Revolution auf Rädern: Was taugen Chinas E-Auto-Pioniere?

Nio K-Byte
Von weitem wirkt der K-Byte wie eine langgestreckte Limousine, die andere Autohersteller auch verkaufen: Ein etwa fünf Meter langes Gefährt in konventionellem Design. Und mit den nach innen gewölbten Falzen auf der Motorhaube ähnelt er auffällig der 3er Serie von BMW.
Bei näherem Hinsehen stechen dann die futuristischen Details hervor. Anstelle der Außenspiegel sind Kameras installiert. Türöffner fehlen völlig. Stattdessen soll das Auto seinen Eigentümer per Kamera und Gesichtserkennungssoftware identifizieren. Zwischen den LED-Scheinwerfern ist ein Lichtstreifen installiert, mit dem Fußgängern etwa signalisiert werden kann: Achtung, hier kommt ein Auto. Denn Lärm macht das vollständig elektrisch betriebene Auto keinen.
Noch handelt es sich beim K-Byte des chinesischen Autoherstellers Byton um eine Studie, den Mutterkonzern Future Mobility im Juni auf der Unterhaltungselektronik-Messe CES Asia in Shanghai vorstellte. Ein Werk in der ostchinesischen Stadt Nanjing wird erst noch gebaut. Doch schon jetzt sorgt der K-Byte in der Branche für großes Aufsehen.

Elektro-SUV im XXL-Format
Nio hat es eilig. Sehr eilig sogar. Im Frühjahr demonstrierte das chinesische Start-up mit dem EP9 seine Kraft: Für eine Nürburgring-Nordschleifenrunde reichten dem Elektrosportwagen 6:45,9 Sekunden. Jetzt hat der Autobau-Newcomer in Shanghai mit dem ES8 sein erstes massentaugliches Serienmodell vorgestellt, das in gleich mehrfacher Weise aufhorchen lässt.

Futuristische Hülle
Beim „Nio Day“ mit 7.000 Gästen in Shanghai wurde mit dem ES8 ein mit leicht futuristischen Details garnierter doch letztlich recht konventionell gezeichneter Fünf-Meter-SUV vorgestellt, unter dessen massentauglichem Blechkleid ein potenter Elektroantrieb steckt.

350 Kilometer Reichweite
Dieser soll mit 480 kW/644 PS und 840 Newtonmeter Drehmoment eine Beschleunigung aus dem Stand auf Tempo 100 in 4,4 Sekunden erlauben. Weniger atemberaubend: die Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h. Dank einer 70-kWh-Batterie sollen Reichweiten von rund 350 Kilometer möglich sein.

Batterien werden gewechselt
Über Aufladezeiten müssen sich ES8-Kunden, sie sich für ein optionales Batterietauschsystem entscheiden, keine Gedanken machen. Wie einst beim 2013 aufgelösten Unternehmen Better Place will auch Nio in einer Wechselstation die Traktionsbatterie in nur drei Minuten tauschen. Wer sich für diese Lösung entscheidet, bezahlt monatlich 165 Euro für das Batterieleasing.

Luxus zum Einstiegspreis
Da der Kunde die Batterie nicht kauft, verringert sich der Preis für das Auto um 13.000 auf rund 45.000 Euro. Bis 2020 sollen in China, der vorläufig einzige Markt für den ES8, über 1.000 Swap-Stationen entstehen. Der Batterietausch ermöglicht vor allem Laternenparkern, das Fahrzeug trotz fehlender Ladeinfrastruktur im Alltag zu nutzen.

Viel Platz
Darüber hinaus zeichnet sich der bereits für das kommende Jahr angekündigte ES8 durch einen über drei Meter langen Radstand und ein entsprechend üppiges Raumangebot aus. Dank Oberklasseformat bietet der SUV drei Sitzreihen mit sieben Sitzgelegenheiten. Alternativ lässt sich das Fahrzeug zum Zweisitzer mit XXL-Laderaum wandeln. Außerdem soll der Stromer mit einem zur Liege wandelbaren Beifahrersitz oder einer Luftfederung gehobenes Komfortniveau bieten.

Viele Assistenten
Schließlich kündigt Nio für den ES8 auch eine Vielzahl nicht näher spezifizierter Assistenzsysteme an. Die Überwachungstechnik besteht unter anderem aus einer Mehrfeld-Front- und vier Surround-Kameras, Radarsystem, zwölf Ultraschallsensoren und einer Fahrerüberwachungskamera.

