Nach Super-GAU der Notfallkommunikation Ein Netzausfall wie im Juli 2021 könnte sich auch ein Jahr später wiederholen

Helfer und Fahrzeuge vom Technischen Hilfswerk THW, Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienste und der Bundeswehr im Fahrerlager des Nürburgrings am 17. Juli 2021, drei Tage nach der Flutkatastrophe. Quelle: imago images

Ausgerechnet in den Fluten des vergangenen Sommers fiel der Digitalfunk von Polizei und Rettungsorganisationen aus – der Super-GAU der Notfallkommunikation. Ein Jahr danach zeigt sich: Auf das Versagen des Netzes folgte das Versagen von Bund und Ländern, die Technik katastrophensicher nachzurüsten.

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Seit Stunden schon ergießt sich das Gewitter über dem Südwesten Nordrhein Westfalens und dem Norden von Rheinland-Pfalz, als das sonst so friedliche Flüsschen Erft am späten Nachmittag des 14. Juli 2021 auch in Euskirchen ihr Bett verlässt und sich die Sturzfluten quer durch die Straßen der Kreisstadt ergießen. Hier, wie an so vielen Orten entlang von Erft und Ahr, Inde und Swist, Wupper und Mosel, lösen die Gewitterstürme vor einem Jahr die größte Flutkatastrophe der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland aus. Mehr als 180 Menschen verlieren ihr Leben.

Als die Erft in die Euskirchener Innenstadt strömt, überflutet sie auch die Telefonvermittlungsstelle, an die die Rettungsleitstelle des Kreises angeschlossen ist, es kommt zum Kurzschluss im Netz. Der Ausfall des Festnetzes lässt die Lage der Einsatzleitung um Kreisbrandmeister Peter Jonas nochmals eskalieren; Telefonate mit den kommunalen Feuerwehren in den erftaufwärts gelegenen Kommunen des Kreises, etwa ins historische Städtchen Bad Münstereifel oder die Orte Kall und Schleiden, die in den Fluten untergehen, sind nicht mehr möglich. 

Was den Rettern als einziger Kommunikationsweg noch bleibt, ist der digitale Behördenfunk, über den Feuerwehren, Rettungsdienste und Polizei, wie überall in der Republik, auch im Kreisgebiet im Südwestzipfel von NRW funken. Doch dann geschieht, was eigentlich nie hätte passieren sollen: Ausgerechnet der Digitalfunk, von Bund- und Ländern mit Milliardenaufwand aufgebaut, um selbst in Katastrophenlagen noch zu funktionieren, wenn sonst jegliche Technik versagt, fällt ebenfalls aus. 

Sendestationen werden überspült, Kurzschlüsse legen die Stromversorgung lahm, die Fluten reißen die Datenkabel mit sich, mit denen die Sender ans Netz angeschlossen sind. Und selbst dort, wo die Anlagen theoretisch betriebsbereit blieben, gehen viele Sender vom Netz, weil ihnen der Strom ausgeht. Denn auch die eigentlich vorgeplante Notstromeinspeisung durch externe Generatoren ist nicht mehr möglich. In den überfluteten Landstrichen erreichen die Versorgungstrupps von Feuerwehren, Polizei oder Katastrophenschutz die Standorte der Sender schlicht nicht mehr.

Es ist der Super-GAU der Notfallkommunikation. Und ein Fall, der nach den Annahmen der Funkplaner von Bund und Ländern eigentlich nie hätte eintreten dürfen. Stolz verweist etwa die Bundesanstalt für den Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben, die dem Bundesinnenministerium untersteht und das Kernnetz des Behördenfunks betreibt, auf eine durchschnittliche Verfügbarkeit von 99,95 Prozent. Das heißt, dass die Infrastruktur nur gut 4:20 Stunden pro Jahr ausfallen darf. 

In der Flutkatastrophe des Sommers 2021 aber setzt das Netz in der Katastrophenregion nicht bloß wenige Stunden lang aus; es versagt stellenweise über Tage. „Wir hatten eine Chaosphase von mehr als zwölf Stunden“, erinnert sich Kreisbrandmeister Jonas. Und nicht nur im Kreis Euskirchen verschärft der Ausfall des Behördenfunks die ohnehin prekäre Lage noch. Flächendeckend führt der Zusammenbruch der angeblich so widerstandsfähigen Infrastruktur dazu, dass Krisenstäbe und Leitstellen die Hilfsmaßnahmen nicht mehr wirksam koordinieren können.

Schlimmer noch: Die Führungskräfte in den Rettungszentralen sind in der Lage faktisch blind, weil sie keine Lagemeldungen mehr aus den Flutgebieten bekommen. Man habe keine Ahnung über das tatsächliche Schadensausmaß entlang der Ahr gehabt, berichten etwa Zeugen aus dem Krisenstab des Landkreises vor dem Untersuchungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtages.

Wie dramatisch die Lage am Oberlauf des Flusses wirklich war? Welche Wassermassen sich Stunden nach der Zerstörung etwa des Örtchens Altenahr in die Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ergießen würden? Die Verantwortlichen im Krisenstab des Kreises hätten es mangels funktionierender Kommunikationswege nicht gewusst, erzählen Beteiligte aus der Katastrophennacht.

Neben schwerem personellen und organisatorischem Versagen der zuständigen Behörden war es – auch – der Ausfall des Digitalfunks, der zum Chaos bei den Rettungsmaßnahmen in den Stunden und Tagen nach der Flut vor einem Jahr geführt hat.

