Diabetes Smarte Technik soll Piksen endlich überflüssig machen

Mehrmals täglich Blutzucker messen, Medikamente spritzen: In Zukunft soll Technik den Alltag der weltweit 422 Millionen Diabetiker erleichtern – mit High-Tech-Pflastern und smarten Sensoren.

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Um den Blutzuckerspiegel zu messen, müssen sich Diabetiker bisher mehrmals täglich piksen. Smarte Ansätze wollen das mittels kleiner Sensoren ändern. Quelle: dpa

Noch bis vor einem Jahr musste sich Evelyn Bruns fünf bis sieben Mal am Tag in den Finger piksen, um ihren Blutzuckerspiegel zu messen. Die 59-Jährige ist Typ-1-Diabetikerin. Das heißt, ihr Körper kann kein Insulin produzieren, das bei gesunden Menschen den Blutzuckerspiegel senkt. "Durch das jahrelange Piksen hatte ich total verhornte Fingerkuppen", sagt Bruns, die eine Selbsthilfegruppe für Diabetiker in Düsseldorf leitet.

Seit Sommer letzten Jahres hat sich das geändert: Ein runder Sensor, der sich unter der Haut am Oberarm befindet, misst nun permanent ihre Blutzuckerwerte.

Ein spezielles Lesegerät zeigt immer dann Werte an, wenn man es über den Sensor hält - für Diabetikerin Bruns eine große Erleichterung. "Vor oder auch während einer längeren Autofahrt kann ich schnell und völlig problemlos nachschauen, wie hoch der Blutzuckerspiegel ist und entsprechend reagieren", so Bruns, die das sensorgestützte Messsystem aktuell für ihre Krankenkasse testet.

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Mit Hilfe von smarter Technologie den Alltag einfacher managen - diesen Wunsch haben wohl viele der weltweit mehr als 422 Millionen Diabetiker. Die Zahl der Betroffenen hat sich seit 1980 vervierfacht. Allein in Deutschland kommen jedes Jahr etwa 300.000 hinzu, so die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG).

Damit steigen auch die Kosten für das Gesundheitssystem: 35 Milliarden Euro fallen pro Jahr für Behandlung, Pflege, Arbeitsunfähigkeit und Frühverrentung von Diabetikern in Deutschland an. Weltweit werden sogar schon Summen von über einer Billion Euro genannt. Tendenz steigend.

Um verstärkt auf die Stoffwechselkrankheit aufmerksam zu machen, steht der Weltgesundheitstag am 7. April in diesem Jahr unter dem Motto "Diabetes besiegen".

Was ist Diabetes

Um den vielen Betroffenen die notwendigen Blutzuckermessungen zu erleichtern, gibt es bereits seit einigen Jahren technische Lösungsansätze. Ein Beispiel ist das Messsystem "FreeStyle Libre" vom US-Pharmakonzern Abbott, das seit Herbst 2014 auch in Deutschland verkauft wird. Ein runder Sensor am Oberarm, der unter die Haut reicht und alle vierzehn Tage vom Anwender selbst ausgetauscht werden muss, misst permanent den Blutzuckerspiegel. Fährt man mit einem Lesegerät über den Arm, werden die Werte angezeigt. Kostenpunkt ab 169 Euro aufwärts für vier Wochen.

Ähnlich, nur ohne Lesegerät, funktionieren die kontinuierlichen Blutzuckermessungen, die es bereits seit mehr als zehn Jahren gibt. Sensoren messen über dünne Nadeln im Unterhautfettgewebe bis zu 1400 Mal täglich den Zuckerwert und geben automatisch Alarm, wenn Unter- oder Überzuckerung droht.

Wieviel Zucker steckt in...

Allerdings muss bei diesen Methoden noch weiter selbst gepikst werden. Denn die Werte werden nicht direkt im Blut sondern im Unterhautfettgewebe bestimmt. Diese Werte hängen den Blutwerten um etwa zehn bis 20 Minuten hinterher. Hinzu kommen hohe Anschaffungskosten von bis zu 2000 Euro und monatliche Ausgaben für Sensoren um die 70 Euro. Die Krankenkasse übernimmt bislang nur in Ausnahmefällen. Im Sommer will der Gemeinsame Bundesausschuss aber noch einmal darüber beraten, so die DDG.

Die intelligente Kontaktlinse von Google und Novartis. Quelle: dpa

Noch in der Entwicklung ist die intelligente Kontaktlinse von Technologieriese Google und dem Schweizer Pharmakonzern Novartis. Sie soll über die Tränenflüssigkeit den Blutzuckerspiegel messen und die Daten drahtlos an ein Mobilgerät senden. Noch in diesem Jahr sollen erste Patientenstudien starten, sagt ein Novartis-Sprecher.

