Johannes Nill im Interview "Ziemlich schleierhaft"

Der Chef des Berliner FritzBox-Produzenten AVM wirft Internet-Anbietern Wettbewerbsbehinderung vor – und dem Regulierer Untätigkeit.

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Johannes Nill Quelle: Valeria Mitelman/PR

WirtschaftsWoche: Herr Nill, fast jeder Onliner kennt Ihre FritzBox. Sie selbst aber scheuten lange die Öffentlichkeit. Nun aber kämpfen Sie offensiv gegen Wettbewerbsbeschränkungen im Kommunikationsmarkt. Wie fühlt man sich als Rebell?

Nill: Das ist der falsche Begriff. Rebellen haben etwas Umstürzlerisches. Ich will etwas bewahren: die Erfolgsgeschichte eines funktionierenden Telekommunikationsmarktes. Wir erleben seit den Achtzigerjahren, welche Dynamik die Liberalisierung gebracht hat. Erinnern Sie sich an den Innovationsschub, als wir nicht mehr nur das graue Post-Telefon benutzen durften? Welche Leistungssprünge es bei Internet-Modems gab, als die Konkurrenz aus Japan und den USA auf den deutschen Markt kam? Jetzt aber scheint Wettbewerb nicht mehr gefragt zu sein. Das beunruhigt mich.

Fakten zur Drosselung
Für wen gelten die Obergrenzen?Zunächst einmal geht es nur um Neukunden, die einen Vertrag vom 2. Mai 2013 an abschließen. "Bestehende Verträge sind von den Änderungen nicht betroffen“, versprach die Telekom in ihrer Mitteilung am Montag. Greifen soll die Tempo-Bremse zudem "nicht vor 2016“. Quelle: dpa
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein gewöhnlicher Haushalt die Obergrenze in seinem Tarif überschreitet?Das lässt sich heute mit Blick auf das Jahr 2016 schwer sagen. Der Telekom zufolge kommt ein Kunde heute im Schnitt auf 15 bis 20 Gigabyte im Monat. Das passt zwar mehrfach in die niedrigste angekündigte Daten-Obergrenze von 75 Gigabyte für Anschlüsse mit einer Geschwindigkeit von bis zu 16 MBit pro Sekunde. Allerdings nimmt der Videokonsum aus dem Netz rasant zu. Neue TV-Geräte sind internettauglich, Sender bauen ihre Mediatheken aus, immer mehr Dienste bieten Streaming von Filmen und Serien an. Bis 2016 kann der Datenhunger der deutschen Haushalte also noch stark wachsen. Quelle: AP
Wie weit kommt man denn so mit 75 Gigabyte?Laut Telekom reicht das neben dem Surfen im Netz und dem Bearbeiten von Mails zum Beispiel für zehn Filme in herkömmlicher Auflösung sowie drei HD-Filme, 60 Stunden Internetradio, 400 Fotos und 16 Stunden Online-Gaming. Wenn solche Online-Dienste insbesondere in einem Haushalt mit mehreren Personen fest zum Alltag gehören, häuft sich locker eine höhere Nutzung an. Allerdings: Der hauseigene Telekom-Videodienst Entertain zehrt nicht an dem Daten-Kontingent. Quelle: REUTERS
Und was ist mit den anderen Anbietern?Nach aktuellem Stand würden die Nutzung von Entertain-Konkurrenten wie Apples iTunes-Plattform, Amazons Streaming-Dienst Lovefilm oder des ähnlichen Angebots Watchever sowie von YouTube das Inklusiv-Volumen verbrauchen. Bis 2016 könnten die Anbieter aber noch Partnerschaften mit der Telekom abschließen, die ihnen für gesonderte Bezahlung einen "Managed Service“ garantiert. Dienste solcher Partner tasten das Daten-Kontingent ebenfalls nicht an. Oder die Anbieter könnten sich zum Kampf gegen die Regelung entschließen. Quelle: dpa
Was passiert, wenn man das Inklusiv-Datenvolumen überschritten hat?Entweder man begnügt sich mit der Vor-DSL-Geschwindigkeit von 387 Kilobit pro Sekunde, mit der man vielleicht E-Mails checken und mit viel Geduld auch im Internet surfen kann. Oder man bucht mehr Datenvolumen hinzu. Die Tarife dafür wurden von der Telekom noch nicht genannt. UPDATE: Die neue Grenze liegt bei 2 MG/s (Stand: 12. Juni 2013). Quelle: dpa
Machen andere Internet-Provider bei der Drosselung mit?Vodafone will nicht mitziehen: „Wir haben keine Pläne, die DSL-Geschwindigkeit unserer Kunden zu drosseln.“ Auch Unitymedia Kabel Baden-Württemberg erteilte einer Drosselung eine Absage: Bereits heute könnten Datenübertragungsraten von 150 Megabit pro Sekunde angeboten werden, die mit wenigen technischen Anpassungen auf 400 MBit pro Sekunde erhöht werden könnten. Bei Kabel Deutschland dagegen gibt es bereits Datengrenzen - sie funktionieren aber anders als bei der Telekom. So ist ein Tages-Volumen von 10 Gigabyte vorgesehen, nach dem das Tempo gedrosselt werden kann. Derzeit passiert das aber erst ab 60 GB am Tag. Bei 1&1 gehört das Prinzip fest zum günstigsten Tarif dazu: Bis 100 GB im Monat surft man mit bis zu 16 MBit pro Sekunde, danach nur noch mit der langsamsten DSL-Geschwindigkeit von 1 MBit pro Sekunde. Quelle: dpa

