Vom Pool samt Sonnenterrasse im toskanischen Stil ist der Weg nicht weit zum À-la-carte-Restaurant Montgolfier. Den anschließenden Cocktail schüttelt und rührt das Bar-Team des Fünf-Sterne-Hotels St. Wolfgang im niederbayrischen Bad Griesbach in der Lounge. Beim Frühstück am nächsten Morgen lesen Servicedamen den Gästen jeden Wunsch von den Augen ab, so die lyrische Eigenwerbung des Hotels. In dem geht es aber nicht um schöne Ferien: Auf der Tagesordnung stehen der Check von Blutwerten, Ultraschall der inneren Organe, Gefäßuntersuchungen und die Suche nach orthopädischen Fehlstellungen zum Pauschalpreis von 659 Euro.
Wer das persönliche Controlling in mehreren statt nur einem Tag absolvieren will, zahlt inklusive drei Übernachtungen 962 Euro. Und wer möchte, kann sich Extras wie eine Magenspiegelung (laut Preisliste circa 324 Euro), eine urologische Vorsorge (circa 265 Euro) und mehr gönnen. Denn das St. Wolfgang ist eine Privatklinik mit angeschlossenem Hotel. Das Haus, das zu den privaten Asklepios Kliniken gehört, investiert viel Geld, um als Wohlfühltempel wahrgenommen zu werden. Hier sollen sogar Vorsorgeuntersuchungen Freude machen, und das alles in managergerechten Durchlaufzeiten.
Deutschlands Kliniken brauchen Geld. Obwohl sie allein von den gesetzlichen Krankenversicherungen im Jahr rund 60 Milliarden Euro für ihren Einsatz am Patienten bekommen, gilt mindestens ein Viertel als unterfinanziert. Auf der Suche nach neuen Erlösquellen trifft es sich gut, dass viele Unternehmen entdecken, wie teuer sie kranke Mitarbeiter kommen. Alleine die Produktionsausfallkosten durch arbeitsbedingte psychische Erkrankungen in Deutschland schätzen die Betriebskrankenkassen auf 3,3 Milliarden Euro im Jahr.
Freiwillige Vorsorge, zugeschnitten auf die Bedürfnisse eiliger Führungskräfte, ist daher die Marktnische, die immer mehr Krankenhäuser besetzen wollen. Auf ein Volumen von 300 bis 500 Millionen Euro jährlich schätzt die Unternehmensberatung KPMG diesen Markt in Deutschland. Tendenz: Steigend, denn bis zu 1000 Euro kann so ein Kliniktag kosten.
Das könnte ein für Unternehmen, Mitarbeiter und Kliniken dreifach nützliches Konzept sein, wenn es denn eine Qualitätskontrolle der medizinischen Leistungen und Diagnosen oder eine klare Kosten-Nutzen-Analyse der Angebote gäbe. Doch genau die fehlt – wie so oft im deutschen Gesundheitswesen. Daher sind auch auf diesem Markt schwarze Schafe am Start. Unter dem Deckmäntelchen medizinischer Notwendigkeit zocken sie die bereitwillig zahlenden Unternehmen ab.
Zahlen, wie viele Kliniken ein Stück vom Kuchen abhaben wollen, gibt es nicht. Fast alle privaten Ketten bieten Check-ups an, zudem viele Uni-Kliniken, kommunale Häuser und auch Promi-Anbieter wie die Klinik von Schönheitschirurg Werner Mang am Bodensee. Die neue Nase gibt es dann nebenan. Da Ärzte und Apparate vorhanden sind, braucht es für viele Anbieter nur noch ein bisschen Deko fürs hübschere Ambiente und fertig ist das Vorsorge-Zentrum. Clevere Anbieter machen es anders.
Helios geht gezielt auf Kundenfang
So bietet der private Helios-Kliniken-Konzern schon seit vier Jahren bundesweit Manager-Checks in seinen Kliniken oder mehrtägige Seminare über gesunden Lebensstil in „Gesundheitsresorts“ an der Ostsee und im Allgäu an, exklusiver Service inklusive. Der reine medizinische Basis-Check-up für einen gesunden 35-Jährigen kostet rund 600 Euro in der Klinik. Birgit Hildebrandt, Medizinische Leiterin des Helios Prevention Centers, erklärt, wie Helios – und andere Konkurrenten – auf Akquise gehen: „Wir sprechen gezielt die Personaler und verantwortlichen Ärzte mittelständischer und großer Unternehmen an.“
Zügig und Effizient
Binnen eines Tages soll der Mitarbeiter durchgetestet werden, absolute Anonymität gewahrt bleiben, das Ambiente soll angenehm und die Qualität standardisiert sein. In der Regel wird das 2,3-Fache der Gebührenordnung für Ärzte abgerechnet, das entspricht den Kosten, die auch die private Krankenversicherung übernehmen würde. Privat Versicherte, die auf eigene Rechnung einchecken, bekommen das Geld in der Regel erstattet.