An einer Warn-App für Diabetiker arbeiten aktuell das IT-Unternehmen IBM und der US-Gerätehersteller Medtronic. Die App, die mit der Analytik von Supercomputer Watson erstellt werden soll, wertet die Daten der Medtronic-Insulinpumpen automatisch aus. Fällt beispielsweise der Blutzuckerspiegel extrem ab, soll die App Alarm schlagen. Die erste Version könnte schon in wenigen Monaten auf den Markt kommen.

Dabei geht es Diabetikern nicht nur um das lästige Piksen, sagt Julia Szendrödi. Sie leitet das klinische Studienzentrum am Deutschen Diabetes-Zentrum in Düsseldorf. "Von der Einnahme von Medikamenten und häufigen Blutzuckermessungen unabhängig zu sein, wäre eine Entlastung für viele Patienten", so Szendrödi. Erste Forschungsvorstöße, Blutzuckermessung und Therapie zu verknüpfen, gibt es bereits.

Pflaster statt Spritze: Messung und Therapie in Einem

Im vergangen Jahr haben US-Forscher der Universität North Carolina den Prototypen eines kleinen Pflasters vorgestellt, das bei Bedarf automatisch Insulin abgeben soll. Das Pflaster besteht aus 100 kleinen Nadeln, die jeweils so groß wie eine Wimper sind. Sie enthalten eine Insulin-Füllung plus ein bestimmtes Glukoseenzym und reichen bis knapp unter die Hautoberfläche.

Steigt der Glukosespiegel, reagieren die Enzyme in den Nadeln mit dem Zucker. Dabei entsteht eine Säure, die die Hülle des Insulinsacks auflöst. Das blutzuckersenkende Hormon würde also immer dann freigesetzt, wenn es gebraucht wird. Ähnliche Ansätze von intelligenten Pflastern, die Medikamente freisetzen, um beispielsweise Alzheimerpatienten zu helfen, gibt es bereits seit einigen Jahren auf dem Markt.

Was weltweit die höchsten Gesundheitskosten verursacht

Soweit ist das Diabetes-Pflaster aber noch lange nicht: Bisher haben die US-Wissenschaftler nur an Mäusen geforscht. Klinische Studien am Menschen könnten noch Jahre dauern.

Eine wesentliche Schwachstelle des Prototyps ist, dass der Nutzer keinen Überblick über seine Werte hat. Das haben auch Forscher aus Südkorea erkannt: Vor wenigen Wochen haben sie im Fachjournal "Nature Nanotechnology" eine Studie veröffentlicht, die ein High-Tech-Pflaster für Diabetiker vorschlägt. Erstmals sollen Blutzuckermessung und Medikamentenabgabe in dieser nicht-invasiven Anwendung verknüpft werden.

Das High-Tech-Pflaster aus Seoul: Sensoren sollen den Blutzucker messen, winzige Nadeln können anschließend ein Medikament abgeben. Quelle: Center for Nanoparticle Research, Institute for Basic Science, Seoul

Der Pflaster-Prototyp besteht aus einer durchsichtigen, biegsamen Silikonschicht, die beispielsweise um das Handgelenk (siehe Foto) geklebt werden kann. Darin befinden sich zwei Bereiche, die aus dem Material Graphen bestehen. Der eine Bereich enthält Sensoren, die unter anderem die Glukosekonzentration im Schweiß messen. Sie steht in Korrelation mit den Blutwerten. Die andere Hälfte des Pflasters enthält Mikronadeln, die je nach Zuckerspiegel erhitzt werden und dann ein Medikament in die Haut abgeben.

Verbunden ist das Pflaster mit einem kleinen Gerät, das den nötigen Strom für diesen Vorgang liefert, die Messdaten auswertet und sie drahtlos an das Handy des Nutzers schicken kann. Eine spannende Idee, die allerdings noch viele Hürden zu nehmen hat. Zum einen ist die Studienlage relativ dünn: Die Südkoreaner haben ihr Pflaster bislang nur an Mäusen und zwei gesunden Studenten getestet.

Zum anderen sei das im Versuch gewählte Medikament, Metformin, ungeeignet. "Metformin wirkt sehr langsam und indirekt, indem es die Insulinsensitivität verbessert. Zur Verabreichung über die Haut wäre ein potenteres Medikament wie Insulin besser geeignet", erklärt Medizinerin Szendrödi vom Deutschen Diabetes-Zentrum.

Dem stimmt auch Lutz Heinemann zu, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Technologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft. Am meisten erhofft er sich vom Konzept einer künstlichen Bauchspeicheldrüse. "Die Zuckerkonzentration im Unterhautgewebe wird kontinuierlich von Sensoren gemessen. Die Daten werden per Bluetooth an ein Smartphone geschickt. Dort wertet sie ein Algorithmus aus und steuert anschließend eine Insulinpumpe", erklärt Heinemann.

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