Japanische Restaurants Der Roboter serviert, der Kellner wird zum „Grillfleischpolizist“

Wie kein anderes Land der Welt leidet Japan unter einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung. Zur Sicherung des Wohlstandes sollen möglichst viele Roboter den Menschen zur Hand gehen. Quelle: Martin Fritz

Keinem Land gehen die Arbeitskräfte so schnell aus wie Japan. Daher übernehmen Roboter nun in zahlreichen Restaurants den Service. Unser Korrespondent hat sich bedienen lassen.

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Mit einem leisem „Ping-Ping“ nähert sich der schlanke Automat, hält genau an meinem Tisch – und entschuldigt sich erst einmal, dass ich warten musste. Auf den Servierflächen in etwa 80 Zentimetern Höhe stehen Teller mit Fleisch, Tintenfisch und Gemüse, dazu Schalen mit Reis und Salat. Ich beuge mich von meiner Sitzbank nach vorne und nehme mir meine Gerichte. Vornehm wartet der Roboter einige Sekunden, dann ertönt ein „Ich bedanke mich sehr herzlich“. Ich drücke den großen roten Knopf an der Servierfläche, der Bildschirm auf der Rückseite springt auf „Home“. Der Roboter setzt sich sanft in Bewegung, weicht wenig später souverän einem Kellner aus und verschwindet in der Küche.

Ich bin der einzige Gast in dieser Filiale der Restaurantkette „Yaki Niku Kingu“ (übersetzt: Grillfleischkönig) in Tokio, der den Auftritt bewundert und Fotos macht. Für die übrigen Gäste scheint die vollautomatische Bedienung so selbstverständlich zu sein wie ein menschlicher Kellner. Tatsächlich setzen immer mehr Restaurantketten in Japan schon solche Helfer ein – entweder fahren sie dem Servierpersonal hinterher und transportieren Speisen oder sie bringen die Bestellungen völlig selbständig zu den Gästen. Im nächsten Jahr werden die Maschinen noch mehr. Die Kette Skylark zum Beispiel wird die Automaten in allen 2000 Filialen einführen.

Corona brachte den Durchbruch

Die Restaurantbetreiber haben dafür gute Gründe: Zum einen federn die Geräte den akuten Personalmangel in der Branche ab, zum anderen rechnen sie sich inzwischen auch. „Der Roboter arbeitet durchgehend während unserer gesamten Öffnungszeit und muss nur nachts an die Steckdose“, erzählt Hiroya Yamashita, der die Yaki-Niku-Kingu-Filiale leitet.

Die Gäste geben ihre Wünsche über einen Bildschirm am Tisch direkt an die Küche durch. Dort packt ein Mitarbeiter die Grillwaren auf die Servierflächen von Meato-kun, wie die Gäste den Roboter getauft haben. Quelle: Martin Fritz

Dass die Roboter allerdings ausgerechnet jetzt die Restaurants erobern, liegt vor allem an der Coronapandemie. Wegen der Umsatzrückgänge wollen die Restaurants ihre Kosten drücken, zugleich verringert der Einsatz der Maschinen die Kontakte zwischen Gästen und Personal – und damit das Infektionsrisiko.

Die Vorzüge der Roboter zeigen sich auch bei meinem Restaurantbesuch: In den landesweit 266 Restaurants der Kette „Yaki Niku Kingu“ grillen die Kunden Fleisch, Fisch und Gemüse selbst am Tisch und wählen in der Regel ein „All-you-can-eat“-Angebot. Ein Kellner müsste für den üblichen Vierertisch im Verlauf einer Mahlzeit mindestens ein Dutzend Mal laufen, um Nachbestellungen zu notieren und zu bringen. Nun aber geben die Gäste ihre Wünsche über einen Bildschirm am Tisch direkt an die Küche durch. Dort packt ein Mitarbeiter die Grillwaren auf die Servierflächen von Meato-kun, wie die Gäste den Roboter getauft haben. Auf deutsch bedeutet dieser Name „Fleischjunge“ – dabei spricht die Maschine mit einer Frauenstimme. Auf dem Bedienfeld dieses maschinellen Zwitters also gibt einer seiner menschlichen Kollegen die Tischnummer ein, schon ist die Bestellung unterwegs. Gleich zwei Meato-kun helfen hier dabei, die 27 Tische mit insgesamt 100 Plätzen zu versorgen.

