Scott Chacon ist der Prototyp eines Entwicklers aus dem Silicon Valley: überzeugt davon, dass das Leben eine Aneinanderreihung logischer Schritte ist. Und völlig überrascht, wenn es dann doch anders läuft. Logisch, so dachte sich Chacon, als er im Frühjahr 2015 mit seiner Familie nach Paris zog, wäre es, in Frankreich zügig Französisch zu lernen. „Aber es war frustrierend“, erinnert sich der 38-jährige Gründer der Plattform Github. Mit Franzosen kam er kaum in Kontakt. Die Suche nach Privatlehrern gab er irgendwann auf. Zu teuer. Und dann hatten die nie Zeit, wenn er Zeit hatte.
Aber weil Chacon eben ein Entwickler aus dem Silicon Valley ist, war der Moment der Frustration die Geburtsstunde seines nächsten Start-ups: Chatterbug heißt es. Es bietet seit Kurzem eine gleichnamige App an, die gestressten Expats das Erlernen einer Fremdsprache so einfach wie möglich machen soll. Anders als viele Apps, die bislang vor allem damit werben, Lernbegierigen mit ein paar Klicks auf dem Smartphone in der S-Bahn eine neue Sprache beizubringen, setzt Chatterbug aber vor allem auf den menschlichen Faktor.
Das Herzstück des Programms ist ein Videochat mit Muttersprachlern. Bernd Rüschoff, der als Linguist an der Universität Duisburg-Essen erforscht, wie gut sich Sprachen mit digitalen Tools erlernen lassen, macht das Hoffnung. Denn der menschliche Faktor kommt seiner Einschätzung nach bei den meisten Apps viel zu kurz.
„Sprache ist nicht nur Grammatik“, sagt Rüschoff. Es gehe beim Erlernen einer Sprache auch darum, ein Gefühl dafür zu bekommen, ob das, was man sagt, beim Gegenüber ankommt. „Ob ich die Befindlichkeiten eines Japaners richtig treffe, wenn ich mit meiner deutsch-forschen Art an diese Sprache gehe, das kann ich nur live wirklich einschätzen“, sagt er. Apps seien deshalb zwar ein guter Anfang. Aber: „Meist kommt der Punkt, an dem man mit einer App allein nicht weiterkommt – und echte Gespräche braucht.“
Wer die Nachrichten etwa über das Freihandelsabkommen Ceta in verschiedenen Sprachen verfolgt, sagt Rüschoff, der könne beobachten, wie sehr Wörter immer auch die Mentalität eines Landes widerspiegeln.
Genmanipuliert, genetisch modifiziert?
Während die Deutschen mit deutlich negativem Unterton etwa von „genmanipuliert“ sprechen, wählen die Franzosen die neutralere Beschreibung „genetisch modifiziert“. Die Amerikaner, generell weitaus offener für technische Neuerungen aller Art, reden lieber von „genetically engineered“.
Sprache entstehe eben immer im kulturellen Kontext, sagt Rüschoff. Deswegen bezweifelt er, dass die viel gepriesenen Chatbots – automatisierte Gesprächspartner, wie sie etwa das Start-up Duolingo anbietet – in naher Zukunft schon als Lehrer taugen.
Computer sind schließlich gut in Logik, aber mit den weitaus komplexeren Situationen des menschlichen Miteinanders oft genug überfordert. Und sie können noch nicht so viel, wie die Unternehmen gerne anpreisen. Ein Mitarbeiter von Rüschoff etwa hat kürzlich mit einem Chatbot sein Mandarin verbessern wollen. Doch der Roboter hatte selbst noch Nachholbedarf: Er verstand nicht einmal die Freundin des Mitarbeiters – und die ist Chinesin.
Die Erkenntnis, dass der Mensch der bessere Lehrer ist, scheint nun also auch bei den Anbietern von Sprach-Apps angekommen zu sein: Auch eine der bekanntesten Anwendungen, Babbel aus Berlin, bietet seit August Video-Chats mit Muttersprachlern – wenn zunächst auch nur in speziellen Lernprogrammen fürs Berufsleben, etwa um sich auf ein Bewerbungsgespräch vorzubereiten. Man wolle dieses Angebot allerdings ausbauen, heißt es bei dem Berliner Unternehmen. Auch andere der 14 Sprachen, die man bei Babbel lernen kann, sollen dann von Menschen statt nur von der Maschine unterrichtet werden. Bei Konkurrent Busuu kann man zudem seine Schreib- und Sprechübungen an Muttersprachler schicken. Auch dort plant man weitere Investitionen.
Scott Chacons Chatterbug ist zunächst zwar mit Deutsch gestartet – und umgarnt damit vor allem die englischsprachigen Expats, von denen allein in Berlin mehrere Zehntausend leben. Englisch, Französisch und Spanisch sollen aber zügig folgen. Eine Grundlage erarbeitet man sich im Selbststudium: mit Lernkarten für Vokabeln, Grammatik-, Schreib- sowie Leseübungen. Anschließend kann man die Termine für Videokurse bei den Muttersprachlern zur Vertiefung je nach Bedarf vereinbaren.
Linguist Rüschoff glaubt indes, dass es selbst bei Bildschirmen eine gewisse Barriere gibt: „Da stoßen Sie irgendwann an Grenzen. Es braucht die menschliche Komponente.“ Vielleicht setzt sich auch diese Erkenntnis eines Tages selbst bei in Technik vernarrten Entwicklern wie Chacon durch. Er selbst lernt derzeit mit Chatterbug Deutsch – und sieht im Faktor Mensch sogar noch einen Vorteil: Schüler zeigten mehr Disziplin, wenn sie sich mit einem Menschen statt nur mit einer Maschine zum Unterricht treffen. Einen Menschen versetzten die Lernenden nicht so einfach wie einen Computer, sagt der Mann aus dem Valley.