Woran machen Sie das fest?

Daran, dass der Regulierer plötzlich zulässt, dass Internet-Anbieter Kunden vorschreiben, mit welchen Endgeräten sie online gehen. Das Gesetz gibt jedem Nutzer Wahlfreiheit, welchen Router er am DSL-Anschluss installiert. Nun aber rückt mancher Netzbetreiber die Zugangsdaten nicht mehr raus und zwingt den Kunden so seine Technik auf. Und die Bundesnetzagentur sieht angeblich keine Möglichkeit zum Einschreiten.

Das mag den FritzBox-Absatz bremsen. Aber treibt das wirklich die Kunden um?

Wir haben viele Mails von Kunden bekommen, die sich über diese Entwicklung sorgen. Stellen Sie sich vor, Mobilfunkanbieter würden vorschreiben, welches Handy die Kunden in ihrem Netz benutzen müssen. Das würde keiner akzeptieren. Abgesehen davon hätte in so einem Fall weder Apple noch Google eine Chance gehabt, das iPhone oder Android-Handys auf den deutschen Markt zu bringen. Dieses dirigistische Szenario droht dem Internet mit dem Routerzwang. Das sehen nicht nur wir so. Vergangene Woche haben 16 Hersteller beim Regulierer und beim Bundeswirtschaftsministerium gegen den Hardwarezwang protestiert.

Die Bundesnetzagentur argumentiert, so groß könne das Problem nicht sein. Es hätten sich bisher nur wenige Kunden konkret darüber beschwert.

Noch sind es nur wenige, aber namhafte DSL-Anbieter, die das durchziehen. Wir wollen den Trend stoppen. Um so etwas zu verhindern, hat der Gesetzgeber ja festgelegt, dass Kunden am Internet-Anschluss jede Technik anschließen dürfen, die den aktuellen Standards entspricht.

Die Netzbetreiber begründen die Vorgaben damit, dass sie nur so beste Verbindungsqualität und optimalen Service garantieren können. Ist da was dran?

Nein, es sind die gleichen vorgeschobenen Argumente wie vor der ersten Liberalisierung. Aktuelle Router lassen sich von Ferne warten und konfigurieren, egal, wer sie baut. Ich verstehe, wenn Internet-Anbieter keinen Support leisten wollen, weil Kunden fremde Technik anschließen und falsch konfigurieren. Aber um den Service zu verweigern, braucht es keinen Routerzwang.

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