WirtschaftsWoche: Herr Wiegand, seit fünf Jahren treiben Sie mit Ihrem Start-up Lilium die Vision eines elektrischen Flugtaxis voran. Vor wenigen Tagen ist Ihr Jet zum ersten Mal abgehoben. Wie war's?
Daniel Wiegand: Das Flugzeug hat sich wunderbar verhalten, es blieb so lang wie geplant in der Luft und reagierte fehlerlos auf alle Steuerbefehle. Ein unbeschreiblicher Moment! Mehr als 200 Mitarbeiter haben zwei Jahre darauf hingearbeitet. Das Team war begeistert, wir haben den ganzen Abend gefeiert.
Auf einem Video ist zu sehen, wie Ihr Flugtaxi mehrere Meter abhebt und dann wieder landet. Allzu spektakulär sieht das nicht aus.
Aber es war einer der größten Entwicklungsschritte, den dieses Flugzeug machen wird. Denn der Senkrechtstart, den Sie auf dem Video sehen, ist das Schwierigste beim Bau von Flugtaxis – er beansprucht alle Systeme bis ans Limit. Im Reiseflug geradeaus arbeiten die Triebwerke dann nur noch mit weniger als zehn Prozent ihrer maximalen Leistung.
Aufwärts ist schwieriger als vorwärts?
Sie können das mit einem Vogel vergleichen: Vögel können sehr lange nach vorne fliegen. Aber sie hassen es, auf der Stelle zu flattern, weil das unglaublich anstrengend ist.
Flattern kann Ihr Jet jetzt also. Und warum ist das so wichtig?
Unser Jet kann jetzt überall senkrecht abheben. Er braucht also keine Start- und Landebahn, sondern kann Plätze mitten in der Stadt anfliegen: zum Beispiel auf Parkhäusern, Bahnhöfen, in Industriegebieten. Unsere Flugtaxis können Menschen bald fast direkt dort abholen, wo sie gerade sind.
Das kann die U-Bahn in Düsseldorf auch.
Ja, aber unser Flugzeug kann dann auch noch mit hoher Geschwindigkeit lange Strecken fliegen. Beim Markteintritt wird es mit einer Akkuladung 300 Kilometer zurücklegen können.
Was bedeutet das?
Sie können beispielsweise innerhalb von einer Stunde jeden Ort in Bayern von jedem anderen Orten in Bayern erreichen. Oder in einer Stunde von der Hamburger Innenstadt in die City von Köln fliegen - und sich die Wege zu den Flughäfen am Stadtrand sparen. Ab 2025 wollen wir in zwei bis drei Städten oder Regionen auf der Welt einen solchen Flugtaxi-Service betreiben.
Wie viel schneller würden regionale Fahrten dadurch?
Schauen Sie sich die Strecke München nach Freiburg an, wo ich herstamme: Mit dem Auto brauchen Sie heute dafür vier Stunden, wenn es gut läuft. Mit dem Lilium-Jet werden Sie aus der Münchener Vorstadt binnen einer Stunde in die Freiburger Vorstadt fliegen. Sie sind also vier mal schneller unterwegs.
Und zehn Mal teurer?
Wir wollen dieses neue Verkehrsmittel für jedermann erschwinglich machen. Zu Beginn wird ein Pilot den Flieger steuern, ein Flug mit dem Lilium-Jet wird dann ungefähr so viel kosten wie eine Taxifahrt. Das heißt, ein Flug zum Münchner Flughafen kostet 60 bis 70 Euro, dauert aber nur noch sechs, sieben Minuten statt eine Dreiviertelstunde.
Und später?
Wenn wir ein wenig weiter in die Zukunft schauen, werden wir auch autonomes Fliegen einführen. Und dann werden die Preise pro Kilometer relativ ähnlich zum privaten Auto sein.
Wie wollen Sie das bewerkstelligen?
