Künstliche Intelligenz in der Diagnostik KI könnte Heilungschancen massiv verbessern

Roboter als Arzt verkleidet Quelle: Fotolia

Radiologen untersuchen täglich mitunter hunderte medizinische Bilder auf Tumoren, Entzündungen, Knochenbrüche. Künstliche Intelligenz nimmt ihnen zunehmend Arbeit ab. Verlieren Fachärzte bald ihren Job?

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Vinod Khosla hat radikale Vorstellungen, wenn es um die Zukunft der Medizin geht: 80 Prozent der Arbeit, die Ärzte heute erledigen, übernähmen bald Computerprogramme und intelligente Geräte, sagte der US-Multimilliardär vor einer Weile voraus. Vor ein paar Tagen schob Khosla in einem Podcast des Start-ups Color Genomics eine ebenso deutliche Prognose nach: Schon in fünf Jahren würden Radiologen obsolet - weil Künstliche Intelligenz medizinische Bilder dann besser analysieren könne als der Mensch.

Khosla mag kein ausgebildeter Arzt sein – trotzdem weiß kaum einer so gut Bescheid wie er, wie sich die Heilkunde gerade verändert. Mit seinem Wagniskapital-Unternehmen Khosla Venturas ist er der zweigrößte Investor in Unternehmen, die Künstliche Intelligenz für die Medizin entwickeln. Es gebe bald keinen Grund mehr, warum Menschen sich CT- oder Röntgenaufnahmen anschauen sollten, glaubt der Tech-Guru.

Das ist kein Hirngespinst: Die Medizin ändert sich derzeit radikal – und zwar vor allem in den Radiologie-Abteilungen von Krankenhäusern. Dutzende Start-ups weltweit entwickeln Künstliche Intelligenz, die in medizinischen Bildern nach Tumoren, totem Hirngewebe oder Knochenbrüchen sucht. In den USA sind seit dem Frühjahr sogar KI-Programme zugelassen, die vollkommen eigenständig Handgelenksfrakturen erkennen.

Sind die mehr als 7000 Radiologen in Deutschland also bald überflüssig? Klingt erst einmal nach einer gewagten Prognose. Schließlich handelt es sich um einen Beruf, für den Ärzte eine lange Ausbildung durchlaufen müssen: Zum absolvierten Medizinstudium kommen fünf Jahre Weiterbildung, bis ein Mediziner sich Facharzt für Radiologie nennen darf.

Gute Radiologen haben ein ausgeprägtes räumliches Vorstellungsvermögen, ein enormes Bildgedächtnis und gewaltiges medizinisches Wissen über Disziplinen hinwe. Es kann um Leben oder Tod gehen, wenn sie auf einem Röntgenbild einen Tumor übersehen. Darum gehören Radiologen zu den Topverdienern unter den Ärzten: Jeder vierte Chefarzt einer radiologischen Abteilung verdient mehr als 560.000 Euro im Jahr, schreibt das Karriereportal Karista.

Und nun sollen Algorithmen die Ärzte ersetzen? Die Praxis sieht erst einmal anders aus: Radiologen und Software arbeiten zusammen. In vielen Kliniken und Facharztpraxen wird schon Software eingesetzt, die routinemäßig Auffälligkeiten in Bildern entdeckt und sie für die Ärzte markiert. Etwa vom Aachener KI-Experten Nuance: Dessen Entwickler haben Software darauf trainiert, Tumore und andere bösartige Veränderungen in Bildern zu erkennen. „Neuronale Netze erkennen etwa Knoten in der Lunge schon besser als ein Radiologe“, sagt Nils Lenke, Forschungsdirektor bei Nuance.

