Viktor Mayer-Schönberger "Man könnte Daten rosten lassen"

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Google Street View Quelle: dapd

Und genau deshalb wäre der technische Aufwand immens: Es müssten nicht nur Standards geschaffen werden, sondern auch Instanzen, die kontrollieren, dass die Daten tatsächlich gelöscht werden.

Verglichen mit der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung ist der Aufwand gering. Und die Nachfrage nach solchen Techniken wird zunehmen. Gerade entsteht ein neues Problem, das noch niemand so recht überblicken kann, mit RFID-Chips...

...Funketiketten, die Gegenstände vernetzen, beispielsweise Hemden, deren Preis ein Lesegerät im Bekleidungsgeschäft automatisch erfassen kann, ohne das Hemd aus dem Wagen zu nehmen.

Hier gibt es eine heftige Debatte darüber, wie lange die Chips aktiv bleiben sollen. Die Sorge: Die Bewegungen von Menschen lassen sich detailgenau verfolgen.

Auf der anderen Seite kann es auch nützlich sein, Privatsphäre aufzugeben: Je besser Google uns kennt, desto genauer die Suchergebnisse.

Theoretisch stimmt das. Praktisch aber wirkt sich die personalisierte Suche bei Google und Bing auf die Suchergebnisse kaum aus. Das haben wir vor einigen Monaten wissenschaftlich mit Kollegen in Harvard untersucht.

Dennoch ist ein Verfallsdatum ein recht harter Schnitt.

Man könnte die Daten auch rosten lassen. Das Konzept klingt zunächst verrückt, ist aber eine gute Ergänzung: Gespeicherte Informationen würden dabei mit den Jahren immer ungenauer. So könnten etwa die GPS-Ortungsinformationen, die in vielen Fotos hinterlegt sind, zu Beginn die genaue Position enthalten, später nur noch den Stadtteil und am Ende nur mehr den Ort.

Sollte Ihr Verfallsdatum ein Erfolg werden, werden Historiker Sie eines Tages hassen.

Ich denke nicht. Es geht nicht darum, dass wir alle Daten löschen. Wer sich bewusst dafür entscheidet, kann man auch weiterhin Bilder und Texte für die Ewigkeit sichern. Früher haben wir auch nicht jeden Werbezettel aufbewahrt.

Und wieso war es früher besser? 

Denken Sie einmal an den Schuhkarton mit Fotos, den viele auf dem Dachboden lagern. Wenn man die Bilder ansehen will, nimmt man ein Glas Wein und öffnet den Karton. Man unternimmt bewusst eine Reise in die Vergangenheit. Im digitalen Zeitalter können Sie jederzeit auf die Vergangenheit stoßen, selbst wenn Sie es nicht wollen.

Stellen Sie sich vor, Sie suchen nach der Mail eines Freundes, um sich zum Kaffee zu verabreden. Dabei stoßen Sie zufällig auf eine alte Mail, in der Sie einen Streit mit ihm hatten. Durch diesen Fund kommt eine alte, irrelevant gewordene Information in Ihre Erinnerung zurück, die Ihre Entscheidungen in der Gegenwart beeinflusst.

Das passiert aber nicht alle Tage.

Stimmt. Aber Psychologen haben schon vor Jahren gezeigt, dass Menschen, die nicht vergessen können, Probleme haben, zu entscheiden. Sie fühlen sich erinnert an alle Fehlentscheidungen aus der Vergangenheit und werden so in der Gegenwart handlungsunfähig.

Fast hätte ich es vergessen: Verhalten Sie sich im Netz wegen der Gefahren abstinent – und schweigen? 

Nein. Ich nutze Facebook sehr intensiv. Allerdings ausschließlich beruflich. Privates von mir finden Sie dort nicht.

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