In der gleichen Zeit, in der ein Taxi mit einem Fahrer 50 Kilometer fährt, legt unser Jet ohne einen Piloten 300 Kilometer zurück. Das ist der Grund für den vergleichbaren Preis.
Klicken Sie hier, um das Video jetzt auf Youtube anzusehen.
„Jede Kleinstadt kann einen Landeplatz bauen“
Klicken Sie hier, um das Video jetzt auf Youtube anzusehen.
Den Lilium-Jet gibt es also nur als Taxi?
Ja, Sie werden auf Ihrem Handy eine Lilium-App haben, wo Sie den Standort des nächsten Startplatzes sehen und sich einen Jet buchen können. Auch die Fahrt zum Startplatz organisieren wir über Partner.
Dazu müssten Sie zahlreiche Landeplätze bauen. Aber in Deutschland gelingt es nicht einmal, einen Hauptstadtflughafen fertigzustellen.
Der große Vorteil von Flugtaxis ist ja gerade, dass wir nicht erst für Milliarden Euro Flughäfen, Autobahnen oder Zugstrecken bauen müssen. Jede Kleinstadt kann mit einer, zwei Millionen Euro Investment einen Landeplatz bauen – und ist dann an Tausende andere Städte mit einer Direktverbindung von 300 Kilometer pro Stunde angebunden.
Genutzt wird Ihr Flugtaxi erst, wenn viele Städte mitmachen.
Zum Glück gibt es schon unglaublich viel Infrastruktur. In den USA zum Beispiel gibt es mehr als 20.000 Hubschrauberlandeplätze, auch in Deutschland gibt es einiges an Infrastruktur. Und schon heute kommen viele Städte und Regionen auf uns zu, die Landeplätze bauen wollen und beim Start des Lilium-Dienstes dabei sein wollen.
Die Menschen gehen schon gegen Fluglärm auf die Straße. Wie wollen Sie ihnen Flugplätze mitten in der Stadt schmackhaft machen?
Wir haben enorm viele technologische Entwicklungen geleistet, um den Lärm zu dämpfen. Unser Jet ist um etliche Größenordnungen leiser als ein Helikopter, beim Start macht er nur so viele Geräusche wie ein Lastwagen. Und Lastwagen fahren heute überall in der Stadt.
Sind das theoretische Berechnungen oder reale Erfahrungswerte?
Bei unserem Jungfernflug vor ein paar Tag stand ein Teil unseres Teams einige hundert Meter vom Startplatz des Fliegers entfernt auf einer Dachterrasse. Nach dem Testflug kamen sie ganz unglücklich auf uns zu – weil sie nicht gehört hatten, ob der Flieger nun schon gestartet war oder nicht. In hundert Metern Entfernung hören Sie den Jet noch – in 300, 400 Metern praktisch nicht mehr.
Wie steht es um die Sicherheit? Helikopter stürzen leider immer wieder mal ab, und wenn Flugtaxis in großer Zahl über der Stadt unterwegs sind – will man dann noch zu Fuß auf die Straße gehen?
Wir wollen dieselben Sicherheitsstandards einhalten wie Verkehrsflugzeuge. Der elektrische Antrieb hilft uns dabei sehr: Wir können, anders als bei mechanisch aufgebauten Helikoptern, alle Systeme redundant einbauen.
Konkret heißt das?
Jedes Bauteil – ob Computer oder Triebwerk – ist mehrfach vorhanden. Fällt eines davon aus, ist Ersatz sichergestellt. Und das Flugzeug bleibt sicher in der Luft. Der Lilium-Jet hat zum Beispiel 36 kleine Triebwerke und nicht nur zwei große. Fallen durch Vogelschlag zwei davon aus, dann bleiben noch 34 andere übrig und damit über 90 Prozent des Schubs - genug, um senkrecht zu landen.
Und wenn doch alle Triebwerke versagen?
