Messeplatz Deutschland „Corona reißt die Einstiegsbarrieren in den deutschen Messemarkt“

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„Das wird zur Überlebensfrage für die deutschen Messeplätze“


Reicht das um zukunftsfähig zu werden?
Nur den Rahmen aus Stahl und Beton bereitzustellen, das wird auf längere Sicht nicht reichen. Die Zukunft gehört dem Mix aus digitalen Angeboten und realen Events: Beides intelligent zu verbinden wird zur Überlebensfrage für die großen deutschen Messeplätze und internationalen Events.

Aber – Hand aufs Herz – die erforderliche Digitalkompetenz hat doch keine deutsche Messegesellschaft. Mal ganz abgesehen davon, dass es beispielsweise längst global erfolgreiche Business-Netzwerke gibt. Da stehen Sie doch auf verlorenem Posten.
Die meisten deutschen Messegesellschaften sind in kommunalem Besitz. Kein Bürgermeister hat das Know-how oder das Geld, das es brauchte, um irgendeines der virtuellen Räder noch mal neu zu erfinden. Deshalb geht es nicht darum, in ein digitales Wettrennen einzusteigen, sondern sich die richtigen Partner zu suchen, mit denen wir unsere Events in Zukunft zu attraktiven hybriden Angeboten verbinden können.

Wer kann das sein?
Ganz unterschiedlich – mal ein Business-Netzwerk, mal eine Social-Media-Plattform und mal vielleicht auch „nur“ ein reiner Technologieanbieter, mit dessen Hilfe wir Angebote für einzelne Nischen dann auch selbst aufziehen können. Schon jetzt ist beispielsweise absehbar, dass wir auch die Agrar- und Verbrauchermesse Grüne Woche im kommenden Januar ebenfalls als Branchentreff durchführen; wie die IFA, ohne Publikum. Wie es mit der Internationalen Tourismusmesse ITB aussieht, die für März 2021 geplant ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Also organisieren wir gegenwärtig nicht bloß kleinere, regionale Branchentreffen in den weltweiten Partnerregionen der ITB. Sondern wir digitalisieren auch unser eigenes Angebot und bauen unter anderem die virtuelle ITB-Community aus. Über dieses Onlinenetzwerk können sich die Fachleute aus der Tourismusbranche sich nicht bloß während der regulären Messetage über Branchentrends und neue Geschäftschancen austauschen, sondern rund ums Jahr.

Womit aber der Bedarf für persönliche Treffen eher sinkt, oder?
Ganz sicher nicht komplett, so sehr das die Controller freuen würde. Aber wahrscheinlich werden die Messen insgesamt eher kürzer … 

… und auch spezialisierter?
Vermutlich auch das. Ich bin übrigens überzeugt, dass es ohnehin, die kleineren, thematisch spitzeren und eher regional fokussierten Messen sind, die nach dem Coronastillstand als erste wieder in Schwung kommen und – aus den genannten Gründen – wohl nicht die großen, globalen Branchenevents.

DMEA - Connecting Digital Health vom 9. bis 11. April auf dem Berliner Messegelände. Weiterer Text über ots und www.presseportal.de/nr/6600 / Die Verwendung dieses Bildes ist für redaktionelle Zwecke honorarfrei. Veröffentlichung bitte unter Quellenangabe:

Die aber eigentlich gerade die Aushängeschilder und Umsatzbringer des Messeplatzes Deutschland sind ... 
Richtig. Und deshalb glaube ich auch, dass Corona nicht bloß Katalysator für die Digitalisierung der Branche sein wird, sondern sehr wahrscheinlich auch für tiefgreifende strukturelle Veränderungen bei den Betreibern. Der Kapitalbedarf der kommunalen Messegesellschaften ist immens, und das Geschäftsmodell „Messe“ funktioniert für die Eigentümer nur so lange leidlich gut, so lange ihnen die großen Events über die Messegäste Jahr für Jahr Millionen Euro Kaufkraft in die Städte bringen – vom Hotelbett über die Restaurants bis zu den Standmieten der Aussteller. In Zeiten der Pandemie hingegen, sind in den Infrastrukturen der Messegelände einfach nur immense Mengen Kapital gebunden, die keine Erlöse liefern. Das kann sich auf Dauer keine Bürgermeisterin und kein Kämmerer leisten. Da muss das Geld aus anderen Quellen kommen.

Messegesellschaften, deren große Events auf absehbare Zeit keinerlei Erlöse bringen – wer sollte da investieren?
Täuschen Sie sich nicht. Es ist immens viel Geld im Markt unterwegs. Gerade erst ist der Medieninvestor James Murdoch mit 75 Millionen Euro an der Kunstmesse Art Basel beteiligt. Zudem wollte er mit bis zu 49 Prozent bei der Messe Schweiz einsteigen. Auch wenn der Deal gerade wieder wackelt, er ist nur eines von vielen Beispielen: Der Staatsfonds von Singapur hat sich gerade erst an einer eine Milliarde Pfund schweren Kapitalerhöhung beim weltgrößten Messeveranstalter beteiligt, der britischen Informa Group. Das heißt, Geld ist mehr als reichlich da, mit dem sich internationale Investoren in Deutschland einkaufen könnten.

Werden die Städte verkaufen?
Also in der Vergangenheit hätten sie das sicher nicht getan, weil sich die Messen für sie – mindestens über die Umsatzrentabilität der Besucher – gerechnet haben. Aber jetzt ist das anders. Corona hat die Einstiegsbarrieren in den deutschen Messemarkt eingerissen. Und wir werden sehen, wohin das führt. Ich gehe davon aus, dass wir einiges an Übernahmen und Konsolidierung erleben werden. Selbst, wenn das Messegeschäft irgendwann im kommenden Jahr vielleicht wieder anzieht.

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