Innovationsforum: Mehr als nur Science Fiction
Narendra Mulani lebt in Amerika. Einem Land, das in der digitalen Wirtschaft den Takt vorgibt. In dem viele kluge Köpfe stecken - und vor allem eine Menge Geld.
Aber Mulani sagt auch: "Das Silicon Valley hat vielleicht einen gewissen Vorsprung, aber sie haben kein Monopol auf künstliche Intelligenz."
Der Mann ist Chief Analytics Officer bei der Unternehmensberatung Accenture. Der Herr über die Daten sozusagen. Um diese allerdings noch besser auszuwerten, ist er nun doch nach Deutschland gekommen.
Denn Accenture hat eine Partnerschaft mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz geschlossen. Gemeinsam wollen sie das Wissen um die immer klügeren Maschinen zu den Unternehmen bringen. Firmen fragen sich derzeit vor allem: Was ist nur Science Fiction, was ist wirklich möglich auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz - und was bringt sie fürs Geschäft?
Mulani jedenfalls, der Amerikaner, traut den Deutschen noch Einiges zu.
Das ist eine willkommene Botschaft an diesem Freitag, an dem Accenture in München das Innovationsforum ausrichtet und am Abend gemeinsam mit der WirtschaftsWoche sowie Evonik und EnBW aus einer Gruppe von 15 Unternehmen die drei innovativsten auszeichnen wird.
Drohnen schwirren über das ehemalige Industriegelände. Ein paar Meter weiter tasten sich Manager, schwarzer Anzug und Computerbrille auf der Nase, durch virtuelle Welten. Es ist ein sonniger Tag. Trotzdem reden alle von der Cloud.
Seit 60 Jahren gehen Forscher der Frage nach, ob sich menschliches Denken auf eine Formel bringen lässt. Dass Künstliche Intelligenz aber jetzt erst unseren Alltag revolutioniert, liege vor allem daran, "dass es nicht nur immer mehr Daten und Algorithmen gibt, sondern vor allem die Cloud, die diese Datenströme in kürzester Zeit zueinander bringt", erklärt Frank Riemensperger, der das deutsche Geschäft bei Accenture führt.

Industrie
Schon heute werden viele Arbeitsschritte von Maschinen übernommen - doch die vernetzte Produktion setzt auch in den Werkshallen eine weitere Automatisierungswelle in Gang. Das muss unterm Strich aber nicht zwangsläufig zu Jobverlusten führen, heißt es aus der Wirtschaft: Bereits Ende 2016 lag Deutschland bei der „Roboter-Dichte“ weltweit auf Platz drei hinter Südkorea und Japan - und trotzdem sei die Beschäftigung auf einem Rekordstand, erklärt der Maschinenbau-Verband VDMA. Auch der Präsident des Elektronik-Branchenverbandes ZVEI, Michael Ziesemer, sagt: „Es können auch mehr Jobs entstehen als wegfallen.“ Die Digitalisierung werde eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle und damit neue Stellen hervorbringen. „Wer kreativ ist, rangeht und sich Dinge überlegt, hat jede Menge Chancen.“

Transport und Logistik
Vor allem das vernetzte und automatisierte Fahren dürfte künftig viele Jobs überflüssig machen. „In der Zukunft wird es keine Lokführer mehr geben, vielleicht auch keine Taxifahrer und Lkw-Fahrer mehr“, glaubt etwa Bayerns DGB-Chef Matthias Jena. Studien prognostizieren Ähnliches: Bereits in zehn Jahren könnte jeder dritte in Europa verkaufte Lastwagen etwa auf der Autobahn automatisiert fahren, erwartet etwa die Beratungsfirma McKinsey. Im Gegenzug könnten rund um die Roboter-Autos und -Lkw aber auch neue Service-Dienstleistungen entstehen.

Büro
Schreibarbeiten, Auftragsabwicklung und Abrechnungen - Büro- und kaufmännische Fachkräfte erledigen nach Experteneinschätzungen Arbeiten, die heute schon zu einem hohen Grad automatisierbar sind. Dadurch könnten auch viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen: Mehr als 1,6 Millionen Menschen in Deutschland sind in solchen Berufen tätig.

Verkäufer und Kassierer
Der Handel wurde als eine der ersten Branchen von der Digitalisierung erfasst - entsprechend laufen im Online-Handel viele Prozesse automatisiert ab. In stationären Läden aber sitzen meist noch Menschen an den Kassen, obwohl sich auch das Bezahlen automatisch regeln lässt. Das macht auch der Versandriese Amazon vor: In den USA testet er einen Supermarkt ohne klassisches Kassensystem und Verkaufspersonal - abgerechnet wird per Smartphone-App und Kundenkonto.

Landwirtschaft
Sie melken die Kühe, füttern, misten aus und helfen beim Ernten - Roboter haben längst auch auf den Bauernhöfen Einzug gehalten. Wo bisher meist viel Arbeit von wenigen Händen erledigt werden musste, sind maschinelle Kollegen eine willkommene Unterstützung. Ausschließlich maschinell wird aber auch der Bauernhof der Zukunft mit seinen vielfältigen Tätigkeiten wohl nicht funktionieren.