Dann kann unser Flugzeug gleiten wie jedes andere auch. Zusätzlich hat es einen Fallschirm an Bord, den der Pilot auslösen kann. Dann landet der Jet sanft auf der Erde.
Überzeugt das auch die Luftfahrtbehörden?
Wir stehen mit der europäischen Luft-Sicherheitsbehörde seit einem Jahre in einem Zulassungsprozess für das Flugzeug. Wenn die Prüfung abgeschlossen ist, kann unser Jet mit einer normalen Pilotenlizenz geflogen werden und wird wie jedes andere Flugzeug behandelt.
„Wir werden wieder einen unabhängigen Flugzeughersteller in Deutschland aufbauen“
Und wenn eines Tages der Autopilot übernimmt - wie wollen Sie Kollisionen vermeiden?
Das ist weniger ein technisches als ein regulatorisches Problem. Mit Sensoren – Kameras, Lidar, Radar – wird das Flugzeug seine Umgebung wahrnehmen. Im Notfall kann es anderen Flugzeugen, Drohnen oder sogar Vögeln ausweichen. Aber im regulären Betrieb will man nicht auf solche Notfall-Systeme angewiesen sein.
Was wird stattdessen helfen?
Im regulären Betrieb wird es ein elektronisches Luftraum-Management geben. Startet ein Lilium-Jet, dann kommuniziert er mit einer Verkehrsplanungszentrale. Die weist ihm einen virtuellen Korridor im Luftraum über einen bestimmten Zeitraum zu. Heute werden Züge auf Gleisen ähnlich gesteuert.
Wie weit ist diese Vision entfernt?
Zu Beginn werden wir relativ klein anfangen mit zehn, dann 20 dann 50 Flugzeugen. Aber wir werden in Deutschland langfristig 30.000 bis 500.000 Flugtaxis brauchen, um wirklich jedermann ein solches Verkehrsmittel zur Verfügung stellen zu können. Dann werden wir vielleicht Landeplätze haben in der Dichte, in der heute Bushaltestellen verteilt sind.
Wie wird das Flugerlebnis 2025 konkret aussehen?
Der Flug wird nicht viel anders sein als im Verkehrsflugzeug: Sie haben eine sehr komfortable Kabine, Sitzgurte wie im Auto, große Fenster – und Sie können den Blick genießen.
Aus welcher Höhe?
Das kommt auf die Distanz der Reise an. Bei einem langen Flug steigt der Jet auf bis zu drei Kilometer, also bei schönem Wetter schon über die Wolken. Ansonsten ist er zwischen 500 und 800 Meter unterwegs.
Was müssen Sie dafür noch erledigen?
Der nächste Schritt ist der Transitionsflug – der Wechsel vom senkrechten Starten ins horizontale Fliegen. Die nächsten Monaten werden wir das und anderes jede Woche erproben. Die zweite Aufgabe wird sein, die Fertigung des Flugzeugs zu industrialisieren. Vom Prototypen bis zur Großserie dauert es mindestens zwei Jahre.
Und Sie fertigen in Deutschland?
Genau. Wir werden zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder einen unabhängigen Flugzeughersteller in Deutschland aufbauen. Heute haben wir 300 Mitarbeiter – in den nächsten Jahren werden wir wahrscheinlich einige hundert weitere anstellen. Wir leisten nicht nur die Endmontage in Deutschland – wir entwickeln auch die Triebwerke, Karbonstrukturen und Batterien.
Wie weit wird ein Flugzeug dann mit Batterie kommen?
Wir schauen uns sehr genau an, was in den Entwicklungslaboren passiert. Dinge, die wahrscheinlich in sieben Jahren auf den Markt kommen. Es gibt in der Batterietechnologie noch viel Spielraum nach oben. Die Reichweite des Lilium-Jets wird mit besseren Batterien irgendwann die 300 Kilometer überschreiten. In 25, 30 Jahren werden Fluggesellschaften sogar elektrisch betriebene Transatlantikflüge durchführen können.