Doch bei der Qualität und ihrer Kontrolle hakt es bei manchen Anbietern aus Sicht von Edmund Beltz, Chef der in der Branche gut beleumundeten Beltz Medical Diagnostik Klinik in Ulm. „Wir erleben einen Zustrom der Enttäuschten. Eine gute Check-up-Klinik kann belegen, dass alle ihre Ärzte das gleiche Programm fahren und deren Diagnosen ständig von einem fachlichen Beirat überprüft werden. Das ist aber nicht die Regel.“ Ob sich Ungenauigkeiten oder Fehler häuften, falle aber nur durch eine externe Kontrolle auf, so der Präventivmediziner.
Das könnte ein Grund dafür sein, dass die Deutsche Lufthansa Untersuchungen vom eigenen medizinischen Dienst machen lässt, statt sie an eine Klinik auszulagern. Die Airline bietet ihren nicht fliegenden Managern sowie außertariflichen Angestellten alle zwei Jahre einen Check-up an. Der medizinische Dienst punkte mit der Kenntnis der jeweiligen Arbeitsplätze und ihrer Beanspruchung, sagt sein Leiter in Frankfurt, der Medizinprofessor Jürgen Graf.
Knackpunkt bei Inhouse-Checks noch mehr als bei außerhäusigen ist aus Mitarbeitersicht der Datenschutz. Nur wenn der zu 100 Prozent gesichert ist und der Chef nicht am nächsten Tag ein indiskretes Memo bekommt, werden interne Angebote angenommen (siehe Interview Seite 68).
Der Mittelständler Festo aus dem schwäbischen Esslingen setzt auf das Beste aus beiden Welten. Matthias Kolb, Leiter der Abteilung Human Resources: „Für unsere generell freiwillige Vorsorge arbeiten wir mit unserem Werksarzt, aber auch mit niedergelassenen Ärzten und Sportinstituten rund um Stuttgart zusammen. Grundsätzlich werden keinerlei Diagnosen übermittelt.“ Rund 90 Prozent der Mitarbeiter nutzen das Angebot. „Für jeden außertariflichen oder leitenden Mitarbeiter stehen binnen fünf Jahren 1300 Euro zur Verfügung“, sagt Kolb. „Pro Jahr stellen wir dafür 200 000 Euro bereit – zusätzlich zu den 125 000 Euro für die betriebliche Gesundheitsvorsorge für alle Mitarbeiter.“
Notwendige Check-ups bezahlt die Krankenkasse
KPMG macht es anders. Die Gesellschaft für Wirtschaftsprüfung und Beratung mit Hauptsitz in Berlin hat sich als Partner Klinikketten gesucht, die deutschlandweit aufgestellt sind, sodass die Mitarbeiter vor Ort betreut werden können. KPMG hat seinen gewünschten Leistungsumfang 2012 bundesweit ausgeschrieben. Bei der Kliniksuche hat Volker Penter, Chef des zuständigen Healthcare-Bereichs bei KPMG, diese Erfahrung gemacht: „Es lohnt sich, die Preise zu vergleichen. Für die gleiche Leistung kann man bei nicht spezialisierten Anbietern schnell das Vielfache zahlen.“
Was ist sinnvoll?
Zum Vorsorge-Spezialist erklärt sich heute jeder, der über die nötigen Ärzte und Apparate verfügt. Doch was ist medizinisch wirklich sinnvoll, was ist Geldschneiderei, und was ist schon gefährlich?
Konrad Schultz, medizinischer Direktor der Klinik Bad Reichenhall der Deutschen Rentenversicherung, einer renommierten Rehabilitationsklinik für Atmungsorgane und Orthopädie, sieht All-inclusive-Anbieter auf Selbstzahlerbasis zum Teil kritisch: „Ein sinnvoller privater Check bietet zumeist das, was die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen würden. Denn die decken nahezu alles wirklich Wichtige ab.“ Dazu zählten unter anderem Blutdruck-Kontrolle, Belastungs-EKG, Cholesterin- und Diabetes-Werte, Krebsvorsorge.
