Alte Speichertechnologie Start-up entdeckt das Schwungrad wieder

Schwungräder können Energie speichern, sind aber eigentlich schwer und unpraktisch. Ein Start-up arbeitet nun an einer leichten und sehr schnellen Variante.

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Sieht von außen nicht wie ein Schwungrad aus, ist aber eins. (Fotos: Stornetic)

Ob Lithium-Akkus oder Pumpspeicher - Stromspeicher sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie sorgen dafür, dass der Laptop unterwegs oder die vorbildliche Solar-Region bei Dunkelheit trotzdem Strom haben.

Der Schwungradspeicher hingegen ist kaum bekannt - dabei war bereits im alten Dreirad von Carl Benz eines verbaut, das Anno 1886 den Motor anließ.

Meist sind Schwungräder zu teuer und wartungsintensiv. Denn das Prinzip heißt: Desto schwerer, desto besser. Oder anders ausgedrückt: Wird das Gewicht verdoppelt, wird die zu speichernde Energie verdoppelt. Was aber die Kosten in die Höhe treibt.

Das junge Jülicher Technologieunternehmen Stornetic (erst 2013 gegründet) ließ sich daher einen Trick einfallen. Statt schwerer, haben sie das Schwungrad schneller gemacht. Was mehrere Vorteile hat. Den wichtigsten erklärt Sprecher Tobis Gottwald mit einfacher Physik: "Wenn sich das Schwungrad doppelt so schnell dreht, dann kann es viermal so viel Energie speichern."

750 Umdrehungen pro Sekunde

Der etwa 60 Kilogramm schwere Rotor schafft bis zu 45.000 Umdrehungen pro Minute. Verwendet wird dafür Kohlefaser, die im Vergleich zu Stahl relativ fest, aber wesentlich leichter ist. "Erreicht werden die hohen Geschwindigkeiten, weil sich der Rotor in einem Vakuum befindet", erklärt Gottwald das Prinzip. Das Gehäuse ist allerdings wieder aus Stahl, der Sicherheit wegen.

Beim Schwungrad wird elektrische Energie in Bewegungsenergie umgewandelt und gespeichert. Soll der Strom wieder zurückgespeist werden, dann funktioniert der Elektromotor als Generator und erzeugt so wieder Strom. Kurzfristig sind so Leistungen bis in den Megawattbereich möglich.

Noch sind die Schwungräder nicht wirklich mobil einsetzbar, aber zumindest deutlich kleiner und praktischer.

Der Vorteil zur herkömmlich verwendeten Lithium-Ionen-Batterien sind die hohen Ladezyklen. Der Schwungradspeicher aus Jülich ist für 100.000 solcher Aufladungen ausgelegt, ohne dass die Kapazität darunter leidet. "Er macht nicht so schnell schlapp wie eine Batterie", erklärt Gottwald. Bei Elektroautos sinkt die Reichweite nach 3000 bis 5000 Mal be- und entladen bereits deutlich.

Schwungspeicher für unterwegs

Autohersteller Volvo findet die Idee eines Schwungrads so überzeugend,  dass er ein Forschungsprojekt startete, um das Speichersystem bei einem  Mittelklassefahrzeug zu testen. Eine bislang undenkbare Idee, betrachtet man das Gewicht der Anlagen.

Und auch Stornetic peilt zunächst einen stationären Einsatz an - etwa in Windparks. Bisher spielt die Speicherung von Strom keine Rolle, da das EEG dies nicht fördert. "Die Volatilität der Windkraft wird die Windparkbetreiber künftig vor große Herausforderungen stellen", sieht Geschäftsführer Rainer vor dem Esche allerdings eine Chance für seinen Speicher.

"Wir helfen dem Windpark, die Leistungsabgabe besser zu planen und vorhersagbarer zu machen", ergänzt Gottwald. Für Windparkbetreiber ergeben sich so ganz neue Geschäftsfelder wie Netzdienstleistungen.

Der Stornetic-Speicher hat eine Leistung von 60 oder 200 Kilowatt und kann je nach Bedarf modular aufgebaut werden. Eine stärkere Maschine wird zurzeit noch entwickelt. Interessant ist der Speicher nicht nur für Inselnetze, ein großer Markt sind aus Sicht von Gottwald auch Straßen- und U-Bahnen. Die speichern Energie, die beim Bremsen frei wird, gerne für den stromfressenden Start. Dazu werden derzeit vor allem Supercaps genannte Kondensatoren eingesetzt.

Auch Siemens forscht an Schwungrädern

Matthias Gerlich von Siemens Corporate Technology glaubt ebenfalls, dass schwungradbasierte Systeme eine sinnvolle Alternative zu Batterien darstellen. "Sie stellen kurzzeitig viel Leistung zur Verfügung, brauchen wenig Platz und keinen klimatisierten Raum."

Gerlich und sein Team testen zurzeit einen Prototyp, der 125 Kilowatt für 15 Sekunden zur Verfügung stellen kann. Basis ist ein 260 Kilogramm schweres Schwungrad aus Stahl, das magnetisch gelagert bei 9000 Umdrehungen pro Minute im Vollvakuum rotiert. "Dank magnetischer Lagerung schwebt das Rad und ist so praktisch wartungsfrei", erklärt Gerlich.

Günstige Standardkomponenten, wartungsarme Konstruktion, geringe Betriebskosten – damit könnte das Schwungradspeichersystem von Siemens demnächst auch mit den Supercaps konkurrieren. Diese können zwar sehr kurzfristig Leistung bereitstellen - die Zahl an Ladezyklen ist jedoch begrenzt.

Einsatzbereiche sieht der Wissenschaftler als Backup-System bei Stromausfällen, dezentralen Netzen oder auch für die Elektromobilität. "Ein mobiler Einsatz ist momentan zwar nicht geplant, prinzipiell aber nicht ausgeschlossen."

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