So langsam müsste Michael Marti nervös werden. Acht Stunden ist er mit zwei Freunden schon durch die Zillertaler Alpen unterwegs, der Weg führt über die knapp 3000 Meter hohe Alpeiner Scharte zur Grenze zwischen Österreich und Italien, doch eine Karte hat Marti nicht dabei. Stattdessen vertraut die Gruppe auf sein Smartphone. Die gesamte Zeit schon protokolliert es Höhenverlauf und Tempo, zeigt zudem ständig die Position auf der Karten-App. Zwei Stunden liegen noch vor den Wanderern, wenn jetzt der Akku schlapp macht, wird es ungemütlich. Marti aber bleibt entspannt: „Der Saft reicht locker für die doppelte Strecke.“
Land Rover Explore heißt das Telefon, dem der 50-Jährige unterwegs vertraut. Und wie der Geländewagen, dessen Marke der Handyhersteller Bullitt für das Gerät nutzt, verspricht das Telefon für beinahe alle Unwägbarkeiten gerüstet zu sein: Stürze aus Kopfhöhe, in Gebirgsbäche oder Schlamm, 30 Grad minus oder 65 Grad plus – das halte das Handy aus, verspricht der Hersteller. Der mit 4000 Milliampèrestunden Kapazität üppig dimensionierte Stromspeicher lässt sich mit einem zusätzlichen Akkupack auf die doppelte Betriebsdauer aufstocken.
Was nach Spezialausrüstung klingt, ist derzeit ein Bestseller im Mobilfunkgeschäft, man könnte auch sagen: der derzeit einzige Hoffnungsschimmer in den saturierten Märkten. Allein in Westeuropa wird das Segment 2018 gegenüber 2017 um gut ein Viertel auf rund 4,4 Millionen Geräte wachsen, prognostiziert der britische Marktforscher CCS Insight, weltweit dürften es rund 30 Millionen werden. Derweil ist der Absatz normaler Smartphones in Westeuropa um fast 14 Prozent eingebrochen.
„Im Grunde gleicht heute ein Telefon dem anderen“, erklärt CCS-Insight-Analyst Ben Wood. Die Zeit großer Innovationssprünge sei vorbei. Inzwischen falle es Handykäufern schwer, in der Masse der Smartphones noch nützliche Neuerungen zu entdecken. Hier ein paar Millimeter mehr Bildschirm, dort ein schlankerer Rahmen, Wood spricht beim Blick aufs Geräteangebot vom „Meer des Einerlei“. Mitten in dieser Ödnis wittern nun Spezialhersteller wie Bullitt, Crosscall, RugGear oder Sonim mit ihren Outdoortelefonen ihre Chance.
Langlaufakku, Schlammschutz, Notrufsender inklusive
Die schienen bisher festgelegt auf eine Nische. Zwei, drei gummiummantelte oder in klobiges Plastik gehüllte Telefone hatten Telefon-Shops und Onlinehändler im Angebot, die Nachfrage stammte zumeist von Handwerkern und Extremsportlern. Doch nun weitet sich das Feld. „Viele unserer Kunden sind es leid, dass sie nach einem Sturz mehr als 100 Euro fürs neue Display zahlen müssen“, sagt Oliver Schulte, Chef des Handyproduzenten RugGear.
Der Anbieter fertigt seit Jahren extrem widerstandsfähige Funktelefone unter anderem für Baustellen, Bohrinseln oder explosionsgefährdete Bereiche. Nun baut er das Angebot für normale Handykäufer aus, die mehr Wert auf Haltbarkeit legen oder sich „mit einem robusteren Gerät aus der Eintönigkeit der Masse abheben wollen“. Die Bedürfnisse, die mit den Geräten bedient werden, reichen von tagelangem Dauerbetrieb, wie beim Explore, bis zum Shark-X3 von Crosscall, das beim Sturz ins Meer schwimmt, blinkt und Notrufe versendet.
Vom Megatrend Outdoor, der erst die Textilhersteller erfasst hat und dann SUV-Geländewagen zur Innenstadtplage werden ließ, profitieren nun auch die Handyhersteller. Um dem Trend auf die Sprünge zu helfen, setzt deshalb insbesondere der britische Anbieter Bullitt auf Markenpartnerschaften wie zuletzt der mit Land Rover oder der Baumaschinenmarke Caterpillar. Neben einem Laser-Entfernungsmesser und einer Infrarotkamera für Thermobilder besitzt das seit vergangener Woche verfügbare neue Top-Modell Cat S61 Sensoren, welche die Luftqualität der Umgebung erfassen und anzeigen können, wie stark sie mit bestimmten Schadstoffen belastet ist.
Von den großen Herstellern hingegen verkauft in Europa bisher lediglich Samsung ein einziges, besonders schmutz-, wasser- und sturzgeschütztes Smartphone. Dem Rest der Branche ist das Geschäft noch zu kleinteilig. Mit jedem weiteren Quartal, in dem die Verkaufszahlen sinken, steigt jedoch der Druck, diese Einschätzung zu ändern. In den nächsten drei Jahren werde sich der Absatz von Outdoortelefonen auf rund 60 Millionen Stück verdoppeln, glaubt Marktforscher Ben Wood. „Das können die Großen nicht mehr lange ignorieren.“