Sinnvolle Erweiterungen im Angebot sind aus Sicht von Doktor Schultz alle Untersuchungen, für deren Notwendigkeit es real existierende Anzeichen gibt – die deshalb auch die Kassen bezahlen würden. Dazu gehört zum Beispiel ein Lungenfunktionstest für Raucher. „Viele unterschätzen Symptome und Risiken“, warnt Schultz. Beispielsweise sollten Menschen, die ständig müde und zudem übergewichtig sind, ihre Partner fragen, ob sie nachts schnarchen und womöglich Atemaussetzer haben. Dann sei ein Schlafapnoe-Screening wichtig.
Doch untersuchen lässt sich noch viel mehr. So bieten einige Kliniken Magen- und Darmspiegelungen an wie Aldi frische Semmeln. Radiologische Untersuchungen wie Computertomografien (CT) oder Schnittbilder aus einer Magnetresonanztomografie (MRT) sind ebenfalls häufig im Angebot – auch ganz ohne Anfangsverdacht, einfach für das gute Gefühl vermeintlicher Sicherheit. „Patienten unterschätzen dabei häufig die hohe Strahlenbelastung bei einem CT“, warnt Klinikchef Schultz. Das Gleiche gilt für die Risiken invasiver Therapien wie einer Spiegelung. Womöglich schlimmer sind falsche Verdachtsdiagnosen aufgrund dieser Bilder, die den Patienten in Angst und Schrecken versetzen.
Und dann gibt es noch die Angebote, die GKV-Versicherte als Igel-Leistung kennen: mal mehr und mal weniger sinnvolle Untersuchungen, die grundsätzlich privat bezahlt werden müssen. Diese lukrative Einnahmequelle reizen auch manche Check-up-Kliniken aus.
Manager verdrängen Burnout-Anzeichen
Schultz: „Eine andere Erlösquelle sind manche fragwürdigen Tests auf Nahrungsmittelallergien.“ Die lassen sich selbst bei beschwerdelosen Patienten häufig nachweisen und immer teuer abrechnen. Da müsste ein GKV-Patient schon Symptome aufweisen, damit die Kasse zahlt.
Der Lungenfachmann rät, sich nicht allein auf externe Check-ups zu verlassen: „Der Klinikarzt sieht den Patienten meist nur einen Tag und im Schnelldurchlauf. Ein guter Hausarzt dagegen muss sich nicht nur auf Datenmaterial verlassen, sondern sieht seinem langjährigen Patienten schon am fehlenden Glanz in den Augen an, dass etwas nicht stimmt.“
Problem Burnout
Hier liegt ein Problem beim Vorsorge-Check: Die Schauspielkunst kampferprobter Manager steht der richtigen Diagnose bei einer Erschöpfungsdepression im Weg. Was Gestresste im Job täglich praktizieren, wenden manche auch beim externen Check an: sich auf gar keinen Fall in die Karten schauen zu lassen.
Die Frankfurter Business-Trainerin Heike Brühl, einst als Freiberuflerin selbst von einem Burn-out betroffen, berät heute Mitarbeiter und Chefs in Früherkennung, Krisenbewältigung und Prophylaxe. „Diese Menschen sind trainiert darin, auf Knopfdruck zu funktionieren“, sagt sie. „Sie verdrängen erste Anzeichen oft aus Angst, erkennen zu müssen, dass sie beruflich, privat oder in der Familie unangenehme Veränderungen herbeiführen müssten, um gesund zu werden.“ Brühl ist überzeugt, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zum Check-up drängen, diese Mitarbeiter so doppeltem Stress aussetzten.
Helios-Ärztin Hildebrandt dagegen macht positivere Erfahrungen: „Viele Leitende erleben nur selten, dass sich jemand Zeit für ein zweistündiges Gespräch nimmt. Froh in einem vertraulichen Umfeld reden zu können, öffnen sie sich auch. Das funktioniert aber nur, wenn beim Check-up nicht Apparate und Diagnostik im Vordergrund stehen, sondern ein gutes Gespräch, in dem ein Arzt mit Menschenkenntnis zusammenführt, was er sieht, hört, ertastet und in Untersuchungsbefunden erhebt.“