Inzwischen zeigte sich aber, dass Tumor nicht gleich Tumor ist: Selbst identisch aussehende Geschwüre unterscheiden sich in ihrer Genetik so stark, dass die therapeutischen Antikörper nur dann wirken, wenn auch die Genetik passt.
Die Lücke sollen nun ausgefeilte Gentests schließen, die vor allem in der Krebsmedizin eine große Rolle spielen. Mithilfe der Tests finden Ärzte die Patienten heraus, bei denen ein Medikament anschlägt.
Personalisierte Medizin ist das neue Schlagwort für solche Huckepack-Lösungen, bei denen ein Medikament zusammen mit einen Gentest verkauft wird. Das Biotech-Unternehmen Qiagen aus Hilden bei Düsseldorf ist einer der führen Testanbieter. Firmen wie die Frankfurter Humatrix, die mit Vaterschaftstests groß wurde, setzen ebenfalls darauf. Denn inzwischen gibt es zahlreiche Tests, die auch bei Herz-Kreislauf-Mitteln oder Blutgerinnungshemmern zeigen können, ob sie bei einem Patient überhaupt wirken.
Schwieriger ist die Sache bei der Entschlüsselung von Erbkrankheiten. Die Geninformationen lassen sich zwar gewinnen. So sind heute gut 3000 seltene Erbdefekte charakterisiert. Doch für die allermeisten dieser Leiden gibt es noch keine Therapie, sodass die Informationen weder den Ärzten noch den Patienten viel nutzen.
Zudem sind heute gut 1000 krankheitsrelevante Gene für Allerweltskrankheiten bekannt. Sie fördern etwa das Risiko, an einem Herzinfarkt oder an Altersdiabetes zu erkranken. Zahlreiche Unternehmen wie 23andMe aus Kalifornien oder bio.logis aus Frankfurt bieten die Analyse dieser Gene für jedermann an: Es genügt, eine Speichelprobe einzusenden.
Mensch 2.0 - Welche Techniken und Implantate uns besser leben lassen
Ein Mikrochip im Innenohr (38.000 Euro) lässt Taube wieder hören.
Hirnschrittmacher (ab 31.000 Euro) senden elektrische Impulse ins Gehirn, um epileptische Anfälle, das Zittern von Parkinson-Kranken und Depressionen zu heilen.
Ein Chip erfasst Nervenreize. Denkt ein Proband "Greifen", kann er eine Prothese fernsteuern.
Werden kleine Magnete unter die Haut der Fingerkuppen implantiert (200 Euro), können Menschen elektromagnetische Felder wahrnehmen.
Mit einer vollelektronischen Orthese (60.000 Euro) können Menschen gelähmte Gliedmaßen wieder benutzen.
Mikroelektronik in modernen Prothesen (30.000 bis 40.000 Euro) kontrolliert und steuert innerhalb von Millisekunden die Position des Kunstbeins beim Gehen, Rennen oder Treppensteigen.
Mit superleichten Karbonfedern (8.000 Euro) spurten Sportler besser als mit normalen Fußprothesen.
Implantate nahe dem Rückenmark (etwa 20.000 Euro) stoppen die elektrischen Nervensignale - und damit das Schmerzempfinden.
Elektronische Schrittmacher kontrollieren die Funktion von Magen, Blase und Darm (ab 14.400 Euro).
Der Brustmuskel wird in mehrere Segmente unterteilt, mit denen Arm und Kunsthand präzise gesteuert werden (60.000 Euro).
Schrittmacher (ab 5.100 Euro) und implantierbare Defibrillatoren (ab 15.500 Euro) halten geschädigte Herzen mit elektrischen Impulsen auf Trab.
Exakt geschliffene Kunststofflinsen (je 3.000 Euro) heilen den grauen Star. So erreichen viele Patienten anschließend 180 Prozent Sehschärfe.
Blinde können mit einem Computerchip (73.000 Euro ohne Operation), der in die Netzhaut implantiert wird, wieder sehen. Eine Kamerabrille überträgt Bilder zum Chip, der das Signal an den Sehnerv weiterleitet. Der Akku am Gürtel liefert den Strom.
Die Interpretation
Das Problem ist nur: Die meisten Ergebnisse kann kein Mensch interpretieren. Wenn die Wahrscheinlichkeit, Bluthochdruck zu bekommen, etwa um sieben Prozent höher ist als beim Durchschnittsbürger, der aber auch ein 50-prozentiges Risiko dafür trägt – was soll das dem Getesteten sagen?
Da ist das BRCA1-Gen, das Angelina Jolie trägt, geradezu ein Glücksgriff. Denn es ist ein sehr starker Indikator für ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Durch die Totaloperation konnte die Schauspielerin und sechsfache Mutter das Risiko, am selben Brustkrebs wie ihre 2007 verstorbene Mutter zu erkranken von 87 auf 5 Prozent senken.
Operieren, wo noch keine Krankheit ist
Kritiker bemängeln, dass hier aufgrund eines Gentests operiert werde, wo noch gar keine Krankheit ist. Für den Herzchirurgen und Organzuchtpionier Axel Haverich ist das jedoch der Normalzustand: „Das ist in der Chirurgie überhaupt nichts Neues; das machen wir jeden Tag.“
So werde einem Patienten, der eine neue Herzklappe bekommt, auch gleich ein Bypass gelegt, wenn das Herzkatheterbild Engstellen in den Herzkranzgefäßen zeigt. Auch hier leide der Patient noch nicht an einer Krankheit. Doch er werde vor einem Herzinfarkt geschützt, der ihm sonst droht, sagt Haverich. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass die meisten Risiken bisher noch nicht durch Gentests, sondern durch Ultraschall, Herzkatheter oder andere Diagnosemethoden erkannt würden.
Eigentlich sah der Plan der Forscher einmal vor, Gendefekte nicht nur zu erkennen, sondern auch zu reparieren.