Satelliten im Ukraine-Krieg „Die russische Armee ist mit veralteten Karten aus den 70ern in die Ukraine eingerückt“

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„Satelliten werden genutzt, Karten rund um die Uhr auf dem Laufenden zu halten“


Das klingt nach einer ziemlich ermüdenden Arbeit.
Das kann mitunter sein, aber wie bei allem anderen geht es um viele Stunden des Übens dessen, was wir nachrichtendienstliches Analysehandwerk nennen. Analysten setzen auch verstärkt auf künstliche Intelligenz, die auf maschinellem Lernen basiert. Wenn Sie etwa kontinuierlich eine russische Armeebasis beobachten wollen, dann können Sie künstliche Intelligenz nutzen, um Veränderungen festzustellen: Welches Equipment ist neu dazu gekommen, welches wurde weggefahren? Algorithmen werden auch immer besser darin, etwa Fahrzeugtypen zu unterscheiden. Neue Satelliten können sogar militärische Ziele entdecken, die für das Auge bisher unsichtbar waren.

Wie das?
So genannte multispektrale Sensoren können nicht nur das sichtbare Licht erfassen, sondern etwa auch Infrarotlicht – also Wärmestrahlung. Das britische Start-up Satellite Vu wird bald solche Satelliten starten. Damit können Sie etwa Kommandoposten entlarven, die versuchen, sich unter einem grünen Tarnnetz zu verstecken. Die Wärme der Menschen, Fahrzeuge oder Dieselgeneratoren wird auf den Satellitenbildern mancher kommerzieller Anbieter klar sichtbar. Damit können Sie mitunter auch erkennen, bei welchen Panzern die Motoren laufen und welche still sehen oder welche Flugzeuge auf einem Flugfeld in Betrieb sind und welche nicht.

Satellitenexperte Keith Masback war lange leitender Analyst der US-Armee. Quelle: Privat

Und wenn es bewölkt ist oder Nacht?
Auch dann können Sie Infrarotstrahlung entdecken. Sie können aber auch die Erde mit Radar aus dem All scannen, wie es etwas die Satelliten des finnischen Start-ups Iceye tun. Radarsatelliten tasten die Erde mit elektromagnetischen Wellen ab. Sie erhalten auch bei Bewölkung und bei Nacht scharfe Bilder. Aus dem Echo der Signale können Sie auch ein Höhenprofil erstellen – wo die Radarwellen schneller zurückkommen, ist ein höherer Gegenstand. 

Welchen Nutzen hat das?
Sie können Dinge auf der Erde vermessen – etwa zentimetergenau bestimmen, wie hoch ein Gebäude ist. Oder Sie schauen sich vertikale Objekte rund um Flughäfen an: Wo können Militärflugzeuge starten und landen? In welcher Höhe könnten Sie mit etwas zusammenstoßen? Außerdem können andere Arten von Sensoren auch Funksignale empfangen, die von Einheiten auf der Erde ausgesendet werden.

Quasi eine fliegende Abhörstation im All?
Genau. Das Unternehmen Hawkeye 360 etwa kann mit seinen Satelliten die AIS-Positionssignale von Schiffen empfangen oder russische Störungen der GPS-Ortungssignale in der Ukraine und anderswo erkennen. Man kann aus dem All auch die Radarsignale von Luftabwehrsystemen orten und so erkennen, wo diese Einheiten stehen. Wenn Sie die Reichweite der Raketen kennen, wissen Sie, in welcher Gegend Ihre Kampfflugzeuge besser nicht fliegen sollten.

Viel wurde auch über die Starlink-Kommunikationssatelliten von SpaceX berichtet – das Unternehmen hat der Ukraine tausende Empfangsantennen für sein Satelliteninternet bereit gestellt. Wie wichtig ist das für die Armee?
Sicherlich ist das eine gute Unterstützung. Das ukrainische Militär muss ständig in der Lage sein, zu kommunizieren und operative, logistische und geheimdienstliche Daten kontinuierlich miteinander zu teilen, ohne dass die Kommunikation von russischen Kräften unterbrochen wird.

Wenn das alles heute mit kommerziellen Satelliten möglich ist – was können dann erst die staatlichen Spionagesatelliten?
Man könnte mit ein wenig Logik schließen, dass deren Technologien noch leistungsfähiger sind. Sie werden aber verstehen, dass meine Sicherheitsermächtigung mir nicht erlaubt, darüber im Detail zu reden. Die Fähigkeiten von Spionagesatelliten sind eines der am besten gesichertsten staatlichen Geheimnisse. Wenn Gegner wissen, was Sie alles aus dem All erfassen können, könnten sie versuchen, ihr Verhalten und ihre Signalabdrücke zu verändern.

Immerhin ist bekannt, dass die US-Militärforschungsbehörde DARPA mit dem Rüstungskonzern Northrop Grumman an weltraumbasierten Radarantennen arbeitet, die bewegliche militärische Objekte auf dem Erdboden verfolgen sollen.
Sie sprechen von Radar-Zielerfassung, auch Moving Target Indication genannt. Heute betreibt die US-Luftwaffe spezielle Flugzeuge mit der Bezeichnung Joint Stars, die über dem Schlachtfeld fliegen und mit Hilfe von Radar sowohl Luft- als auch Bodenziele als Punkte auf einer Karte darstellen. Der Kommandeur der U.S. Space Force kündigte für 2021 ein Programm an, mit dem diese Fähigkeit in den Weltraum verlagert werden soll. Dann würden die großen, langsam fliegenden und dadurch verwundbaren Flugzeuge für diese Aufgabe nicht mehr benötigt.

Welches Land hat bei der Satellitenaufklärung heute die Nase vorn?
Einige Länder verfügen über sehr gute Aufklärungssatelliten: die USA mit den elektro-optischen, also mit sichtbarem Licht operierenden Satelliten von Maxar, Deutschland mit seinem TerraSAR-X- und Tandem-X-Radarsystem, Luxemburgs Radiofrequenzsystem Kleos und natürlich China, das in letzter Zeit stark in seine Raumfahrtkapazitäten investiert hat. Die USA sind nach wie vor das Land mit den höchsten privaten und staatlichen Gesamtinvestitionen in die Geointelligenz.

Warum hat die russische Armee dann so viele Fehler in der Ukraine gemacht?
Eine Anekdote, die ich gehört haben: Die russische Armee ist mit veraltetem Kartenmaterial in die Ukraine eingerückt, das teilweise aus den 1970er-Jahren stammt. Die Ukrainer haben auch Straßenschilder entfernt oder ausgetauscht, um die russischen Einheiten zu verwirren. 

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Können Satellitendaten Truppen mehr Orientierung bringen?
Die Daten von Erdbeobachtungssatelliten werden genutzt, Karten rund um die Uhr auf dem Laufenden zu halten – eine Aufgabe, um die sich in den USA und vielen anderen Ländern ganze Teams kümmern darum. Das ist enorm wichtig. Denn die Karten liefern Kommandeuren vor Ort extrem wertvolle Informationen: Welche Straßen sind heute in der Ukraine passierbar? Welche Brücken sind zerstört? Welche temporären Brücken sind neu installiert? Wenn sich eine Armee für aktuelle Karten und Lageanalysen nicht genug Zeit nimmt und nicht genug Geld ausgibt, kann das verheerende Folgen haben – wie die Russen es gerade erleben.

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