Alexas chinesische Schwester
Im Zusammenspiel mit einem extraschnellen EyeQ4-Chip will Nio automatisierte Fahrkünste auf gehobenem Niveau ermöglichen. Außerdem ist ein mit künstlicher Intelligenz gesegneter Assistent namens Nomi an Bord. Dieser thront in Form eines kleinen Displays mittig auf dem Armaturenbrett. Ähnlich wie Alexa von Amazon soll Nomi mit Insassen kommunizieren und diese bei Problemen oder Wünschen unterstützen.
Bis zu 520 Kilometer soll die Batterie der Limousine dank zweier Elektromotoren durchhalten. Beachtlich auch die Aufladegeschwindigkeit: In 20 Minuten soll der Akku halb voll sein, in 30 Minuten per Schnelllader sogar zu 80 Prozent. Wenn der K-Byte ab 2021 auf den Markt kommt, wird der Fahrer zwar noch hinter dem Lenkrad sitzen. Doch berühren muss er es nicht mehr. Pedale sind nur vorhanden, falls der Fahrer ab und zu doch selbst aufs Gas treten möchte. Das Auto hat dann Autonomie-Level vier erreicht. Darüber gibt es nur noch Stufe fünf – die steht für Autos, die vollständig alleine fahren.
Der K-Byte ist das vielleicht ambitionierteste Versprechen an die Zukunft der Mobilität in China, doch eine Ausnahmeerscheinung ist er nicht. Die Konkurrenten heißen Thunder Power, Lucid Motors, Faraday Future, WM – es vergeht kaum ein Monat, in dem nicht ein neuer Anbieter für E-Mobile auf dem größten Automarkt der Welt die Bühne betritt. Im Juni startete das Shanghaier Start-up NextEV die Auslieferung seines rein elektrisch betriebenen Geländewagens Nio ES8.
Auch das Nio-Gefährt ist erfolgversprechend: Es kann in 4,4 Sekunden von null auf 100 Kilometer pro Stunde beschleunigen. 350 Kilometer schafft der ES8 nach Angaben des Herstellers mit einer Akkuladung. Und dank einer Schnellladefunktion soll der Akku innerhalb von nur einer Stunde aufgeladen werden können. Für Fahrer, die es besonders eilig haben: Der Akku kann innerhalb von drei Minuten ausgetauscht werden. Der Hersteller lockt sogar mit dem Versprechen, im Notfall die Batterie zum Kunden zu fahren. Dafür gibt es einen extra Auslieferservice. Vor allem aber ist das chinesische Elektroauto mit umgerechnet rund 60.000 Euro nur halb so teuer wie Teslas Model X.
China ist nach Einschätzung des Beratungsunternehmen Roland Berger dabei, zum globalen Innovationstreiber in der Automobilindustrie aufzusteigen. Im Rennen um E-Mobilität habe sich das Reich der Mitte schon jetzt eine Führungsposition erarbeitet. „Kein anderes Land ist so fortschrittlich und offen für neue Technologien“, sagt Wolfgang Bernhart, Partner bei Roland Berger. China habe sich längst „von der Werkbank zum Labor der Industrie entwickelt.“
Der Erfolg ist allerdings keineswegs allein der technischen Überlegenheit geschuldet. Die chinesische Regierung hat strenge Vorgaben gemacht. Bereits ab dem kommenden Jahr muss jedes zehnte in der Volksrepublik produzierte Auto ein Elektroauto oder zumindest mit einem Hybridmotor ausgestattet sein. Zugleich fördert der Staat den Verkauf von Elektroautos kräftig: Neben Lotterie und Nummernschild-Versteigerung für Benziner in Großstädten gibt es auch Subventionen beim Kauf eines E-Autos. 700.000 von ihnen sollen allein in diesem Jahrverkauft werden. Nach Schätzungen der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) werden die Verkäufe umweltfreundlicher Fahrzeuge in China bis 2020 auf 1,4 Millionen Stück in die Höhe schießen. Bis 2025 soll dann ein Fünftel aller verkauften Fahrzeuge in China elektrisch fahren. Der Hype um Elektromobilität ist also staatlich erzwungen.
Die chinesischen Autohersteller als Billigheimer abzustempeln, wird ihnen dennoch nicht gerecht. Ob Byton oder Thunder Power – die Hersteller sind experimentierfreudig. Und sie loten die bisherigen Grenzen der Branche aus. Das gilt selbst für das Marketing. Im Shanghai Tower, dem höchsten Gebäude der Stadt, kommen die Besucher nicht am Nio House vorbei. Im Showroom in der Lobby strahlen die Elektro-SUV hier um die Wette. Interessierte gruppieren sich um die Autos herum und halten sich die Hände neben die Augen, damit sie besser in den Innenraum blicken können. Wer seinen Barcode auf dem Handy an ein Display neben der Tür gegenüber hält, für den öffnet sich zudem das Tor in eine eigene Welt: den Nio Clubraum.
Wer Mitglied ist und sich die Nio-App heruntergeladen hat, kann sich hier an der Kaffeebar ein Getränk frisch brauen lassen, in Büchern schmökern und seine Kinder betreuen lassen. Man kann auch Freunde einladen, Kurzvorträge oder Kreativ-Workshops abhalten. Das Ambiente im Nio-Club erinnert an eine Art Apple Store 4.0: viel Holz und Pastellfarben. Weiter weg vom deutschen Konzept des Autohauses am Rande der Stadt geht nicht. Die Idee hinter dem Ganzen: Die Kundinnen und Kunden erhalten nicht nur ein Auto, sondern ein ganzes Lebensgefühl mit auf den Weg, den urbanen Future-Schick. Vor einem Monat erst ist der Hersteller an die Börse gegangen. Der Kurs blieb allerdings hinter den Erwartungen zurück.
Es stellt sich die Frage: Was taugen die E-Autos aus China? Und wie nachhaltig ist deren Geschäftsmodell? Wie fast überall in der Branche fressen die Hersteller derzeit jede Menge Geld. Unklar ist, ob sich deren Ambitionen jemals so skalieren lassen werden, dass sie damit auch eines Tages Gewinne einfahren. Besonders spektakulär ging etwa Faraday Future das Geld aus, nachdem sich das Unternehmen schon als Tesla-Killer ausgerufen hatte. Und zumindest im traditionellen Geschäft mit Benzinern haben es die chinesischen Hersteller trotz großer Anstrengungen und Subventionen nicht geschafft, mit der Konkurrenz aus dem Ausland mitzuhalten. Allen voran die deutschen Autobauer sind vor Ort seit zwei Jahrzehnten kaum zu schlagen und eilen von einem Verkaufsrekord zum nächsten.

