriffe begegnet wird. So entsteht eine Interventionsspirale, die, wenn sie nicht gestoppt wird, am langen Ende in zentrale Planwirtschaft mündet. So sind im politischen Diskurs bereits Forderungen nach einer Rückkehr zur Kriegswirtschaft zu vernehmen, um den Klimawandel zu stoppen. Wenn derartig abstruse Thesen als Teil des normalen Instrumentenkastens in Talkshows und Salons herumgereicht werden, wird es brenzlig. Wenn dann nicht alle Alarmglocken schrillen, befinden wir uns schon deutlich zu weit auf dem Weg in die Knechtschaft.

Hayek weist auf die Bedeutung staatlicher Propaganda hin, wenn es darum geht, sozialistisches Gedankengut in der Bevölkerung zu verankern. Welche Rolle spielt der öffentliche Diskurs für den Weg in die Knechtschaft?
Die Notwendigkeit staatlicher Propaganda ergibt sich aus der Eigenlogik des Wahrheitsanspruchs zentraler Wirtschaftslenkung. Diese weist jedem seinen Platz zu, so dass Menschen wie Schachfiguren auf dem Spielfeld platziert werden. Eigeninitiative und individuelle Interessen dieser Figuren haben dort keinen Platz, sondern nur die Schachzüge, die sich der Spieler ausdenkt. Daher müssen Menschen dazu gebracht werden, ihre individuellen Ansprüche zurückzustellen. Und schon gar nicht sollen sie sich organisieren dürfen, um sich der zentralen Lenkung zu widersetzen. Propaganda soll einschüchtern und Widerspruch so teuer machen, dass ihn sich keiner mehr leisten kann.

Aktuell hämmert man den Menschen ein, weniger zu fliegen, weniger zu grillen und weniger Fleisch zu essen, um das Klima zu retten.
Ökonomen fassen das unter das Instrument der Appelle (Moral Suasion) – kostet nicht viel, bringt aber auch wenig. In einer offenen Gesellschaft kann jeder legitimerweise für andere Lebensstile werben. Problematisch wird es erst, wenn daraus ein Absolutheitsanspruch wird, der andere Entwürfe nicht länger gelten lässt. Denn jeder Politikansatz, der das menschliche Handeln einem zentral vorgegebenen Einzelziel unterordnet, droht irgendwann autoritär zu werden – und zwar deshalb, weil warme Worte allein nicht fruchten. Das beginnt damit, Widerspruch nicht länger zu dulden. In einer Demokratie muss Widerspruch jedoch möglich sein. Nur wenn alle Argumente und Gegenargumente auf den Tisch kommen, lassen sich Politikalternativen bewerten. Gerade das macht das westliche Modell der liberalen demokratischen Rechtsstaaten stark und nicht schwach. Beansprucht die Politik hingegen Alternativlosigkeit für sich, ist es mit der Demokratie schnell vorbei.

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Sozialistische Gesellschaften werden meist von einer kleinen Gruppe gelenkt, die Massen werden gleichgeschaltet. Sind Sozialisten vom Willen zur Macht beseelt?
Man muss zwischen denjenigen, die sich von den Versprechungen des Sozialismus blenden lassen und an seine Ideale glauben, und jenen, die ihn als Instrument zur Ausübung von Macht betrachten, unterscheiden. Es hat immer Menschen gegeben, die sich an schierer Macht berauschen. Der Sozialismus ist für sie ein bloßes Vehikel zum Erlangen von Macht, gerade weil die hehren Ideale so verheißungsvoll sind. Diese lassen sich umso eher kapern, weil sie an die Urinstinkte der Menschen aus der Stammesgesellschaft appellieren. Aktuell lässt sich ähnliches bei der Umwelt- und Klimabewegung beobachten. Auch dort scheinen Interessen am Werk, die nach Macht streben. Ihnen scheint die Marktwirtschaft, in der ökonomische Macht dezentral verteilt und durch den Wettbewerb eingehegt wird, ein Dorn im Auge zu sein, weil sie damit zugleich dem Gestaltungsanspruch zentraler Akteure entzogen ist.

Was veranlasst Sie zu dieser Einschätzung? 
Der Gedanke der Umweltbewegung, den nachfolgenden Generationen eine intakte Natur und Umwelt zu hinterlassen, spricht völlig zu Recht viele Menschen an – ähnlich wie sozialistische Verteilungsideale. Daher eignet sich die Bewegung hervorragend, um von Menschen mit autoritären Regimeansprüchen gekapert zu werden. Schauen Sie sich einmal manche Klimademonstrationen an. Spruchbänder wie „Burn capitalism, not coal“, die dort zu sehen sind, zeigen, in welche Richtung der Zug zuweilen fährt. Man versucht aus dem Klimaschutz eine Systemfrage zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu machen, was angesichts der desaströsen Umweltbilanzen aller sozialistischen Experimente ohnehin absurd ist. Ginge es den schrillen Stimmen unter den Klimaaktivisten tatsächlich um die Sache, müssten sie marktwirtschaftlichen Instrumenten und Technologievielfalt viel aufgeschlossener gegenüberstehen. Leider sind es allzu oft die lauten Töne, die den Diskurs dominieren und so den legitimen Anliegen schaden, weil sie vom Kern des Sachproblems ablenken.

Hayek hat die Systemfrage zugunsten der Marktwirtschaft beantwortet. Linke sehen in ihm einen Marktradikalen ohne Sinn für soziale Anliegen. Wie marktradikal war Hayek?
Liberale Denker lassen sich nur schwer in Schubladen einordnen. Aber man tut Hayek sicherlich nicht unrecht, wenn man ihn als neoliberal im Sinne der damals üblichen Definition bezeichnet. Es ging ihm um die Wiederbelebung des klassisch-liberalen Denkens und zugleich um eine kritische Neuvermessung staatlicher Aufgaben, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des damals grassierenden Interventionismus und den Fortschritten in der ökonomischen Theorie. Das heißt, er war eben nicht marktradikal in dem Sinne, dass er den Staat ablehnte. Hayek hat dem Staat eine deutlich größere Rolle zugestanden als andere Vertreter der österreichischen Schule der Nationalökonomie wie etwa sein Lehrer und Mentor Ludwig von Mises oder Murray Rothbard, der ebenfalls ein Schüler von Mises war.

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Hayek hat sich beispielsweise für eine staatlich finanzierte Existenzsicherung ausgesprochen und auch schon das Problem externer technologischer Effekte adressiert. Mit Blick auf den Sozialstaat hat er gleichwohl betont, dass die staatliche Absicherung die Anreize zur Eigeninitiative nicht zerstören darf. Andernfalls rutschen die Menschen in die finanzielle Abhängigkeit vom Staat und verharren dort als unmündige Versorgungsempfänger. Bürger werden so zu Bittstellern. Auch das sind Schritte auf dem Weg zur Knechtschaft.

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