Interview mit Rolf Pfeifer "Maschinen haben das Kommando übernommen"

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Der Roboter, der alles kann ist Utopie

Mit wachsender Intelligenz der Maschinen hat dies nichts zu tun?

Nein. Maschinen können immer noch nur das, wofür sie jeweils geschaffen wurden. Der Mensch hingegen beherrscht eine ungeheure Vielfalt unterschiedlichster Dinge. Wir können sprechen, komplexe Situationen erkennen und beurteilen, nähen, kochen, Bücher schreiben und rechnen. Und ebenso wichtig: Wir lernen ungeheuer schnell dazu. An diese Vielseitigkeit kommt selbst das ausgebuffteste technische System nicht annähernd heran.

Wir müssen also auf den elektronischen Butler, der uns die lästigen Dinge des Alltags abnimmt, weiter warten?

So ist es. Erst werden wir viele hoch spezialisierte Maschinen um uns herum haben, die Staub saugen, Fenster putzen, das Geschirr abräumen oder uns künftig das Autofahren abnehmen. Sie sind teils schon billig genug, um einen Massenmarkt zu bedienen. Der Roboter, der alles kann, ist dagegen bis auf Weiteres Utopie.

Ist Komplexität der einzige Grund für das Scheitern?

Beileibe nicht. Nehmen wir nur unsere Hände. Ihre Beweglichkeit und Sensitivität ist eine wichtige Voraussetzung, für die menschliche Vielseitigkeit. Allein in den Fingerkuppen steckt eine große Zahl feiner Sensoren, die Druck, Temperatur, Vibration und Schmerz empfinden. Hinzu kommt: Die Oberfläche unserer Hände ist deformierbar und passt sich jeder Form eines Objekts an. Das ist die Voraussetzung für sicheres Greifen. Schließlich ist die Haut extrem robust, wasserdicht – und wenn sie verletzt ist, heilt sie von selbst. Alle diese Eigenschaften können wir heute technologisch nicht einmal ansatzweise nachbilden.

Wenn das schon nicht klappt, halten Sie es dann für möglich, das menschliche Gehirn nachzubauen, wie es Wissenschaftler in einem großen EU-Projekt anstreben?

Dieser Ansatz ist problematisch. Man müsste zumindest das Gehirn in einen simulierten Körper einbetten, anstatt es zu isolieren. Zu glauben, das Gehirn in eine Nährflüssigkeit stecken zu können und es würde weiter sinnvoll funktionieren, hat nichts mit der Realität zu tun.

1997 schlug der von IBM-Ingenieuren konstruierte Großcomputer Deep Blue Weltmeister Garry Kasparov im Schach. War dies der erste Triumph einer Maschine über den menschlichen Verstand?

Aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinne. Denn die Art und Weise, in der ihr das gelang, unterscheidet sich komplett davon, wie ein Mensch Schach spielt. Deep Blue konnte nur extrem schnell unendliche viele Varianten von Zügen auf ihren Erfolg hin durchrechnen, mehr nicht. Auch ich war anfangs überzeugt: Intelligenz gleich Computerprogramme. Aus diesem Gedanken heraus haben wir hier am Institut Ende der Achtzigerjahre sogenannte Expertensysteme entwickelt, die anhand von Wenn-dann-Regeln voraussagen sollten, wie sich Aktienkurse entwickeln oder an welcher Krankheit ein Patient leidet.

Und: Trafen die Prognosen zu?

Selten. Uns wurde bald klar, dass unser Handeln und Denken nur sehr bedingt logischen Regeln folgt. Sie sind ein extrem schlechtes Modell, um menschliche Intelligenz zu verstehen. Dafür bedarf es mehr als Mathematik.

Was fehlte denn?

Ein Körper. Ohne ihn kann sich Intelligenz nicht entwickeln. Und sie wäre ohne ihn auch nutzlos. Evolutionsgeschichtlich ist es klar, dass Intelligenz als Teil eines kompletten Organismus entstanden ist. Der evolutionäre Selektionsdruck auf das Gehirn kam daher, sich fortbewegen und im Raum orientieren zu müssen.

Deshalb begannen Sie, mit Robotern zu experimentieren?

Genau. Sie bieten den Vorteil, dass wir alle Sensorstimulationen und motorischen Steuersignale abspeichern und analysieren können. Daraus hat sich ein ganz neues Verständnis von Intelligenz entwickelt.

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