Zukunft der Medien Unkreative Zerstörung in der Medienbranche

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Technologische Transformation

Die technologische Transformation unserer Zeit setzt andere Zeichen: Wir brauchen immer weniger Zeit für neue Technologien, weil sie immer einfacher und bequemer werden. Wir konzentrieren uns immer weniger oder kurzfristiger, springen in Sekunden zwischen den Angeboten auf dem Smartphone hin und her, weil der Wechsel jedes Mal einen kurzen Moment der Befriedigung verspricht. Und das Risiko des Scheiterns ist gering. Maximal kann man sich mal vertwittern. Schnell vergessen. Wenn man dagegen die Technologie eines Klaviers beherrschen will, setzt dies jahrelanges Üben voraus.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es ist super, wie viel leichter unser Leben in vielen Bereichen geworden ist. Aber eine Eigenschaft des Menschen ist, dass er gefordert werden will, um sich weiterzuentwickeln. Wir haben ein Gehirn, um die Welt und uns selbst voranzubringen, aber wir delegieren immer mehr Aufgaben an die Maschine. Geht das so weiter, kannibalisieren wir uns irgendwann selbst.

Ein Beispiel ist Facebook Instant Articles. Instant Articles integriert journalistische Stücke, sodass wir ­Facebook gar nicht mehr über einen Link verlassen müssen, um weiterzulesen. Das ist unendlich bequem. Aber es ist auch ein Beispiel für Technologien, die uns nicht fordern, sondern auf die menschliche Bequemlichkeit und den Wunsch nach immer kürzeren Zeitspannen zwischen Bedürfnis und dessen Befriedigung abzielen. Nach den All-inclusive-Ferien kommen die All-inclusive-Ferien fürs Gehirn.

Ein anderer Beispiel ist der Gegensatz von Robojournalismus versus Biojournalismus: Algorithmen produzieren Nachrichtentexte, die kaum mehr von menschlichen Texten unterscheidbar sind. Das funktioniert bislang überall dort gut, wo es um Zahlen geht; in der Sportberichterstattung, in der Finanzberichterstattung, bei Wahlen. Glauben wir dem CEO von Narrative Science, Stuart Frankel, ist die Entwicklung erst am Anfang. „Wenn eine Geschichte von Maschinen geschrieben werden kann, dann wird sie irgendwann auch von Maschinen geschrieben. Das ist nur eine Frage der Zeit.“ Das ist die Logik, die Technologien heute erfolgreich macht: Was unsere Bedürfnisse vorgeben, lässt sich digital leichter und schneller umsetzen.

Ganz sicher gab es keine Zeit, in der in den Medien, aber auch in vielen anderen Bereichen das Individuum so gut bedient wurde wie heute. Nur: Die Logik der technologischen Transformation folgt bislang dem Dreiklang individuell, schnell, bequem. Bei Laufschuhen und Unterhaltungsangeboten ist das super. Aber gilt das auch für den Journalismus?

Tatsächlich sollte es in unserem Leben so etwas wie ein verbindendes Element geben, das über unsere individuellen Präferenzen, unsere Wohlfühlzonen der Selbstgewissheit und Selbstverstärkung hinausreichen sollte. Das leisten auch soziale Netzwerke nur partiell, denn sie verbinden Ähnliches, nicht Unterschiedliches. Unterschiedliches zu verbinden, Kontroversen offenzulegen, zu recherchieren, den Finger in die Wunde zu legen, wo es einer Gesellschaft wehtut, das ist immer noch Aufgabe der Medien. Deshalb gibt es auch unter den Bedingungen von Individualisierung, Schnelligkeit und Bequemlichkeit einen Bedarf für journalistische, gebündelte Medien.

Eine technologische Transformation, die das infrage stellt, hat die Macht, uns aus der Weltgleichung herauszurechnen. Anders gesagt: Das in der Digitalisierung gefeierte Hochamt der Individualität des Nutzers opfert dessen Humanität auf dem Altar der Bequemlichkeit.

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