Biotechnik Was die neuen Gen-Technologien bringen

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Erst testen, dann schlucken

Welche kühnen Experimente Forscher wagen
Partydroge statt KreislaufmittelAuf der Suche nach einem Kreislaufmittel entdeckte der Schweizer Wissenschaftler Albert Hoffmann das stärkste Halluzinogen.  Und kostete den Rausch gleich selbst aus. Sein Kreislaufmittel wurde wegen den starken Nebenwirkungen wieder vom Markt genommen. Quelle: Joe Mabel
Erbrochenes ins Auge tropfenGelbfieber wird über Mückenstiche übertragen. Das wusste man 1802 noch nicht. Damals wollte Stubbins Ffirth beweisen, dass sich Gelbfieber vom Menschen zu Menschen übertrage. Dafür träufelte er sich Erbrochenes von Gelbfieberkranken in eine selbst zugefügte Schnittwunde im Arm, ins Auge – und schluckte sie. Er blieb gesund. Quelle: dpa
Unterwegs auf dem Raketenschlitten1955 galt er als der schnellste Mann der Erde, wie das Time Magazine damals schrieb. Auf einem Raketenschlitten erreichte John Paul Stapp 1.017 Kilometer die Stunde. Dabei wollte er herausfinden, wie sich das Vielfache der Erdbeschleunigung „g“ auf einen Menschen auswirkt.  Man glaubte, dass 18 g tödlich seien, Stapp ertrug 46,2 g als er von seinem Geschwindigkeitsrausch innerhalb von 1,4 Sekunden zum Stillstand kam. Quelle: U.S. Air Force
Per Bakterien-Cocktail zur MagenschleimhautentzündungBarry Marshall (Foto) wollte nachweisen, dass Bakterien für eine Magenschleimhautentzündung verantwortlich sind. Dafür trank er 1984 eine Mischung aus einer Milliarde Bakterien – und hatte „Erfolg“. Quelle: dpa/dpaweb
Mit dem "Blitzfänger" zur FeuerkugelUm die Luftelektrizität zu messen, baute 1753 der deutsche Physiker Georg Richmann in seinem St. Petersburger Laboratorium einen sogenannten "Blitzfänger". Dabei handelte es sich um eine Glasflasche in der ein Eisenstab nach oben über das Dach hinaus ins Freie ragte. Nach unten war er über eine Metallkette mit einem Glas voller Kupferspäne verbunden. Die Apparatur fing nicht nur Elektrizität ein, sondern bildete auch eine Feuerkugel, die in den Kopf des Forschers eindrang - mit tödlichen Folgen. Quelle: dpa
Mit dem Katheter vom OP-Saal  zur RöntgenabteilungDen 65 Zentimeter langen Katheter schob sich 1929 der Arzt Werner Foßmann selbst vom Ellbogen durch eine Vene bis ans Herz. Damit machte er sich dann vom OP-Saal machte zu Fuß über einige Treppen auf dem Weg zur Röntgenabteilung. Sein Experiment stellte die erste Angiographie dar. Mittels Katheter und Röntgenstrahlen stellte er seine Blutgefäße dar – und erhielt dafür schließlich den Nobelpreis. Quelle: AP
Humboldt auf schmerzhafter KlettertourAlexander von Humboldt wollte die Höhenkrankheit erforschen – an sich selbst. Mit einer Forschergruppe erklomm er den 6.267 Meter hohen Chimborazo in Ecuador – mit normaler Straßenkleidung und "kurzen Stiefeln". Ob Atemnot, Übelkeit, Schwindel und blutige Lippen: Akribisch hielt er fest, was sich auf welcher Höhe ereignete. Quelle: dpa/dpaweb

Inzwischen zeigte sich aber, dass Tumor nicht gleich Tumor ist: Selbst identisch aussehende Geschwüre unterscheiden sich in ihrer Genetik so stark, dass die therapeutischen Antikörper nur dann wirken, wenn auch die Genetik passt.

Die Lücke sollen nun ausgefeilte Gentests schließen, die vor allem in der Krebsmedizin eine große Rolle spielen. Mithilfe der Tests finden Ärzte die Patienten heraus, bei denen ein Medikament anschlägt.

Personalisierte Medizin ist das neue Schlagwort für solche Huckepack-Lösungen, bei denen ein Medikament zusammen mit einen Gentest verkauft wird. Das Biotech-Unternehmen Qiagen aus Hilden bei Düsseldorf ist einer der führen Testanbieter. Firmen wie die Frankfurter Humatrix, die mit Vaterschaftstests groß wurde, setzen ebenfalls darauf. Denn inzwischen gibt es zahlreiche Tests, die auch bei Herz-Kreislauf-Mitteln oder Blutgerinnungshemmern zeigen können, ob sie bei einem Patient überhaupt wirken.

Schwieriger ist die Sache bei der Entschlüsselung von Erbkrankheiten. Die Geninformationen lassen sich zwar gewinnen. So sind heute gut 3000 seltene Erbdefekte charakterisiert. Doch für die allermeisten dieser Leiden gibt es noch keine Therapie, sodass die Informationen weder den Ärzten noch den Patienten viel nutzen.

Zudem sind heute gut 1000 krankheitsrelevante Gene für Allerweltskrankheiten bekannt. Sie fördern etwa das Risiko, an einem Herzinfarkt oder an Altersdiabetes zu erkranken. Zahlreiche Unternehmen wie 23andMe aus Kalifornien oder bio.logis aus Frankfurt bieten die Analyse dieser Gene für jedermann an: Es genügt, eine Speichelprobe einzusenden.

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Die Interpretation

Das Problem ist nur: Die meisten Ergebnisse kann kein Mensch interpretieren. Wenn die Wahrscheinlichkeit, Bluthochdruck zu bekommen, etwa um sieben Prozent höher ist als beim Durchschnittsbürger, der aber auch ein 50-prozentiges Risiko dafür trägt – was soll das dem Getesteten sagen?

Da ist das BRCA1-Gen, das Angelina Jolie trägt, geradezu ein Glücksgriff. Denn es ist ein sehr starker Indikator für ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Durch die Totaloperation konnte die Schauspielerin und sechsfache Mutter das Risiko, am selben Brustkrebs wie ihre 2007 verstorbene Mutter zu erkranken von 87 auf 5 Prozent senken.

Operieren, wo noch keine Krankheit ist

So werde einem Patienten, der eine neue Herzklappe bekommt, auch gleich ein Bypass gelegt, wenn das Herzkatheterbild Engstellen in den Herzkranzgefäßen zeigt. Auch hier leide der Patient noch nicht an einer Krankheit. Doch er werde vor einem Herzinfarkt geschützt, der ihm sonst droht, sagt Haverich. Der einzige Unterschied bestehe darin, dass die meisten Risiken bisher noch nicht durch Gentests, sondern durch Ultraschall, Herzkatheter oder andere Diagnosemethoden erkannt würden.

Eigentlich sah der Plan der Forscher einmal vor, Gendefekte nicht nur zu erkennen, sondern auch zu reparieren.

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