Web Summit in der Krise: Überlebt Europas wichtigste Tech-Konferenz den Fehltritt ihres Chefs?

Web-Summit-Mitgründer Paddy Cosgrave hat den Kongress zu Europas wichtigster Techkonferenz entwickelt. Nun muss er nach Kritik an Israels Reaktion auf die Hamas-Attacken zurücktreten, um das Event zu retten.
Es ist ein Stelldichein der Großen, der Wichtigen und der Innovativen: Wenn sich Mitte November in Lissabon wieder Wirtschaft, Politik und Forschung zum Web Summit treffen, dann ist Europas renommierteste Tech-Konferenz „The Place to be“ für alle, die in der Digitalszene etwas zu sagen oder zu besprechen haben.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warb dort in den vergangenen Jahren für den Innovationsraum Europa, Wikipedia-Gründer Jimmy Wales für den Kampf gegen Fake-News, Amazons KI-Chef Vishal Sharma für den Einsatz künstlicher Intelligenz und Nick Clegg, einst britischer Vize-Premier und heute Kommunikationschef bei Meta, verteidigte die Facebook-Mutter in Lissabon gegen den Vorwurf, zu einer Plattform zur Verbreitung von Lügen und Hass verkommen zu sein.
In diesem Jahr aber wird alles anders sein, denn das Event, das am 13. November beginnen soll und bisher mit rund 70.000 Teilnehmern kalkulierte, steht nun selbst im Fokus vehementer Kritik. Seit der Chef und Mitgründer des irischen Web-Summit-Veranstalters Paddy Cosgrave die militärische Reaktion Israels auf die Hamas-Attacken am 13. Oktober in einem Post bei „X“, dem früheren Twitter, als „Kriegsverbrechen“ bezeichnete, steckt der Web Summit in einer Krise, die die Existenz der Veranstaltung bedrohen könnte.
Binnen weniger Tage nach Cosgraves Post distanzierten sich viele Techkonzerne und prominente Teilnehmer von den Aussagen des Web-Summit-Mitgründers – und von der Veranstaltung. Unter anderem haben bisher Amazon, Google, Intel, Meta, Siemens sowie weitere Unternehmen ihre Beteiligung in diesem Jahr abgesagt.
Reist Wirtschaftsminister Habeck noch nach Lissabon?
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der auch im vergangenen Jahr einer der prominentesten Politiker bei dem Event war und in diesem Jahr erneut eine Reise nach Lissabon geplant hatte, hat die Teilnahme vorerst mindestens zur Disposition gestellt. „Wir schauen uns den Sachverhalt aktuell an und werden dann entscheiden“, so eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage der WirtschaftsWoche.
Cosgrave, 41, hatte den Web Summit 2009 in Dublin mit seinen Partnern David Kelly und Daire Hickey gegründet, die Hauptkonferenz 2016 nach Portugal verlegt und die Messe zu Europas größtem Treffen von Tech-Unternehmen und Prominente aus der ganzen Welt entwickelt. Nun versucht er, von dem Renommee zu retten, was noch zu retten ist. Am Samstag kündigte Cosgrave seinen Rücktritt als CEO an, bat um Entschuldigung „für alle Verletzungen, die ich verursacht habe“, und betonte, „ich verurteile vorbehaltlos den bösartigen, abscheulichen und monströsen Angriff der Hamas vom 7. Oktober“.
Dennoch seien seine persönlichen Kommentare „zu einer Ablenkung von der Veranstaltung und unserem Team, unseren Sponsoren, unseren Start-ups und den Menschen, die daran teilnehmen, geworden“, begründete Cosgrave am Wochenende seinen Rücktritt.
Der Schritt drängte sich angesichts der prominenten Absagen zunehmend auf, kam aber dennoch überraschend, nachdem Cosgrave in der vergangenen Woche noch betont hatte, er wolle im Amt bleiben.
Wie es mit der Konferenz nun weitergeht, ist in der Schwebe. Cosgrave versicherte den Mitarbeitern laut einem Bericht der irischen Zeitung „Business Post“, die Show habe genug Rücklagen, um trotz der Rückzüge mindestens zwei Jahre weiterzumachen. Ähnliches berichtete der „Irish Independent“: Das Management hat laut dem Medium mitgeteilt, die Arbeitsplätze seien trotz des eskalierenden Boykotts der Veranstaltung durch die großen Technologieunternehmen derzeit nicht bedroht. Gleichzeitig sei die Entwicklung aber die „größte Bedrohung für die Existenz des Unternehmens seit Covid“, hieß es am Wochenende.
Klar ist derzeit vor allem eines: Die Veranstaltung soll in diesem Jahr trotz allem stattfinden. „Der Web Summit wird so schnell wie möglich einen neuen CEO ernennen, und die Messe wird wie geplant stattfinden“, teilten die Organisatoren kurz nach Cosgraves Rücktritt am Wochenende mit. Offen ist: wie es anschließend weitergeht.
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