Mit dem K-Byte stellt Byton seinem SUV ein zweites Conceptcar zur Seite: In Shanghai stellte das chinesische Start-up seine Elektro-Limousine erstmals der Öffentlichkeit.

Die Limousine soll 2020 zunächst auf den chinesischen Markt kommen und kurz darauf auch im Rest der Welt auf den Straßen unterwegs sein können.

Charakteristisch für die K-Byte-Studie ist die lange Motorhaube und das steile Heck.

Sie misst knapp fünf Meter, soll rein elektrisch fahren und dank Sensoren auch die Möglichkeit zum autonomen Fahren mitbringen.

Mit dem zweiten Auto zeigt Byton, wie die Nomenklatura der Fahrzeugmodelle aussehen soll. Die Byton-Modelle werden unter dem Namen „Byte“ herausgebracht und wohl je nach Modell einen Buchstaben dazu gestellt bekommen. Während das SUV unter M-Byte bekannt werden soll, wird Byton die Limousine als K-Byte anbieten.
Bei ihrem neuesten Innovations-Sprung in die Zukunft setzen die Chinesen auf die Froschtaktik: Statt sich ein aussichtsloses Duell mit deutschen Ingenieuren um die filigransten Motoren und Getriebe zu liefern, sind sie dabei, bei der die Entwicklung von E-Autos eine ganze Technologiestufe zu überspringen. Zum Teil pumpt der chinesische Staat selbst massiv Geld in diese neuen Unternehmen. An Byton etwa ist FAW (First Automotive Works) beteiligt, Chinas wichtigster Autobauer, der unmittelbar der chinesischen Zentralregierung unterstellt ist. Und auch die chinesischen Technologie-Riesen investieren kräftig: Byton weiß den IT-Giganten Tencent hinter sich sowie den Apple-Auftragsfertiger Foxconn aus Taiwan. Mit angetrieben wird der Angriff der Innovatoren aus China zudem von deutschen Veteranen der Industrie. Im Byton-Management sitzen ehemalige Top-Manager von BMW wie Byton-Präsident Carsten Breitfeld. Nio sieht sich als globales Unternehmen: Das Design findet in München statt, die Software kommt aus San José in Kalifornien.
Aufholjagd für deutsche Hersteller
Vor allem aber auf dem Markt für Batterien, der Schlüsseltechnologie der E-Mobilität, sind die Chinesen neben Südkorea längst zur treibenden Kraft in dem globalen Geschäft geworden. Nun rächt sich, dass die deutsche Automobilwirtschaft es lange Zeit für nicht nötig befunden hat, selbst allzu viel in die Brennstoffzellherstellung zu investieren. Das zeigt sich derzeit auch in Thüringen: Nachdem der chinesische Batterie-Hersteller Catl den chinesischen Markt aufgerollt hat, soll bei Erfurt bald der Bau einer der größten Batteriezellen-Fabriken Europas beginnen. Europäische Konkurrenz ist bislang nicht vorhanden. Und so bleibt selbst Autobauer BMW bislang nicht viel Auswahl, als ebenfalls auf chinesische Batteriehersteller zurückzugreifen.
Die deutschen Hersteller in China sind auf diesen Zug spät aufgesprungen. Ganz chancenlos sind sie wohl nicht. Derzeit beherrschen die Chinesen den E-Markt ihres Landes. Im Angebot haben die meisten von ihnen nach Ansicht des chinesischen Autoanalysten Jia Xinguang nur „mittelmäßige Technik“. Deutsche Hersteller würden seiner Einschätzung nach bald mit Modellen nachziehen, „die den heimischen Anbieter überlegen sind“. Zu unterschätzen sei auch nicht die Markenwirkung, die die Deutschen noch immer haben. „Ein Mercedes ist hier ein Statussymbol. Egal ob er mit Benzin oder Strom fährt.“











