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Digitalisierung im GesundheitswesenEndlich kommt das E-Rezept – aber nicht für alle

Nach jahrelangem Hickhack steht fest: Das E-Rezept kommt ab Herbst. Der Digitalisierungsdurchbruch aber ist das nicht. Denn die Technik startet nur in zwei Regionen – und nur bei den Ärzten, die Lust haben mitzumachen.Michael Kroker 01.06.2022 - 10:52 Uhr

Drei Monate nach dem Start des E-Rezepts in den beiden Testregionen sollen weitere Gebiete hinzukommen; auch eine verpflichtende Einführung könnte je nach Resonanz noch erfolgen.

Foto: dpa

Allgemeinmediziner Stefan Spieren ist ein Arzt, wie sie in Deutschland selten sind: Er interessiert sich nicht nur für Menschen, sondern auch für Technik. Und er hat früh damit begonnen, die Technik zu nutzen, um den Menschen zu helfen – etwa das aktuell heiß diskutierte elektronische Rezept. „Ich benutze es seit gut vier Wochen, und es funktioniert“, beteuert Spieren. Der Allgemeinmediziner aus dem sauerländischen Wenden hofft, dass endlich ein Fahrplan für die Einführung des E-Rezepts kommt. „Nur so kann man Voraussetzungen schaffen, damit die Digitalisierung im Gesundheitswesen endlich voran kommt.“

Am gestrigen Spätnachmittag haben die Gesellschafter der Gematik wieder einmal über das E-Rezept diskutiert – und sich endlich auf solch einen Fahrplan geeinigt. Das bundeseigene Unternehmen betreibt die technische Infrastruktur für Digitalanwendungen im Gesundheitswesen; zu den Gesellschaftern gehören neben dem Bundesgesundheitsministerium mit 51 Prozent diverse Vertreter der hiesigen Ärzte-, Krankenkassen- und Apothekerverbände. 

Nach mehr als vier Stunden Diskussionen stimmten die Gesellschafter nach Informationen der WirtschaftsWoche einstimmig einer Beschlussfassung zu. Demnach startet das E-Rezept von September an in den Regionen Schleswig-Holstein und Westfalen-Lippe mit verstärkten Tests – allerdings ohne eine verpflichtende Teilnahme von Arztpraxen. Hier hat sich dem Vernehmen nach die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) durchgesetzt – und dafür im Gegenzug dem Projekt trotz großer Vorbehalte zugestimmt. 

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Drei Monate nach dem Start in den beiden Testregionen sollen weitere Gebiete hinzukommen. Auch eine verpflichtende Einführung könnte je nach Resonanz noch erfolgen. „Ich bin über die Entscheidung total glücklich“, sagt Ralf König, Apotheker aus Nürnberg und Vorsitzender des Vereins „E-Rezept-Enthusiasten“, einer Interessenvereinigung zur Förderung des elektronischen Rezepts. „Das wichtigste ist, dass jetzt alle an einem Strang und in dieselbe Richtung ziehen.“

Das war längst nicht immer so. Vor allem die Ärzteschaft hat sich mit der Digitalisierung schwer getan und an vielen Stellen gebremst. „Viele verweigern sich digitalen Medien“, weiß Gerd Wirtz, promovierter Neurophysiologe und Berater für Ärzte sowie Unternehmen rund um die Medizin der Zukunft. Laut KBV fällt die IT-Infrastruktur der Gematik häufig aus, Kartenlesegeräte stürzen ab und legen Praxen lahm. Die Freie Ärzteschaft forderte im Vorfeld des Deutschen Ärztetages Mitte Mai deshalb einen generellen E-Rezept-Stopp; die KBV sogar ein einjähriges Moratorium aller Digitalmaßnahmen im Gesundheitswesen. „Genau aus diesem Grund kommen Verbesserungen wie das E-Rezept nicht vom Fleck“, so Wirtz.

Seit mehr als 20 Jahren steht das elektronische Rezept auf der politischen Agenda – ähnlich wie die elektronische Patientenakte (ePA) und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Eigentlich sollte es mit dem elektronischen Ersatz für die rosa Papierzettel in deutschen Arztpraxen im Januar dieses Jahres endlich losgehen – bis Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach kurz vor Weihnachten den Stecker zog.

Enormes Einsparpotenzial

Dabei ist das Einsparpotenzial enorm: Laut einer Ende Mai veröffentlichten Studie des Beratungsunternehmens McKinsey sind durch eine flächendeckende Einführung von digitalen Gesundheitstechnologien wie E-Rezept, ePA und eAU Einsparungen von insgesamt 42 Milliarden Euro pro Jahr möglich – allein elektronische Rezepte könnten hierzu eine Milliarde Euro beisteuern.

Bis zum Start des neuen Fahrplans läuft erst einmal die seit Ende 2021 laufende Testphase beim E-Rezept weiter. Laut Dashboard auf der Gematik-Webseite wurden in den ersten fünf Monaten deutschlandweit rund 23.400 elektronische Rezepte eingelöst. Zur Einordnung: Laut Digitalisierungsberater Wirtz werden in Deutschland 1,2 Millionen Rezepte ausgestellt – jeden Tag. „Das dauert leider alles viel zu lang – und Deutschland wird von Ländern wie den Niederlanden oder Schweden immer weiter abgehängt.“

Nicht so beim Digitalvorreiter Spieren in Wenden. Von den 100 bis 150 Rezepten, die in seiner Praxis durchschnittlich jeden Tag ausgestellt werden, sind mittlerweile 50 bis 80 E-Rezepte – womit Spieren bundesweit ziemlich weit vorne liegen dürfte. Zwar muss der 44-jährige Allgemeinmediziner noch die meisten E-Rezepte ausdrucken, weil viele Patienten noch nicht die E-Rezept-App der Gematik nutzen. „Meine Mitarbeiter entlastet es dennoch“, sagt Spieren. Denn auch ausgedruckte E-Rezepte müssen nicht mehr unterschrieben werden – dadurch entfallen schon heute viele Gänge quer durch die Praxis. Zudem denkt der Sauerländer bereits weiter: „Ich arbeite an einer technologischen Brücke, damit ich die E-Rezepte, wenn gewünscht, wenigstens per E-Mail digital versenden kann.“

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