Weltmarktführer Innovation Day „In Zukunft habe ich einen digitalen Zwilling meiner selbst“

„Wir wollen, dass sämtliches medizinischen Wissen für einen Arzt auf Knopfdruck zur Verfügung steht“, sagt Bernd Montag, Chef des Medizintechnikkonzerns Siemens Healthineers. Quelle: Marc-André Hergenröder für WirtschaftsWoche

Digitale Medizin ist der neue Megatrend: Bernd Montag, Chef des Medizintechnikkonzerns Siemens Healthineers, verrät auf dem Weltmarktführer Innovation Day in Erlangen, wo Software besser arbeitet als Radiologen – und wie er Patienten in der Notaufnahme helfen will, wenn kein Arzt zur Stelle ist.

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Wenn sich Bernd Montag die Zukunft der Medizin vorstellen will, denkt er an die Tausende Jahr alte Geschichte der Navigation. Er denkt an Sternbilder, alte Landkarten, den ersten Kompass, das erste Smartphone mit GPS-Ortung. Wo bin ich? Und wie komme ich da hin, wo ich hin will? „Über die letzten tausend Jahre haben wir diese beiden Fragen gelöst“,  sagt der Chef des Medizintechnikkonzerns Siemens Healthineers. Mit technischen Erfindungen wie dem Smartphone und dem gesammelten Wissen über alle Orte auf der Welt finde heute jeder den optimalen Weg zum Ziel. 

In der Medizin gehe es nun darum, zwei ganz ähnliche Fragen zu klären: „Wie geht es mir? Und wie werde ich gesund?“ Dazu entwickelt die Branche immer genauere Diagnoseverfahren, um die Gesundheit eines Menschen zu vermessen - sozusagen den Kompass und das GPS der Medizin. Und sie sammelt Berge an Daten. Wissen, um aus vergangenen Behandlungen für die Therapie künftiger Patienten zu lernen - quasi die Landkarten für den Arzt. „Wir wollen, dass sämtliches medizinischen Wissen für einen Arzt auf Knopfdruck zur Verfügung steht.“

Es sind ehrgeizige Ziele, die der  Siemens-Healthineers-Chef auf dem Weltmarktführer Innovation Day in Erlangen präsentiert. Die Medizin sei eine Zukunftsbranche, sagt er - und sein Unternehmen sei ihr Gesicht. Mit weltweit 54000 Mitarbeitern und knapp 15 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist das Erlangener Unternehmer Weltmarktführer. Und gibt pro Jahr mehr als eine Milliarde Euro für Forschung und Entwicklung aus, um an der Spitze zu bleiben. 

„Wir müssen uns wieder fokussieren – auf Menschen und Technologie“

Es geht um einen Markt, der laut Montag weltweit sieben Billionen Euro Umsatz pro Jahr ausmacht. Die Hälfte dieses Marktes rund um medizinische Dienste machten heute  Personalkosten aus. „Das Gesundheitswesen ist noch immer in einer frühen Phase der Industrialisierung“, sagt Montag. Das soll sich nun ändern.

Google Maps für die Gesundheit

Montags Vision ist die einer durch und durch digitalen Medizinbranche. „Auf meinem Smartphone habe ich in Zukunft einen digitalen Zwilling meiner selbst“, skizziert Manager die Welt von morgen. „Darin sind sämtliche Informationen über meine Gesundheitsgeschichte gespeichert - und aktuelle Daten aus Wearables, die verraten, was in meinem Körper vorgeht.“ So wie Google Maps Autofahrer individuell ans Ziel führe, werde digitale Medizintechnik künftig Patienten den besten Weg zu ihrer Gesundheit weisen.

Tatsächlich ist dies weit mehr als eine Vision. Am Google Maps für die Gesundheit, das stellt Montag in Erlangen klar, arbeite Siemens Healthineers bereits seit langem. Allem voran mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI): „Wir haben eine fast schon industrielle Infrastruktur aufgebaut“, berichtet er, „um automatisch medizinische Algorithmen zu entwickeln.“ Dazu haben die Siemens-Healthineers-Experten mehr als eine Milliarde medizinische Datensätze gesammelt und aufbereitet. Damit füttern sie einen Supercomputer namens Sherlock, der das medizinische Wissen, das in den Daten steckt, in Algorithmen übersetzt. Was die beste Therapie für den jeweiligen Patienten ist - das soll die künstliche Intelligenz künftig immer öfter herausfinden und empfehlen. 

Mehr Zeit für spezielle Fälle

Mit Hilfe von KI kann Software von Siemens Healthineers inzwischen auch medizinische Bilddaten bisweilen so routiniert auswerten wie Radiologen mit zehnjähriger Ausbildung. Die smarte Software erkennt in Bildern aus dem Computertomographen menschliche Organe, vermisst sie und erkennt, ob Herzkranzgefäße verengt sind oder eine Aorta Vorformen eines Aneurysmas zeigt. In Aufnahmen einer Lunge spürt das System Tumore oder Anzeichen einer Embolie auf. „In einem Rutsch hat man die Basisfragen einer solchen Untersuchung geklärt“, sagt Montag. Radiologen müssten sich nicht mehr mit Routineaufgaben herumschlagen - sondern könnten sich mit Spezialfällen beschäftigen.

In der medizinischen Bildgebung sieht Montag sein Unternehmen weltweit an der Spitze. Mit der kürzlich erfolgten Übernahme des Robotikherstellers Corindus will er auch die Position bei minimalinvasiven Therapien stärken. Dessen Technik erlaube es, Schlaganfallpatienten besonders präzise zu behandeln. Sogar aus der Ferne via Datenverbindung, wenn etwa ein Patient mitten in der Nacht eingeliefert werde und ein Arzt vor Ort nicht verfügbar sei.

Der jüngste Zukauf soll Siemens Healthineers nun auch in der Krebstherapie an die Weltspitze bringen: Im August kauften die Erlanger den US-Spezialisten Varian. Den Einwand, dass der Kaufpreis ziemlich üppig gewesen sei, wollte Montag nicht so stehen lassen. Schließlich sei Krebs eine der ganz großen Geißeln der Menschheit. „Wir brauchen eine sehr präzise, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Therapie“, sagt er. Und die soll möglichst bald aus Erlangen kommen.

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