Nach 20 Monaten sind die Kosten wieder drin

Laut dem Hersteller Softbank Robotics eignet sich dieser Robotertyp besonders für stufenlose Restaurants ab 70 Plätze mit vielen Bestellvorgängen und längeren Wegen. Der Kaufpreis von umgerechnet 49.000 Euro – alternativ in 36 Monatsraten zu je 860 Euro abzustottern – amortisiere sich schnell, rechnet Softbank vor, da die Maschine monatlich 270 Stunden menschliche Arbeit ersetze und die Gäste derart zügig bediene, dass die Plätze auch schneller wieder von neuen Kunden besetzt werden. Ich kalkuliere: Bei einem üblichen Stundenlohn von neun Euro für Servierjobs würde der Roboter schon nach 20 Monaten schwarze Zahlen schreiben. Die Wartungskosten sind im Kaufpreis inbegriffen, einen defekten Meato-kun wechselt Softbank innerhalb von 24 Stunden kostenlos aus. „Unsere Maschinen erfordern keine Einarbeitung und lassen sich so einfach bedienen wie ein Smartphone“, erzählt Vertriebsmanager Tatsuhiko Hata.

von Sophie Crocoll, Karin Finkenzeller, Martin Fritz, Andreas Menn, Dominik Reintjes

Allerdings muss ich mir in dem Restaurant in Tokio ebenso wie die anderen Gäste die Gerichte nun selbst vom Tablett nehmen. Schmutziges Geschirr kann ich an Meato-kun zurückgeben, Abfälle in den offenen Eimer im unteren Roboterteil werfen. So viel Mitarbeit wollen vor allem die Restaurants der gehobeneren Klasse ihren Gästen nicht abverlangen. Und so mancher Kunde hat wohl auch ein schlechtes Gewissen, dass die Maschinen den Menschen die Jobs wegnehmen. Doch Manager Yamashita beteuert: „Die Roboter helfen uns, den Service zu verbessern. Die Maschinen befreien die Kellner von vielen Serviergängen, dadurch bekommen sie die Zeit, den Gästen beim Grillen zu helfen.“

Und so winke auch ich eine Kellnerin, die eine rote Armbinde mit der Aufschrift „Grillfleischpolizist“ trägt, an meinen Tisch. Sie legt für mich ein länglich geschnittenes Stück Rindfleisch auf das heiße Grillgitter in der Tischmitte, wendet es nach einer Minute und rollt es dann mit ihrer Zange wie eine Roulade auf, damit die Hitze durchziehen kann. So gut hätte ich es nicht geschafft. Sie erzählt mir auch, dass die beiden Meato-kun das Personal vor allem zu Stoßzeiten gut unterstützen. „Wenn viele Kunden da sind, dann sind die Maschinen eine enorme Hilfe“, sagt die junge Frau. „Aber wenn wir genug Zeit haben, bringen wir die Teller lieber selbst zu den Gästen.“ Tatsächlich stehen die zwei Automaten ab und an einfach nur vor dem Küchentresen, während die Kellner durch die Gänge flitzen und die Tische bedienen.

Dabei sind sie ihren Vorgängern bereits um einiges überlegen: Die erste Generation solcher Maschinen kam aus China und erforderte die Installation von Funksendern an den Tischen sowie Leitstreifen auf dem Boden oder an der Decke, damit sie ihren Weg zu den Gästen finden. Doch Meato-kun, ein Serviergerät der zweiten Generation, stammt aus Japan und bewegt sich ohne solche Leitplanken durch den Raum. Ein Gewichtssensor registriert, dass der Gast seine Speisen von der Servierfläche heruntergenommen hat. Über seine Internetverbindung weiß der nur 50 Zentimeter schmale und 35 Kilogramm schwere Roboter, wo er sich gerade befindet, und fährt einzelne Tische als fest einprogrammierte Ziele an. Eine 3D-Kamera und Lasersensoren navigieren das zylinderförmige Gerät durch bis zu 60 Zentimeter schmale Durchgänge und vermeiden Zusammenstöße mit Gästen und anderen Hindernissen. Zwar schleicht Meato-kun mit umgerechnet 2,2 Stundenkilometer geradezu durch den Laden. Dennoch würde ein plötzlicher Stopp ein Getränk oder eine Suppe zum Überschwappen bringen, so dass solche Bestellungen weiter von menschlichen Kellnern serviert werden.



Der Vormarsch der Service-Roboter bestätigt die japanische Regierung in ihrer Vision einer hochautomatisierten „Gesellschaft 5.0“ – dabei handelt es sich eine direkte Steigerung des deutschen Konzepts der vernetzten „Industrie 4.0“. Wie kein anderes Land der Welt leidet Japan unter einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung. Zur Sicherung des Wohlstandes sollen daher möglichst viele Roboter den Menschen zur Hand gehen, unterstützt von einem schnellen Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz.

Lange Zeit blieb diese Vision nur ein Schlagwort, mit dem Japan sich im Ausland als Hightech-Standort anpries. Aber im Zuge der Pandemie kam es nicht nur zu einem Innovationsschub bei der Leistungsfähigkeit solcher Maschinen. Auch die Akzeptanz in der Gesellschaft hat zugenommen in einer Zeit, in der Social Distancing das Gebot der Stunde war. Schon nach der ersten Begegnung würden die Gäste mit den Servierautomaten problemlos klarkommen, erzählt die Kellnerin mir in dem Grillrestaurant in Tokio. Die Maschine kann mehrere Tische hintereinander ansteuern. Doch niemand würde sich das Essen der anderen Gäste nehmen. Auch ich wundere mich bald nicht mehr über das Kommen und Gehen des Roboters. Nach dem Bezahlen muss ich sogar den Impuls unterdrücken, meinem Meato-kun zum Abschied zuzuwinken.

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