BMW-Sitzheizung im Monatsabo Das Auto wird zum rollenden Konsumtempel – und eine gefährliche Kostenfalle

Quelle: imago images

Sie möchten eine Sitzheizung im BMW? Macht 18 Euro pro Monat. Das Abomodell regt viele auf, ist aber Vorbote der künftigen Autowelt – egal, ob den Kunden das gefällt. Ein Kommentar.

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Die immer größer werdenden Bildschirme in Autos, so denken viele Menschen, hätten mit Design und Bedienfreundlichkeit zu tun. Nicht wirklich. Eigentlich geht es um ein völlig neues Geschäftsmodell: um das Auto als größte Daten- und Dienstleistungsmaschine der modernen Gesellschaft; um einem neuen Multimilliardenmarkt. Und der Bildschirm ist das Tor zu diesem neuen Autowunderland. 

Statt Knöpfchen und Tasten gibt es nun Bildschirmfläche, weil Pixel – anders als echte Schalter – maximal flexibel sind. Heute zeigt das Display noch einen Schalter für die Sitzheizung, morgen – wenn das entsprechende Monatsabo für 18 Euro abgelaufen ist – nicht mehr. So geht das in der schönen neuen Autowelt on demand, die gerade in den Chefetagen der Autobauer durchgerechnet wird. 

Sie finden, das Heizungsabo sei ein unrealistisches Beispiel? In Südkorea steht bei BMW-Händlern schon im Verkaufsprospekt, was hierzulande Autofahrer auf die Palme bringt. 

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Den empörten Autofahrern sei gesagt: Widerstand ist zwecklos. Die Autohersteller sind wild entschlossen, Kunden in autonomen Autos Filme, Bürodienstleistungen, Amazon-Deals, intelligentes Fernlicht oder den Stopp bei einer Pizzeria zu verkaufen. 

Gute Autos mit prima Fahreigenschaften bauen und margenstark verkaufen? Das war einmal. Der Volkswagen-Konzern etwa will bis 2030 in einer Welt ankommen, in der Fahrzeuge autonom und elektrisch fahren. Der Wert eines Pkw bemisst sich dann vor allem an seiner Software. Und der Konzern erwirtschaftet seinen Gewinn vor allem mit dem Verkauf digitaler Services. 

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Der frühere VW-Stratege Michel Jost spricht in dem Zusammenhang gern über Kaffee. Ein Kilo für zehn Euro, sagt er dann, damit könne man Geld verdienen. Aber portioniert und hübsch aufbereitet in Kapseln des Anbieters Nespresso schlage ein Kilo Kaffee gut und gern mit 60 Euro zu Buche. Auf das Geschäftsmodell kommt es an! Nespresso verdient nicht am Verkauf seiner Kaffeemaschinen, sondern an ihrer Befüllung, an ihrem Betrieb.

Diesem Ideal eifern auch die Autohersteller nach. Jost hat das Kaffeemodell mal in einer PowerPoint-Folie für den internen Gebrauch aufbereitet: Links steht „Klassisches Geschäftsmodell“, rechts „Geschäftsmodell 2.0“. Links ist das neue Auto auf Erstkunden ausgelegt, die ein konfektioniertes Auto ordern: „Kunde deckt Kosten und Gewinn“, steht da: Das „und“ ist unterstrichen.

Rechts ist alles anders: Der Erstkunde bekommt ein Auto, das als digitales Produkt ständig nachgerüstet werden kann und Optionen für mögliche Erweiterungen bereithält – unabhängig davon, ob der Erstkunde sie ordert. Es ist kein festes, sondern ein fluides Produkt, das Erstkunden oder spätere Besitzer mit Softwaredownloads an ihre Bedürfnisse anpassen können: Autonomes Fahren gefällig? Sehr gerne: Einmal für immer – oder lieber im Monatsabo? Apps installieren, Filme streamen oder Extra-PS für eine sportliche Fahrt downloaden – kein Problem. Selbst Akkuleistung lässt sich gegen Gebühr zuladen: „Warum verbauen wir nicht von vornherein eine größere Batterie?“, sagt Jost: „Der Kunde hat dann die Option, sie freizuschalten.“

Betriebswirtschaftlich gesprochen heißt das: Der Kunde deckt die Kosten der Herstellung – die Gewinne erzielt VW über den Betrieb des Autos. Es ist die „Trennung von Besitz und Betrieb“, so der Strategiechef. Und warum das alles? Der Konzern werde, verspricht Jost, bei der „Profitabilität ein neues Level erreichen“. Und das nicht nur wegen der digitalen Zusatzgeschäfte, sondern auch, weil die Autos nicht individuell für den Erstkunden gefertigt werden, sondern eine umfangreiche Standardausstattung haben werden. Vielleicht nutzt der Erstkunde nicht alle Ausstattungsmerkmale, dafür aber der zweite oder dritte Halter des Fahrzeugs. Die Produktion in Standardausstattung ist günstiger, die Restwerte der Autos wegen der buchbaren Zusatzfunktionen höher – Milliarden wollen die Autohersteller so sparen. 

Die Autohersteller haben ihre Fühler in diese neue, womöglich hoch profitable Welt längst ausgestreckt. Pionier Tesla verkauft schon seit Jahren Zusatzfunktionen über den Cockpit-Bildschirm. Auch den sogenannten Autopiloten gibt es on demand für 12.000 Dollar. Bei Audi gibt es LED-Licht im Dreijahresabo für 700 Euro. Mercedes-Benz offeriert künstliche Motorensounds für seine E-Autos – macht 89 Euro ab dem zweiten Jahr. 

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2030 wollen die Autobauer schon Dutzende Milliarden Euro mit solchen Services umsetzen. Für Kunden, die nur schwer widerstehen können, werden die rollenden Konsumtempel eine gefährliche Kostenfalle sein. Für die Hersteller aber eröffnet sich die Chance, zu Dreh- und Angelpunkten des Daten- und Dienstleistungsgeschäfts zu werden, die auch im Silicon Valley ernst genommen werden und die Marktwerte wie die dortigen Internet-Giganten erreichen. 

Diese Chance werden sie sich nicht nehmen lassen. 

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