So funktioniert Künstliche Intelligenz

Die Netze, um die es geht, sind grobe Nachbildungen der Neuronen, die im Gehirn zusammenarbeiten. Künstliche neuronale Netze bestehen aus vielen Schichten mit Hunderten oder Tausenden Knotenpunkten und Verbindungen, über die Informationen weitergereicht werden. Trainiert ein Entwickler die Netze mit Tausenden Bildern etwa von Lungentumoren, dann verändern die Bildinformationen die Gewichtungen innerhalb des Netzes. Dadurch lernt die Software zu erkennen, welche Bildpixel für gesundes Gewebe stehen und welche für krankes.

Entlastung durch KI sind Radiologen schon eine ganze Weile gewohnt: Ihre Befundberichte schreiben sie oft nicht mehr per Hand auf, sondern diktieren sie einer Spracherkennungs-Software, die auch medizinische Fachwörter versteht. Auch Nuance hat eine solche Software im Programm. „Interessanterweise sind die neuronalen Netze zur Spracherkennung genauso aufgebaut wie jene, die medizinische Bilder analysieren“, sagt Nuance-Forscher Lenke. Um Künstlicher Intelligenz neue Aufgaben in der Medizin zu verschaffen, müssen die Hersteller ihr nur neues Wissen antrainieren. Fast wie bei einem angehenden Radiologen im Medizinstudium.

Müssen Radiologen um ihren Job fürchten?

Einmal trainiert, arbeitet die KI blitzschnell. Und könnte im Zweifel sogar Leben retten, etwa in der Notfallaufnahme von Krankenhäusern. Dort werden Patienten mit Verletzungen direkt per Computertomographen oder Röntgengerät untersucht. „Es kann beispielsweise sein, dass jemand eine Hirnblutung hat“, sagt Nuance-Forscher Lenke. „Wenn man Pech hat, hat der Arzt erst nach zwei Stunden Zeit, sich das entsprechende Bild anzuschauen.“ KI könnte hier direkt eine Diagnose liefern und die Chancen der Heilung massiv verbessern.

Trotzdem geht es den Aachenern nicht darum, KI zum Chefarzt zu machen. „Wir wollen Radiologen helfen“, sagt Lenke, „aber sie nicht ersetzen.“ Viele Ärzte sehen die Technik jetzt schon als Erleichterung in einem Job, der viel Arbeit und Konzentration erfordert. Und je feinteiliger moderne CT- oder MRT-Geräte Organe vermessen, desto mehr Bilder gilt es zu sichten. „Ein einziges Lungenscreening enthält 600 bis 800 Bilder“, sagt Michael Forsting, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Universitätsklinikum Essen. Künftig könnte diese Untersuchung zur Vorsorge an Millionen Patienten regelmäßig durchgeführt werden. „Die Bilder können sich Radiologen dann gar nicht mehr alle anschauen.“ KI schafft das.

Zudem gilt in vielen Bereichen heute noch das Vier-Augen-Prinzip: Zwei Radiologen müssen sich die Bilder unabhängig voneinander anschauen. Auf Radiologen-Kongressen wird nun schon diskutiert, ob Künstliche Intelligenz einen von zwei Radiologen ersetzen und damit viel Arbeit sparen kann. In Ländern wie China, sagt Forsting, gebe es gar nicht genug ausgebildete Ärzte, um jeden Patienten untersuchen zu können. KI für die Radiologie könne da Abhilfe schaffen.

Der Job des Radiologen werde trotzdem nicht wegfallen - sondern sich verändern, glaubt der Essener Experte. Das erwartet auch Ajay Agrawal, KI-Experte aus Kanada und Autor des Buches „Prediction Machines“. Radiologen würden künftig weniger Zeit damit verbringen, Bilder anzuschauen, sagt er zwar voraus. Doch ihnen bleibe noch eine ganze Weile die Aufgabe, die Entdeckungen der KI einzuschätzen und anderen Ärzte zu erläutern.

KI wird also vermutlich nicht gleich alle Radiologen arbeitslos machen. Am ehesten müssen jene Radiologen um ihren Job fürchten, die sich weigern, mit Künstlicher Intelligenz zusammenzuarbeiten.

So groß ist der Einfluss von KI

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