Ein Jahr später, müsste man annehmen, sollten die Lehren aus dem Versagen des Behördenfunks gezogen, sollten nicht bloß die Sender repariert und die zerstörten Anschlussleitungen erneuert sein. Ein Jahr nach der Flut, sollte der so überlebenskritische Digitalfunk besser und widerstandsfähiger wiederaufgebaut sein als zuvor. Damit die Technik nicht beim nächsten Großschaden erneut in die Knie geht.
Sollte!

von Thomas Kuhn, Harald Schumacher, Tobias Gürtler

Tatsächlich aber ist abgesehen von der Beseitigung der Akutschäden bis heute erschreckend wenig passiert. Auf Anfrage, welche Lehren aus dem Netzversagen gezogen, welche Verbesserungen im Funknetz umgesetzt worden seien, heißt es vonseiten des fürs Kernnetz des Behördenfunks zuständigen Bundesinnenministeriums auch ein Jahr nach der Flut nur lapidar: „Die Maßnahmenbewertung findet derzeit statt". 

Grundsätzlich seien die Länder für die Zugangsnetze des Behördenfunks verantwortlich, also auch für die Basisstationen. Man könne sich deshalb als Bundesinnenministerium zu Details nicht äußern. Zudem seien in einzelnen Bundesländern noch Untersuchungsausschüsse tätig. Diese könnten weitere Erkenntnisse für notwendige Nachrüstungen und Anpassungen geben. Fazit zwölf Monate nach der Katastrophe: „Abschließende Festlegungen gibt es bisher dazu nicht.“ 

Ganz so als hätte es das Kommunikationsdesaster in und nach der Flut nie gegeben, erklärt eine Sprecherin des Ministeriums auf Anfrage der WirtschaftsWoche, „die Errichtung der Basisstationen erfolgte in Länderverantwortung und entsprechend der aufgestellten Vorgaben mängelfrei“. Bereits seit 2015 würden „ausgewählte Basisstationen im Rahmen der sogenannten ‚Netzhärtung‘ dergestalt ausgestattet, dass ein Ausfall von bis zu 72 Stunden flächendeckend kompensiert werden kann“. Dass genau davon in der Katastrophe aber nicht mal entfernt die Rede sein konnte, dass selbst Rettungskräfte die eine Woche nach der Flut zu Aufräumarbeiten in die Katastrophengebiete entsandt wurden, nicht wieder auf das Behördenfunknetz zugreifen konnten, dazu schweigt das Ministerium.

Kein Wort auch dazu, dass falsche Sparsamkeit beim Netzausbau dazu führte, dass selbst dort, wo die Infrastruktur intakt blieb, die Leistungsfähigkeit des Behördennetzes nicht ausreichte. Ein Großteil der behördlichen Funkstationen war massiv unterdimensioniert, um die Masse des Funkverkehrs abzuwickeln, der durch die Vielzahl von Rettern und Hilfsorganisationen verursacht wurde, die in den Tagen und Wochen nach der Katastrophe in die Regionen eilten. 

Mehr als sieben gleichzeitige Sprechgruppen, die Kapazität einer einfachen Basisstation, würden in den vergleichsweise ländlichen Regionen von Eifel und Umland kaum gleichzeitig genutzt, so die Annahme der Netzplaner. Entsprechend knapp kalkulierten sie die Leistungsfähigkeit der Sender auf dem Land. Ein schwerer Fehler, wie sich zeigte, als Notrufe, Lagemeldungen und Funksprüche mit zusätzlichen Personal- oder Materialanforderungen in den Stunden der Katastrophe das Netz verstopften. Teils warteten die Retter minutenlang vergeblich auf eine Chance, ihre Meldungen abzusetzen. Auch das ein Grund für die gravierenden Koordinationsprobleme der Krisenstäbe. 

Ob Bund und Länder die Basisstationen inzwischen nachgerüstet hätten? Ob die Kapazitäten der Funkzellen ausgebaut seien? Auch dazu gibt es keinerlei konkrete Aussage aus dem Innenministerium: „Die Errichtung der Basisstationen erfolgte in Länderverantwortung und entsprechend der Vorgaben mängelfrei. Die Optimierung der Krisenfestigkeit und die sich daraus ergebenen Ableitungen sind derzeit Gegenstand der Abstimmungen in der Gremienstruktur des Digitalfunks.“ Das heißt: Passiert ist bis heute – nichts.

Und so steht zu befürchten, dass sich ein Netzausfall wie im Juli 2021 auch ein Jahr später wiederholen könnte. Auf das Versagen des Netzes folgte das Versagen der zuständigen Behörden, den Behördenfunk anschließend wirklich katastrophensicher nachzurüsten.

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In Euskirchen blieb Kreisbrandmeister Peter Jonas vor Jahresfrist nicht mehr übrig, als die Unterstützungskräfte, die noch in der Nacht der Flut im Kreisgebiet eintrafen, auf gut Glück ins Kreisgebiet zu schicken: Wasserrettungskräfte der DLRG, der Bundes- und Landespolizei, sowie Feuerwehrbereitschaften oder Helfer des THW brachen „zeitweilig quasi im Blindflug“ zur Menschenrettung in die betroffenen Orte auf: „Meldet Euch bei den Einsatzleitungen vor Ort und schaut was Ihr machen könnt – und dann waren sie für Stunden weg.“

Zwölf Monate später würde es womöglich wieder genauso sein. 

Lesen Sie auch: Flutkatastrophe an Ahr und Erft – das Versprechen auf schnelle Hilfe erweist sich in vielen Fällen als illusorisch

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