
WirtschaftsWoche: Herr Riemensperger, vor 30 Jahren scheiterte die Vision einer rechnergesteuerten Fabrik an der komplexen Realität. Sind die Voraussetzungen diesmal besser?
Riemensperger: Der Trend Industrie 4.0 zeigt auf, wie es jetzt dank neuer Technologien möglich ist, die Produktion flächendeckend und zu vertretbaren Kosten mit der digitalen Welt zu vernetzen.
Was heißt das konkret?
Sensoren, Prozessoren und Speicherchips kosten mitunter nur noch wenige Cent und sind heute robust genug, um sie in Maschinen, Werkzeuge und Bauteile aller Art einzubauen. Die Daten lassen sich per Internet oder Mobilfunk in Echtzeit austauschen, und selbst kleine Unternehmen können nun über das Internet in einem Maß auf Rechenpower, Programme und Speicherplatz zugreifen, wie das bisher nur Global Player konnten.
Und damit wird die sich selbst steuernde Produktion möglich?
Das ist die Vision. Früher waren die Maschinen und Fertigungsteile in einer Fabrik weitgehend autistisch. Heute können sie miteinander kommunizieren und ihr Wirken abstimmen.
Was haben die Kunden davon?
Maßgeschneiderte Produkte zu Preisen der Massenfertigung. Die intelligente Selbststeuerung ermöglicht es erstmals, praktisch jedes Produkt, auch wenig kapitalintensive wie einen Schuh oder ein Fahrrad, wirtschaftlich nach Kundenwunsch herzustellen. Es ist die Weiterentwicklung der Massenproduktion.
Wenn Tausende Geräte ständig Daten miteinander austauschen, steigt die Komplexität. Lässt sich das beherrschen?
Natürlich funktioniert der Umstieg nicht von heute auf morgen, da ist noch viel Entwicklungsarbeit notwendig.
Wie digitale Fabriken funktionieren
Damit sie sich verständigen können, erhalten Bauteile, Materialien und Transportkisten Minichips und Funkmodule. 2020 werden dadurch weltweit 50 Milliarden Geräte Teil des Internets sein – heute sind es zehn Milliarden.
Bisher wird die Produktion zentral geplant. Künftig steuern Stühle, Handys oder Autos ihre Fertigung selbst – exakt nach Kundenwunsch. Experten rechnen mit Produktivitätssprüngen von 50 Prozent.
Kleine, verteilte Produktionsstätten – teils im transportablen Container-Format – lösen Riesenfabriken ab. Fachleute erwarten Energie- und Ressourceneinsparungen von 20 bis 25 Prozent.
Chips in Produkten speichern alle Bauteile und verwendeten Rohstoffe. Das digitale Gedächtnis erleichtert die Wiederverwertung und spart Milliarden Euro Kosten.
3-D-Drucker fertigen Zahnkronen, Flugzeugteile oder Lampen. Statt Fertiggütern reisen Konstruktionsdaten um den Globus. Die Mikrofabrik für jeden wird Realität.
Produkte, wie etwa Laufschuhe, zeichnen das Nutzerverhalten auf. Die erf1assten Daten sind Grundlage optimierter, personalisierter Folgeprodukte.
Integrierte Chips verbinden alle Produkte mit dem Internet. Bald wird es so etwa möglich sein, dem Auto per Handy-App zu befehlen, autonom vom Parkhaus zum Restaurant vorzufahren.
Wann sehen wir die ersten vollständig digitalen Fabriken?
Ich denke, in frühestens zehn Jahre.
Doch so lange. Warum lässt die Revolution noch auf sich warten?
Die selbststeuernde Produktion wird eine langfristige Evolution sein. Was hingegen ganz schnell kommen wird, ist die Entwicklung internetbasierter Dienstleistungen rund um die intelligenten Produkte. Da entstehen Geschäftsmodelle mit gigantischem Marktpotenzial.