Krankenhaus und Altenheim
Roboter in der Pflege - was in Japan bereits zum Alltag gehört, bereitet vielen Menschen in Deutschland noch eher Unbehagen. Doch weil das menschliche Personal knapp ist, könnten Roboter auch hierzulande zur wichtigen Stütze werden. Im Einsatz sind sie teils schon heute bei der Essensverteilung oder beim Transport von Wäsche und Sterilgut - und als präzise Helfer am OP-Tisch.

Reinigungsdienste
Auch im Haushalt tun Roboter schon ihren Dienst, und neue Anwendungen dürften mit dem vernetzten Zuhause hinzukommen. Der Welt-Roboter-Verband IFR erwartet, dass von 2016 bis 2019 weltweit insgesamt rund 31 Millionen Roboter verkauft werden, die beim Rasenmähen, Staubsaugen oder Fensterputzen helfen. Assistenzroboter für Menschen mit Behinderung sind da noch nicht eingerechnet. Die Haushaltshilfe aus Fleisch und Blut aber werden sie nach Einschätzung des Heidelberger Instituts für Trend- und Zukunftsforschung nicht vollständig ersetzen. Manche Hausarbeit kann von Menschen einfach besser und schneller erledigt werden, und der Hilfsbedarf in der alternden Gesellschaft bleibt groß.

Lehrer und Erzieher
E-Learning gibt es zwar längst. Doch in Kindergarten, Schule oder Ausbildung geht es um mehr als um das reine Vermitteln von Stoff. Überall da, wo Sozialkompetenz, pädagogisches Wissen und Empathie gefragt sind, werden Roboter zumindest auf absehbare Zeit kaum mit dem Menschen mithalten können, ist Katharina Dengler vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung überzeugt.

Anwälte, Ingenieure und akademische Berufe
Zwar dürften solche Berufe angesichts von Spezialisierungsgrad und Komplexität weniger stark der Automatisierung ausgesetzt sein. In Teilbereichen wird künstliche Intelligenz aber durchaus eine Rolle spielen, wenn es etwa um die Prüfung großer Vertragswerke geht. Tendenziell schütze eine akademische Ausbildung besser davor, ersetzt zu werden, sagt IAB-Expertin Dengler.
Chatbots übernehmen in Banken die Kundenberatung; Lebensmittelhändler sortieren matschiges Obst mit Computerprogrammen aus, die etwa Erdbeeren mit all ihren Druckstellen regelmäßig fotografieren und so lernen, wie lange die Früchte noch haltbar sind. BMW will gemeinsam mit Intel bis 2021 ein Auto auf die deutschen Autobahnen bringen, bei dem der Fahrer nur noch alle sieben bis zehn Sekunden zum Steuer greifen muss. "Da können sie zwar noch nicht schlafen, aber durchaus auch mal etwas anderes nebenbei erledigen", sagt Reinhard Stolle, bei dem Münchner Autobauer für Künstliche Intelligenz zuständig.
In Deutschland könnte der Einsatz Künstlicher Intelligenz nach Schätzung von Accenture in den nächsten 20 Jahren eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von einer Billion Euro bringen.
Und was macht der Mensch, wenn die Maschine für ihn die anstrengende Arbeit macht? Wenn etwas schon dann erledigt ist, wenn er nur daran gedacht hat?
"Was den Menschen in Zukunft von Maschinen unterscheidet, ist das, was uns Menschen ausmacht: soziale und emotionale Intelligenz, Kreativität und die Fähigkeit, Konflikte zu lösen", sagt Olav Strand vom Technologieunternehmen IP Soft.
Und auch Wolfgang Wahlster, der mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz eines der bestausgestatteten Institute auf diesem Gebiet führt, erinnert daran, dass Computer den Menschen zwar im Schach und Go geschlagen haben. "Aber keine Maschine kann einen Siebenjährigen in seinem alltäglichen Leben schlagen."
Motorisch ist der Mensch noch überlegen. Soziale Normen sind ihm ohnehin vertrauter.
"Über einen vollen Weihnachtsmarkt zu laufen, ohne ständig irgendjemanden umzustoßen, erscheint uns zwar banal. Aber es ist eine enorm komplexe Aufgabe, die kein Roboter schafft", sagt Wahlster. Die Maschine sei hingegen besser im Multitasking - etwa bei der Kontrolle des Luftraums über dem Frankfurter Flughafen. Oder in der schnellen Analyse großer Datenmengen - etwa bei der Diagnose von Krankheiten. "Wir bauen keine Supermenschen, sondern Maschinen, die die Menschen ergänzen", betont Wahlster.
Und das sei nicht nur etwas für die Giganten aus dem Silicon Valley. Es gebe bereits Roboter, die nicht mehr als 20.000 Euro kosten und auch nicht mehr so grob agieren, dass man einen Sicherheitsabstand wahren müsse. So einer könnte sogar dem kleinen Bäcker helfen, um Brötchen zu portionieren oder zu verpacken.











